Es ist Sommer. Irgendwie. Zeit, die Koffer zu packen und abzuzwitschern - irgendwo hin. Träume erfüllen. Wenn's drin ist. Auch die Jugendbuchabteilungen sind wieder gut gefüllt mit Ferien-Abenteuer-Büchern. Aber was ist eigentlich, wenn sich zwei eine solchen schönen Urlaub auf Kreta gar nicht leisten können, weil die Arbeit als Kellnerin gar nicht soviel einbringt, dass sich die alleinerziehende Ulrike einen Kreta-Urlaub mit ihrer Tochter Sophie leisten könnte?

Es ist wie so oft. Man darf sich von der Cover-Gestaltung nicht täuschen lassen. Es gibt auch Jugend-Sommer-Ferien-Geschichten, da beginnt das Drama eigentlich schon davor. Kreta ist weit. Und wäre Ulrike neben ihrem Job als Kellnerin nicht auch noch fleißige Kreuzworträtsel-Löserin, der Flug auf die griechische Insel der Mythen wäre gar nicht drin. Aber das Zauberwort Hekate hilft. Das Drama kann beginnen. Und es beginnt schon damit, dass die Reisegruppe, die Ulrike und Sophie am Flughafen treffen, ganz anders ist als Reisegruppen, die man sonst so erwartet. Sie kriegen schnell spitz, dass sie mit einer ganzen Gruppe Lehrer auf Reisen gehen. Und auf Kreta geht’s erst mal gar nicht um Sonne, Sand und Meer – sondern um Bildung. Was natürlich schief gehen muss. Nicht nur weil Sophie, die so happy ist, mit ihrer Mama endlich mal einen richtigen Ferienurlaub machen zu können, 14 Jahre alt ist. Was ja schon alles bedeutet. Und dass dann auch noch ihr Mathelehrer mit dabei ist, macht es noch ein bisschen rätselhafter: Warum ist der dabei? Und warum allein?

Und warum macht Mama, die doch selbst ewig keinen Urlaub hatte und so einen schon gar nicht, alles mit, was der Reiseleiter sich ausgedacht hat? – Sind ja keine Dinge für Faulpelze und Feiglinge: Finstere Höhlen gehören dazu, mal eine, in denen ein Götterstar wie Zeus verborgen wurde, mal eine, in denen sich die Einwohner vor der deutschen Wehrmacht versteckten, Schlangen gehören dazu und ein Besuch im Königspalast, der für die ganze Reisegruppe im Gefängnis endet. Da halten die schönen Sandalen mit den Glitzersteinen nicht lange, da braucht es eher feste Wanderschuhe.Und von einer schönen Strandbräune kann Sophie, die das Ganze aus ihrer Perspektive erzählt, nur träumen. Sie ist hin und her gerissen. Sie hat ihre eigenen Träume im Gepäck, bekommt aber bald auch so eine Ahnung, dass auch Mama ihre Träume mit eingepackt hat, sich das nur nicht eingestehen will. Was neue Komplikationen mit sich bringt, denn ganz gefühllos sind auch Lehrer nicht, erst recht nicht, wenn sie ihre Ferien zu einer Bildungsreise nach Kreta nutzen, wo sie einmal nicht alles wissen müssen und Zeit genug haben, sich auch mit ihren zufälligen Mitreisenden zu beschäftigen, die anfangs überhaupt nicht in die Truppe zu passen scheinen. Was sich bestätigt, als die ersten Verwicklungen sich anbahnen, denn wenn man 14-jährige Mädchen schon mal nach Kreta lässt, dann erwarten sie dort ja zumindest den einen oder anderen griechischen Gott – auch wenn der erst 15 ist und in der Küche aushilft.

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Also haben auch seine Erziehungsberechtigten ein Wörtchen mitzureden. Das Schicksal greift ein und alles wird komplizierter – und aufregender. Denn wenn Mädchen wie Sophie schon einmal auf antikem Terrain sind, dann wollen sie auch die mythischen Erfahrungen machen, die man als Mädchen erwarten darf. Es leben zwei Seelen – juchhe – in ihrer Brust: die eine ist eine Abenteurerin, die sich auch von mütterlichen Verboten nicht aufhalten lässt und eigentlich schon lange darauf wartet, endlich in die Freiheit entlassen zu werden, die andere ist ein großes kluges Mädchen, das sogar noch wachen Auges sieht, in welche Abenteuer ihre Mama sich verwickelt. Auch wenn die natürlich eisern gar nichts zugibt. Auch nicht vor sich selbst.

Geht das zusammen? – Es geht. Und es sorgt für eine turbulente Woche, in der auch Hekate noch ihre Rolle spielt, die Liebenden zu ihrem Recht kommen und die Lehrer richtig froh sind, dass ihre Bildungsreise nicht so dröge wurde, wie erwartet. Und in fast kästnerscher Leichtigkeit dürfen die Leser miterleben, wie schön ein Urlaub sein kann, der eben keine Routine ist, sondern ein glückliches Geschenk. Auch eines, das Mama und Tochter neue Einsichten über sich selbst und ihre Beziehung verschafft. Beziehungen geraten ja immer wieder gern in ausgefahrene Gleise. Irgendwann findet frau sich damit ab, dass Männer Nestflüchter sind, wenn schon der erste einer war. So ein oller Seemann eben. Oder doch nicht? – Mit Sophies kritischen Augen betrachtet sind die Dinge alle ein bisschen anders. Ein Mädchen muss doch nur den Mut haben, ihren Träumen hinterherzujagen. Und sei’s durch tiefe Wellen und steile Klippen hinauf. Auch wenn der Gott mit den funkelnden Augen kein Wörtchen Deutsch versteht. Aber braucht es das überhaupt?

Sophie ist zwar – wie wohl alle Mädchen in ihrem Alter – voller Angst, sich peinliche Blößen zu geben. Aber irgendwann ist ihr das ziemlich egal. So ganz am Rand ist das Buch auch eine Geschichte von unserer gepflegten mitteleuropäischen Steifheit. Auch deshalb fahren wir ja zum Urlaubmachen ganz weit weg. Wo uns mal niemand sieht, wenn wir ein Weilchen nicht funktionieren. Die meisten, so verraten ja die Statistiken, erholen sich dort gar nicht, sondern geraten nur aus einem Stress in den anderen. Für Sophie und Ulrike Fischer wird die Reise nach Kreta zu einer kleinen Begegnung mit ihren ganz speziellen Göttern. Und die haben Humor. Und ein Herz für Verliebte. Und wenn erst mal so ein Liebesgefühl im Bauch hockt, dann ist das mit den Erwartungen der anderen Leute sowieso eine andere Sache.

Ein Buch für alle, denen die Erwartungen der bräsigen Mitwelt derzeit gewaltig auf die Nerven gehen. Ein Korbsessel, ein Glas mit Sprudel und eine Platte mit Sirtaki-Klängen wird sich schon finden. Kreta ist überall. Wenn man nur will.

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