Irgendwie kann man dem wohl nicht ausweichen. Jedes Jahr im November werden die Buden auf den Markt gesetzt, die Finnen heizen ihren Glögi an, der St. Benno-Verlag erinnert daran, dass der Weihnachtsmann mal ein St. Nikolaus war, und aus dem Erzgebirge dringt ein heller Schein. Und der Buchverlag für die Frau legt einen Klassiker nach 20 Jahren wieder auf: das "Erzgebirgische Weihnachtsbüchlein".

Das Büchlein erschien 1994 zum ersten Mal und beschrieb damals einen Prozess, der gerade erst begonnen hatte: für das Erzgebirge ein Vermarktungsbild zu finden, ein Label, das so treffend und unverwechselbar war, dass man damit Werbung in Reise- und Urlaubskatalogen machen konnte. Denn eines war damals ja klar: Die Industrie war größtenteils im Eimer, man musste sich auch im Erzgebirge neu orientieren. Urlaubslandschaft war es auch vorher schon. Und die Holzschnitzer aus und um Seiffen waren weltberühmt. Selbst in DDR-Zeiten brachten ihre kleinen Kunstwerke Devisen in die Kasse. Das “Weihnachtsland” nahm Gestalt an.

Noch gab es die billigere Konkurrenz aus Fernost nicht. Noch waren die Schlachten um die Gunst der Kunden andere. Aber zumindest eines war klar: Was hier im Lauf von zwei, drei Jahrhunderten an Unverwechselbarem entstanden war, das war so einmalig, dass man sich auch gegen Nachahmer schützen muss. Das Büchlein zeigte schon damals nicht nur die ganze – zuweilen fast naive – Schönheit der kleinen Holzfiguren aus dem Erzgebirge.Es erzählt auch die Geschichte des Holzschnitzerhandwerks, die schon früh – wahrscheinlich schon im 16. Jahrhundert – aufs Engste verbunden war mit dem Auf und Ab im Silberbergbau. Denn wenn die Silberadern erschöpft waren und Flaute einkehrte im Silberbergbau, dann waren die Bergleute auf einen Zweiterwerb angewiesen. Die Holzschnitzerwerkstätten vermehrten sich, um in Zeiten neu erschlossener Silberadern wieder weniger zu werden.

Rainer Crummenerl und Dr. Konrad Auerbach erzählen aber auch, wie die vielen heute so typischen Weihnachtsfiguren entstanden und warum sie so sind, wie sie sind: zutiefst christlich nämlich. Denn der Beginn war nicht das Spielzeug – das kam dann später auch dazu -, sondern waren die Weihnachtskrippe und die tiefe Sehnsucht der Bergleute nach Licht. Mancher kauft sich heute einfach mal so einen Schwibbogen und weiß gar nicht, dass der Schwibbogen in seinem Ursprung unter anderem auch einen Eingang zum Stollen symbolisiert, dargestellt durch die Bergwerkslampen, die halbkreisförmig aufgehängt wurden. Denn unten im Schacht war der Bergmann verloren, wenn er kein Licht hatte. Und oben über der Erde war er selig, das Sonnenlicht wieder zu sehen.

Die tiefe Gläubigkeit hatte also auch ganz elementare Wurzeln. Und die beiden Autoren erzählen natürlich auch, wie die erste Weihnachtskrippe entstand – und wie sie die Heimstätten der Bergleute eroberte, lange bevor auch nur ein geschäftstüchtiger Händler auf die Idee kam, einzelne Figuren oder ganze Krippenensembles auch auf die Märkte zu bringen.

Und natürlich war auch das Holzspielzeug, das die erzgebirgischen Schnitzer herstellten, zutiefst von ihrem eigenen Leben geprägt – angefangen beim Lichterengel (der durchaus auch für die Zahl der Mädchen im Haushalt weihnachtlich auf der Fensterbank leuchtete) über den leuchtenden Bergmann (der dann die Jungen im Haus symbolisierte) bis hin zu den Weihnachtspyramiden, die erstmals im 18. Jahrhundert auf den (Weihnachts-)Märkten auftauchten und über die die Forscher bis heute rätseln: Gibt es hier vielleicht gar Vorbilder in Thüringen oder Bayern? Oder haben die Erzgebirgler einfach das ihnen bekannte Göpelwerk zum Vorbild genommen, um dieses mechanische kleine Kunstwerk zu schaffen? Um 1820 war es auf jeden Fall ausgereift und brachte all das, was man schon aus der erzgebirgischen Schnitzkunst kannte, zum Laufen: die ganze Gesellschaft aus dem Krippenspiel, die weihnachtlichen Prozessionen, die Kurrendesänger, manchmal auch das ganze Leben der Bergleute über und unter der Erde.Aber das war ja bekanntlich nicht die letzte Erfindung der Erzgebirgler. Auch die Räuchermännchen und die Nussknacker kommen aus ihren Werkstätten, beide Typen bekannt dafür, dass ihnen die Schöpfer die Uniformen ihrer Zeit anzogen. Und die prächtigsten Uniformen bekamen ja bekanntlich die Nussknacker: Könige, Gendarmen, Oberförster – die ganze Obrigkeit, die nun für den kleinen Mann die großen Nüsse knacken musste. Die Spieldose sei noch erwähnt, die berühmte Spanschachtel, in die ein ganzes Krippenspiel passte, oder der aus der Not geborene Versuch, Holz zu sparen und kleine Krippenfiguren für eine Streichholzschachtel zu fertigen.

Die beiden Autoren unterfüttern die kenntnisreichen Ausflüge in die Geschichte der erzgebirgischen Holzkunst mit zahlreichen Texten, vor allem heimischer Dichter, so dass man auch noch ein bisschen von der erzgebirgischen Mentalität und Mundart mitbekommt, diesem leicht gedämpften Humor eines Bergvolks, das immer mit knappen Ressourcen auskommen musste, sich in der Regel auch lange Winter hindurch bei hohem Schnee gut vertragen musste und deshalb den Spott über die andern und die lausige Welt lieber herunterdimmte, lieber mit qualmender Pfeife auf der Ofenbank saß und sich freute, dass der Rücken warm war.

Die zahlreichen Abbildungen im Buch zeigen die Vielfalt der erzgebirgischen Schnitzkunst, wie sie im Spielzeugmuseum Seiffen zu bestaunen ist. Neu angefügt sind die Kapitel zur heutigen Ausbildung als Holzspielzeugmacher in Seiffen und die markenrechtlich eingetragene Erzgebirgische Volkskunst.

Bestellen Sie dieses Buch versandkostenfrei im Online-Shop – gern auch als Geschenk verpackt.

Erzgebirgisches Weihnachtsbüchlein
Rainer Crummenerl; Dr. Konrad Auerbach, Buchverlag für die Frau 2014, 5,00 Euro

Man kann zwar da und dort preiswerte Nachahmungen aus Ländern bekommen, die mit der Weihnacht eigentlich nichts am Hut haben. Aber wirklich echt – und längst auch in vielen neuen Schöpfungen begabter Künstlerinnen und Künstler erhältlich – ist das Schnitzwerk nur mit dem Herkunftssiegel. Bekanntlich hat das Marketing ja funktioniert. Die kleinen Kunstwerke aus Seiffen sind wieder ein Verkaufsschlager. Seiffen selbst ist zum Pilgerort der Weihnachtsliebhaber geworden, eigentlich für alle, die beschlossen haben, zum Jahresende noch einmal Kind zu sein und mit strahlenden Augen zuzusehen, wie es leuchtet in Krippen, Pyramiden, Schwibbögen oder am zufrieden dreinschauenden Lichtengel.

www.buchverlag-fuer-die frau.de

www.erzgebirge.org

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar