Es ist lütt - das kleinste Buch, das der L-IZ je ins Postfach flatterte, noch kleiner als die üblichen Minis, 24 Seitchen dünn. Der Inhalt: eigentlich ein Gedicht. "... du mir auch", einer jener Texte von Michael Oertel, in denen man eine Ohrfeige erwartet und dann doch gestreichelt wird.

Er hat den Mehrweg e. V. mit aufgebaut und den „Wolkenschlachtlenkwahl“ am Völkerschlachtdenkmal, hat ein gewaltig großes Herz, weil er weiß, dass man da Platz braucht für all die Menschen, die man trifft. Quasi Behinderte aller Art. Denn seine Fotografie-Serien und Bücher geben so nach und nach ja genug Anlass, nachzudenken über das Thema.

Sind nicht eigentlich all jene behindert, die nicht mehr mitfühlen, miterleben, teilen und geben können? Die scheinbar perfekten, unlädierten, wohlversorgten Leute, die so gerne „Basta!“ sagen und „alternativlos“ und „unabdingbar“?

Die selbst den gutmütigsten Menschen mit jeder Botschaft das Gefühl geben, nur gnadenhalber auf Erden wandeln zu dürfen, nur geduldet zu sein. So wie Ausländer, die man gern Ausländer sein lassen möchte … bis sie gleich wieder raus sind.

Die den Flecken Erde, den sie auch noch peinigenderweise mit all den Underdogs und Ungebildeten und Armen teilen müssen, am liebsten verriegeln und verrammeln und mit hohen Mauern umgeben würden, damit keiner reinkommt. Mit Flutlichtanlage, Wachtürmen und ein paar falsch ernährten Wächtern, die nachts mit Sonnenbrille und Schäferhund drumherumlaufen.

Menschen, hinter deren so schön in Farbe gedrucktem Erfolg die Angst lauert. Die Angst des Geizigen und Gierigen. Die Angst, die sich jovial und volkstümlich gibt. Bis der Feigling den nicht so gut Deodorierten zu nah kommt. Wenn dann die Eier fliegen, die Farbbeutel und die Schuhe.

Klar. Die werden hier alle nicht erwähnt. Die kommen bei Michael Oertel nicht vor. Seine Mission ist der Blick ins Nahe, in die Gesichter der Nächsten. In den eigenen Garten, vors eigene Haus. Seine Welt ist hier, gleich nebenan. Wo das Unkraut wuchert und die Schaukel quietscht und die Kinder lachen. Und die Erwachsenen auch.

„… du mir auch“ ist ein Gedicht voller Farben. Voller scheinbar falsch platzierter Farben. Wer Kindern beim Malen zuschaut (bevor unerbittliche Lehrerinnen ihnen mahnend beigebracht haben, dass Bäume grün zu sein haben, Himmel blau und Sonnen bitteschön gelb), weiß, wie schräg und phantasievoll die Dinge sein können, die da aufs Blatt kommen.

Der Himmel rot, die Bäume blau. Die Seele schwarz oder grau oder gelb. Ist ja manchmal von der Stimmung abhängig. Und von der Sicht des jeweils anderen. Der natürlich – darum geht’s ja – in der Lage sein muss, Farben noch zu sehen.

Und nicht nur Schwarz/Weiß, wie manche Richter und Polizeipräsidenten. Denn dann wird es gefährlich. Dann wird es bedrohlich. Denn solchen Leuten wird man nicht mehr erzählen können, wie vielfältig die Welt ist und dass die Vielfalt der Reichtum ist, nicht die Rendite oder der richtige Bückling.

Wer nicht mehr wahrzunehmen versteht, wie die Anderen, erst einmal Fremden, die eigene Welt bereichern und lebendig machen, ist ja eigentlich schon tot. Was hat der noch vom Leben als seine Vorurteile und schwarz-weißen ewigen „Wahrheiten“?

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… du mir auch
Michael Oertel, Engelsdorfer Verlag 2011, 8,60 Euro

Das Gedicht erzählt vom Reichtum der Welt, in der andere Farbtupfer noch dazugehören. Die Verse schön groß gedruckt, wechselweise mit Schwarz-Weiß-Fotografien mit farbigen Tupfern. Vorn kann man eine Widmung reinschreiben. Das kleine Erschrecken für die Käufer: 8,60 Euro soll’s kosten.

Vielleicht ist es da doch gut, lieber zu warten, bis das Buch erscheint, aus dem dieses hier eine Auskopplung ist – sozusagen eine Single. „Ich mach mir Angst“ soll das Buch heißen, das Michael Oertel da vorbereitet, Fortsetzung für sein „Tagebuch eines Depressiven“.

Noch ein paar Worte zur Volkskrankheit Depression in einer Gesellschaft, in der die Schwarz-Weißen regieren? Nicht nötig, nicht wahr?

www.michaeloertel.com

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