Es ist ein schmales Heft, das Joachim Jahns jetzt seinem Buch "Strittmatter und die SS" nachschiebt. Es beleuchtet zwei Aspekte deutlicher, die teilweise im Buch noch etwas diffus blieben. Zum einen die Frage, warum Strittmatter eigentlich zur SS wollte/sollte - und es dann doch nicht tat. Und zum anderen die Frage: Was hat er bei der Schutzpolizei erlebt?

Beides durchaus Fragen, die sich mit den Spielräumen beschäftigen, die einer hat, der in die Mühlen einer Diktatur gerät und trotzdem überleben will. Es steckt auch die Frage dahinter: Wie willig waren die Helfer? Auch das völlig unbearbeitet, obwohl Daniel Jonah Goldhagens Buch “Hitlers willige Vollstrecker: Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust” genau diese Frage provoziert hat. Es war ja ein auf Provokation angelegtes Buch, das der US-amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler da 1996 vorlegte. Und die Antworten blieben aus. Es gab zwar eine gewaltige Debatte und viele Postulate mit dem Tenor, Goldhagen übertriebe. Es gab auch eifriges Nicken. Aber die notwendige Feldarbeit blieb trotzdem aus.

Es geht nicht um die Frage: Wieviel wussten die Deutschen vom Holocaust. – Die Frage ist eigentlich längst beantwortet, auch wenn einige Apologeten noch immer so tun, als könnte irgendjemand in Hitlers Reich nicht mitbekommen haben, was geschah. Dazu gab es zu viele Vernichtungs-, Arbeits- und Kriegsgefangenenlager. Dazu war selbst die zunehmende Entrechtung, Enteignung und Verschickung der Mitbürger mit jüdischen Wurzeln zu allgegenwärtig.

Natürlich stellte Goldhagen auch die Frage nach der persönlichen Schuld. Und den Handlungsspielräumen. Und da ist man dann in den Funktionsmechanismen einer Diktatur und den Zwängen derer, die in ihr überleben wollen. Nicht jeder konnte einfach so mal in die “innere Emigration” gehen und so tun, als würde der Schrecken über ihn hinweggehen. Erwin Strittmatter war 27 Jahre alt, als Adolf Hitler den Krieg anzettelte, der die nächsten sechs Jahre Europa in Flammen setzen sollte. Genau das Alter, mit dem Männer zum Soldatenmaterial für die Kriegsmaschine werden. Das wusste Strittmatter, der nach dem Gymnasium eine Bäckerlehre absolviert hatte, Kellner, Hilfsarbeiter und Tierpfleger gewesen war, genau. 1938 hatte er bei der Thüringischen Zellwolle AG angefangen zu arbeiten. Dann kam die freiwillige Meldung zur SS. Und jener Moment, der auch 2011 noch etwas unklar blieb, als Jahns sein Buch veröffentlichte.Das kein Versuch war, Strittmatter zu verklären oder anzuprangern. Aber was brachte Strittmatter tatsächlich dazu, sich erst freiwillig zur SS zu melden – und dann die freiwillige Meldung wieder zurückzuziehen? Und warum ging er dann im letzten Moment noch zur Schutzpolizei?

Ein Brief Erwin Strittmatters an seinen Bruder Heinrich aus dem Jahr 1940 scheint die Spur zu sein, die zu einer Erklärung führt. Denn dass Strittmatter schon vor 1938 von Beruf zu Beruf tingelte, erzählt ja auch von einer Suche. Hier war einer schon lange dabei, seinen Weg als Schriftsteller zu suchen. In der Werkszeitschrift der Thüringischen Zellwolle AG hatte Strittmatter einige Gedichte veröffentlicht. Und Jahns vermutet wohl zu recht, dass er damit die Aufmerksamkeit von Dr. Walther Schieber auf sich zog, dem Chef dieses “nationalsozialistischen Vorzeigebetriebes”, wie Jahns schreibt, einem Vertrauensmann von Heinrich Himmler und zeitweise Stellvertreter des Reichsministers Albert Speer. Es ist gut möglich, dass dieser begeisterte NS-Funktionär nicht nur die schriftstellerischen Qualitäten Strittmatters ahnte, sondern dass er – wie er es schon einmal getan hatte – Strittmatter als neuen nationalsozialistischen Dichter zu protegieren strebte. Und die Protektion eines NS-Funktionärs ist voller Tücken.Das begriff Strittmatter wohl, als er diesen sonst nicht wirklich erklärbaren Luxusurlaub in einer Villa am Attersee einlegte. Davon erzählt der Brief an seinen Bruder. Am Ende nahm Strittmatter seinen Rücktritt von der freiwilligen Bewerbung bei der SS nicht zurück, sondern meldete sich fast im letztmöglichen Moment noch zur Schutzpolizei. Was auch bedeutete, das er nicht gleich in die vorderste Front zum Verheizen als “Menschenmaterial” geschickt wurde, sondern dass er hinter der Front in den besetzten Ländern zum Einsatz kam – in Polen, in Jugoslawien, in Griechenland und Finnland. Die dokumentierte Geschichte seines Bataillons-Kameraden Josef Heller macht die Geschichte seiner Einheit und wohl auch das Feld seiner eigenen Kriegserlebnisse sichtbar. Ein blutiges Feld, an dem er vor seinem geglückten Absprang als Bataillonsschreiber auch mehr oder weniger direkt beteiligt war.

Die Frage für Jahns war, ob sich davon Spuren in seinen Büchern finden lassen. Und wer genau liest, findet sie auch. Etwas versteckt, manchmal verfremdet. Es sind nicht immer Strittmatters Hauptfiguren, die in diesen Situationen im Mittelpunkt stehen. Und eine Geschichte scheint von einem der frühen Polizeieinsätze in Jugoslawien zu erzählen. “Der entminte Acker” heißt die Erzählung, die Strittmatter nach ihrer ersten Veröffentlichung nicht wieder zum Druck freigegeben hat.

Im Buch “Strittmatter und die SS” hatte Jahns das Schicksal des im Osten erfolgreichen “Volksdichters” mit dem des im Westen erfolgreichen Günter Grass verkoppelt, der seine Mitgliedschaft als 17jähriger in der Waffen-SS auch erst spät publik machte. Es wurde beiden Schriftstellern zum Vorwurf gemacht, dass sie darüber Jahrzehnte lang geschwiegen haben. Was wären das für Bücher geworden, hätten beide über diese Erlebnisse, Verirrungen, Verstrickungen schon früher geschrieben?

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Oder soll man besser sagen: schreiben dürfen? – Im einen Teil Deutschlands war diese Art der Verstrickung fast völlig tabu. Der erste, der mit den Erlebnissen bei der Waffen-SS öffentlich umging und daraus bedrückende Kunstwerke schuf, war eigentlich der Maler Bernhard Heisig. Und im westlichen Teil des Landes hatten Landser-Romane und die verklärten Erinnerungen der eigentlichen Täter den Markt besetzt. Wer nicht in den Dunstkreis dieser Literatur geraten wollte, berührte auch das Thema nicht. Auf weiten Umwegen hat sich Grass dann spät dem Thema genähert.

Ein Thema, das die deutschen Historiker noch immer meiden. Sonst hätte nicht einer wie Joachim Jahns erst einmal die ganze Archivarbeit leisten müssen – zwar anfangs für ein anderes Buch aus seinem Verlag, das durch die Klage eines ehemaligen SS-Mannes bedroht war. Aber als der “Fall Strittmatter” hochkochte, war Jahns einer der wenigen, der überhaupt ahnte, worum es tatsächlich ging.

Am heutigen Samstag, 16. März, um 14 Uhr ist Joachim Jahns mit “Erwin Strittmatter und der böse Krieg” zu Gast in der Buchhandlung Hugendubel (Petersstraße 12-14). Die Veranstaltung wird moderiert von Henner Kotte und Ine Dippmann.

Joachim Jahns “Strittmatter und der böse Krieg. Biografische Nachträge”, mit einer farbigen Reproduktion, Dingsda Verlag, Leipzig 2013, 12,90 Euro

Strittmatter im Dingsda-Verlag: www.dingsda-verlag.de/katalog/strittmatter.php

Walther Schieber auf Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Schieber

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