Das Jahr 2013 ist im Eimer, in der Box, in der Tonne. Abgehakt. Es war so durchwachsen wie alle Jahre zuvor. Und genauso grauenvoll, was das Personal betrifft. Das politische zumal. Wenn er nicht gerade Filmclips zu Wagner oder Völkerschlacht zeichnete oder seinen Schweinevogel auf die Couch schickte, dann fand Schwarwel auch 2013 irgendwie Zeit, die Narreteien der politischen Welt in Karikaturen festzuhalten.

Etliche davon erschienen auch auf l-iz.de. So treffend, dass die Verstörung beim Anschauen natürlich nicht ausblieb: “Aber das haben diese Leute doch ernst gemeint!” Dieser französische Obelix-Darsteller zum Beispiel, der sich zum russischen Staatsbürger machen ließ, weil ihm die Steuern zu hoch waren. Oder dieser streng gescheitelte Intendant, der die Zwangsabgabe für seinen Sender gleich mal zur Demokratieabgabe erklärte und damit eigentlich auf den Punkt brachte, was hoch bezahlte Senderbosse in Deutschland eigentlich von Demokratie halten. Nebenbei war ja auch noch Wahlkampf mit einem SPD-Kandidaten, der Emotionen zeigte und dafür im September vom Wahlvolk gnadenlos abgestraft wurde. Das Wahlvolk, das bei Schwarwel wieder in schöner alter Tradition als Michel auftaucht, der lieber die graue Tristesse wählt als auch nur das Wagnis, eine winzige Retusche einzugehen.

Lieber schaut man mit freudigem Entsetzen zu, wie ein Kriegsminister teures Spielzeug bestellt und ein Innenminister die Ausspähung der Bürger durch zwei fremde Geheimdienste keineswegs besorgniserregend findet. Eine Bundeskanzlerin, die in den Trallala-Modus schaltet. Und da ist noch gar nichts von den seltsamen Eiertänzen in der Europapolitik gesagt, von einer hilflosen Syrienpolitik und einer Abschottungspolitik gegen die Asylsuchenden an den Südküsten Europas, die von technokratischer Herzenskälte getragen wird.Dagegen sind auch Demokratien nicht gefeit: dass Narren die Welt regieren und ihre Narreteien mit bärischem Ernst in die Nachrichtenkanäle spülen. Und es sind nicht nur durchgeknallte Bürgermeister in London oder Kanada, die das betrifft. Die Narretei hat in einigen Parteien und Regierungen durchaus System. Was ein bisschen mit dem Wähler zu tun hat, mit Michel und Micheline, die am liebsten das wählen, was sie verstehen und was ihnen vertraut ist. Die große politische Bühne ist ein Spiegel der kleinen heimischen Bühne. Es verblüfft nur, wenn der Pantoffelgeist, der sich sonst nur hinter verschlossenen Wohnungstüren ausrülpst, auf einmal vom Rednerpult der Parlamente lamentiert. Oder wenn die Schweizer eine Abschottung in der Abschottung beschließen oder mal wieder jemand ausrechnet, dass Familien mit Kindern nach Strich und Faden betrogen werden, weil Rentner für die mittelmäßige Prachtpolitik das bessere Wahlvolk sind, weil sie so viele sind und nicht (mehr) an Morgen denken.

Eigentlich kein großes Ding. Mittags checkt Schwarwel, wie er verrät, einfach die Newsportale, aus denen die Narreteien der modernen Menschheit heraussuppen. Schnappt sich die ein oder andere, entkleidet sie ihres theatralischen Gehabes – und siehe da: Da stehen sie, nackt und in all ihrer Ignoranz, die Darsteller des modernen Welttheaters. Großmäulig und gnadenlos, berechenbar und heimtückisch. So überfordert von allem, was sie anpacken, dass man Kurt Vonnegut nur noch zustimmen kann: Diese Spezies wird es nicht schaffen.

Man fühlt sich mit unerbittlicher Klarheit an ein Buch erinnert, das 2008 erschien: “Die Diktatur der Kleinbürger” von Joska Pintschovius. Beschrieben wurde die Spezies schon von Balzac. Mit wohligem Entsetzen. Dieser Typ Mensch, der in allem flau und grau und mittelmäßig ist, hat sich über die Jahrhunderte hochschlawinert. Bis in die Spitzenämter, wo er sich zum Vorbild feiern lässt – und nebenbei die Steuern hinterzieht. Man nennt ihn seit ein paar Jahren die “Mitte” und es sind ja bekanntlich Leipziger Forscher, die belegt haben, wie chauvinistisch, fremden- und änderungsfeindlich diese Mitte ist. Und wie nah sie den Extremen ist.

Dass das immer wieder mit bräsiger Selbstgefälligkeit obenauf schwimmt, das kann ein kluger Kopf wie dieser Schwarwel aus Leipzig schon als unverhüllte Beleidigung empfinden. Und seine Karikaturen sind entsprechend bitter, böse und frustrierend. Und in dieser sichtlichen Frustration auch wie eine tägliche Arznei: Es beruhigt zu wissen, dass man nicht allein verzweifelt und sich von Gierhälsen, Lügnern, Abhorchern, Raffern, Egoisten und anderen wunderschönen Exemplaren der Gattung Mensch regiert sieht und der vorm Fernseher verblödete Nachbar daran überhaupt nichts Schlimmes finden mag. Auch keine Angst hat, dass das auch unsere Gesellschaft zerfrisst. Warum sollte Michel mutiger sein als die Leute, die er gewählt hat?

Es war ein hartes Jahr für vernünftige Leute. Es war ein beklemmendes Jahr. Nun steckt es in diesem Band, der zwei genauso scharf gezündeten Bänden mit den Titeln “Die Bändigung des Kapitalismus” (2011) und “Die Welt des Wissens” (2012) folgt. Für alle, die noch mitfiebern und mitbangen um diesen kleinen, so geschundenen Planeten. Wie lange hält der das noch aus? Wann kommt das große Krawumm?

Na gut, bis dahin kann man Kurt Vonnegut lesen, die beste Medizin gegen all die falschen Illusionen, die man sich immer wieder macht über die Fähigkeit des Menschen zu lernen, wie man aus dem Schlamassel wieder herauskommt. Dazu ist die Lust des Mannes der Mitte auf ein ordentliches Schlamassel einfach zu groß. Was dann auch schon die Garantie dafür ist, dass es 2014 so weiter geht wie 2013. Der nächste Karikaturenband von Schwarwel ist garantiert. Zur Leipziger Buchmesse im nächsten Jahr ist er da.

Schwarwel “Zu Besuch bei Freunden. Karikaturen & Cartoons 2013 (plusminus)”, Glücklicher Montag, Leipzig 2014, 9,90 Euro

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