Die sächsische Regierung hat schon diverse Vorhersage-Modelle für den künftigen Klimawandel in der Region veröffentlicht. Auch an der Ostsee wird die weltweite Erhöhung der Durchschnittstemperaturen zu Veränderungen führen. Aber zu welchen eigentlich? - Die beiden Meteorologen Peter Hupfer und Birger Tinz tauchen dazu tief in die Geschichte ab.

Denn die Ostsee ist ein historisch junges Meer. Noch vor etwa 18.000 Jahren gab es gar keine Ostsee. Da ging die letzte große Eiszeit, die Weichsel-Eiszeit, gerade zu Ende. Nordeuropa war noch von einem gewaltigen Eispanzer bedeckt, der in den folgenden Jahrtausenden mit zunehmender Erwärmung abschmolz. Vor 11.000 Jahren hatte sich am Südfuß der gewaltigen Gletschermasse ein ebenso gewaltiger Tauwassersee gebildet, der sogenannte Baltische Eisstausee, der schon in etwa die Konturen der heutigen Ostsee hatte, im Nordosten noch unterm Gletschereis verschwand und noch keinen Zufluss von der Nordsee hatte.

Die beiden Meteorologen tauchen nicht ohne Grund in diese geologisch gar nicht so alte Vergangenheit, denn sie zeigt auch, dass starke Klimaveränderungen auch schon in den Zeiträumen menschlicher Zivilisation sichtbar werden. Die Ostsee ist bis heute davon geprägt. Die Frage ist natürlich: Hat die menschgemachte Klimaerwärmung Einfluss auf das Meer und seine Nutzung?

Auch den Aspekt analysieren die beiden Meteorologen noch einmal für all die Wundergläubigen, die die Folgen menschlichen Tuns im Klimahaushalt der Erde nicht sehen wollen. Denn Schwankungen der weltweiten Durchschnittstemperaturen sind ja nichts Neues. Sie gehören über alle Erdzeitalter dazu. Zuweilen – wie in der dichten Folge von Eiszeiten und Zwischeneiszeiten, die die jüngere Erdgeschichte bestimmen – ähneln die Temperaturverläufe einer Fieberkurve. Doch selbst diese Fieberkurve hat ihre Höhe- und Tiefpunkte eher in Jahrtausenden und Jahrzehntausenden. Der wichtige Unterschied zu dem, was Meteorologen in aller Welt seit 30 Jahren messen, ist: So einen steilen Temperaturanstieg in so kurzer Zeit kann man mit den natürlichen Entwicklungen nicht erklären.
Was auch bedeutet: Folgen, die sonst in Jahrtausenden erst sichtbar würden und entsprechend langsame Anpassungsprozesse erfordern würden, werden binnen Jahrzehnten sichtbar. Einige sind schon heute mess- und wahrnahmbar, von der zunehmenden Zahl von Extrem-Wetterereignissen weltweit bis zum Abschmelzen von Gletschern und polaren Eismassen und dem bislang noch leichten Anstieg der Weltmeere.

Nicht alle Regionen auf der Erde werden gleichermaßen betroffen sein. Der ein oder andere wird sich vielleicht sogar freuen, wenn an der Ostsee die Durchschnittstemperaturen steigen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie es tun. Welchen Kurvenverlauf sie dabei nehmen, ist dann freilich eine offene Frage. Meteorologen sind ja keine Hellseher. Ihre Prognosen und Langzeitberechnungen hängen davon ab, wie viele Treibhausgase die Menschen noch in die Atmosphäre pumpen werden, wann ein Ausstiegsszenario gelingt – oder ob überhaupt eines gelingt. Denn die diversen Weltklimakonferenzen sind ja allesamt ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Gerade die größten CO2-Emittenten haben sich einer einvernehmlichen Lösung verweigert. Und die Klimawissenschaftler bezweifeln, dass auch nur das Ziel von einer weltweiten Erwärmung um 2 Grad eingehalten werden kann. Das wäre in etwa die Grenze, in der sie die drohenden Folgen für die Nationen für bewältigbar halten – sei es beim Bau entsprechender Deichsysteme oder bei der Bewältigung des regional drohenden Trinkwassermangels.

Was in der Atmosphäre und dann auf dem Erdboden oder gar in den Meeren geschieht, wenn sich die Atmosphäre weltweit um 3, 4 oder noch mehr Grad erwärmt, ist nicht mehr vorhersagbar. Messbar ist auch an der Ostsee schon jetzt, dass sich etwas geändert hat. Die Zahl der kalten Winter hat seit den 1940er Jahren abgenommen. Auch die Jahre, in denen es kein Eis an der Küste gibt, sind häufiger geworden. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden die Frosttage noch weiter zurückgehen. Was nicht bedeutet, dass es gar keine mehr geben wird. Nicht das Einzelereignis, sondern der langjährige Trend zeigt, welche Auswirkung die um 3 bis 4 Grad höheren Durchschnittstemperaturen haben werden. Das gilt auch für die Badesaison, die wahrscheinlich länger werden wird. Die Durchschnittstemperatur in den Sommermonaten wird an der Ostsee genauso steigen wie die Wassertemperatur.

Negativer Nebeneffekt: Auch die Zahl der heißen Tage, an denen viele Menschen Kreislaufprobleme bekommen, wird zunehmen. Tendenziell steigt – da die Luft wärmer ist – auch die Niederschlagsmenge. Doch das wird nicht bedeuten: mehr Regen. Sondern es heißt: Mehr Niederschlag an bestimmten Punkten in kürzester Zeit – Starkregen und punktuelle Überschwemmungen. Wohl auch mehr Sturmereignisse und damit auch mehr Risikosituationen an der Küste. Und auch die Ostseeküste wird den höheren Wasserstand zu spüren bekommen. Was in den letzten Jahren an der Kreideküste von Rügen zu beobachten war, wird deutlich öfter eintreten.

Aber die Veränderungen werden auch die Wasserqualität der Ostsee beeinträchtigen – schon jetzt haben sie Einfluss auf den Zustrom von Salzwasser aus der Nordsee. Weite Teile der Ostsee litten schon in den vergangenen Jahren unter Wasserstoffmangel. Dafür wurde an vielen Stränden verstärkter Algenbewuchs gesehen. Wenn das Ostseewasser sich erwärmt, wird es natürlich für zuwandernde Tierarten attraktiver, die bisher eher in südlichen Meeren beheimatet sind.

Eine ganze Reihe von Veränderungen, die die beiden Meteorologen mit dem zur Zeit verfügbaren Kenntnisstand auflisten. Auch mit den notwendigen Hinweisen auf die Begrenztheit von Vorhersagemodellen. Doch sichtbar ist auch, dass die Temperaturmessungen seit 1980 die Prognoseszenarien von 1992, als die Weltkonferenz von Rio für Aufmerksamkeit sorgte, bislang bestätigen.

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EAGLE-GUIDE
Die Ostseeküste im Klimawandel

Peter Hupfer, Birger Tinz, Edition am Gutenbergplatz Leipzig 2011, 14,50 Euro

Der Mensch kann sich natürlich Scheuklappen umbinden und so tun, als hätte das alles mit seinem Tun nichts zu tun. Die Veränderungen werden trotzdem alle Nationen und Regionen zu Anpassungs-Maßnahmen zwingen. Und die werden für einige Regionen sehr teuer. Und der möglichen Verlängerung der Badesaison an der Ostsee auf ein halbes Jahr stehen durchaus Szenarien entgegen, die eine Häufung von Extremereignissen und starken Stress für die Küste bedeuten. Ein kleiner Ausblick in eine Zukunft, die natürlich im konkreten Augenblick immer wieder überraschend sein wird. Wie das Wetter eben so ist. In der längeren Perspektive bis 2070 oder 2100 wird die Ostsee sich trotzdem deutlicher verändern, als sie es in den vergangenen 8.000 Jahren getan hat.

Peter Hupfer/Birger Tinz “EAGLE Guide. Die Ostseeküste im Klimawandel”, Edition am Gutenbergplatz Leipzig, Leipzig 2011, 14,50 Euro.

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