Der Torgauer Geschichtsverein ist fleißig. Ganz ähnlich wie der Leipziger Geschichtsverein veröffentlicht er konsequent neue Erkenntnisse zur eigenen Stadtgeschichte. Auf 17 Bände ist die eindrucksvolle Reihe der Schriften zur Torgauer Stadtgeschichte schon angewachsen. Mit diesem Band wird eines der eindrucksvollsten Gebäude der Torgauer Altstadt vorgestellt, das Haus des einstigen Bürgermeisters und Kaufmanns Paul Ringenhain.

Es hätte auch ganz anders kommen können. Auch in Torgau war die Bausubstanz der Häuser in der historischen Altstadt 1989 völlig heruntergekommen. Jahrzehntelange Vernachlässigung drohte so manches Haus in der praktisch geschlossen erhaltenen Altstadt zu Totalverlust werden zu lassen. Obwohl auch der damalige Denkmalschutz um die Einzigartigkeit dieser Häuser wusste. Auch um die des Ringenhain-Hauses, dem man von außen längst nicht mehr ansah, was für ein repräsentatives Haus sich Paul Ringenhain hier hatte errichten lassen.

Ein Mann, der zwar nur durch alte Akten erfassbar wird, aber dennoch gehört er zu den markanten Ratsherren in der Torgauer Geschichte. Auch weil er – neben fünf weiteren Torgauer Ratskollegen – 1629 auf dem Gerechtigkeitsbild aus der Torgauer Ratsstube abgebildet wurde, dessen Titel auf die Rolle der Ratsherren als Schöffen hinweist: salomonisches Urteil.

Eine Aufsteigerfamilie

Jürgen Herzog, Herausgeber des Buches und Besitzer des Ringenhain-Hauses, schreibt zwar: „Geisteshaltung, Bildung, kulturelle Identifikation, aber auch das Bedürfnis nach Repräsentation Paul Ringenhains lassen sich auf der Grundlage der Aktenüberlieferung der Stadt nicht klären. Hierfür kann nur die wichtigste Hinterlassenschaft, sein Wohnhaus, Anhaltspunkte geben.“ Nur um sich dann teilweise selbst zu widerlegen, wenn er akribisch die Geschichte der Familie Ringenhain herausarbeitet. Natürlich aus Akten.

Und die erzählen von einer Aufsteigerfamilie – angefangen vom Paul Ringenhain, der 1531 erstmals als Pfahlbürger im Türkensteuerregister auftaucht, also noch ohne Grundbesitz in Torgau, wahrscheinlich aus dem Umland zugewandert. Er war Böttchermeister und konnte, mutmaßlich nach der Heirat mit der Tochter eines Gürtlermeisters, schon 1534 ein Haus erwerben.

Die folgende Geschichte der Ringenhains ist die eines sozialen Aufstiegs, bei dem einzelne Familienmitglieder zunehmend Grundstücke erwerben und nach und nach in die bürgerliche Oberschicht der Stadt aufsteigen, aus der sich die Ratsherren rekrutierten. Schon in der Kindergeneration gibt es den ersten Bürgermeister in der Familie.

Der Paul Ringenhain, um den es in dieser Geschichte geht, ist ein Enkel des ersten Paul Ringenhain, Sohn von Johann Ringenhain (und Neffe von Paul (II) Ringenhain). Schon 1591 übertrug Johann Ringenhain sein Haus in der Breiten Gasse an seinen Sohn Paul, der wahrscheinlich 1592 heiratete. Dasselbe Jahr, in dem sein Haus in Flammen aufging.

Was damals durchaus Stadtgespräch gewesen sein muss, denn Hausbrände wurden eher selten in der Chronik der Stadt festgehalten. Andererseits war es auch ein Haus mit mehreren Braurechten. In Torgau maß sich der Reichtum einer Familie an der Menge der Braurechte, die sie besaß. Denn Torgisch Bier war beliebt und wurde weit über die Stadtgrenzen hinaus exportiert – auch nach Leipzig.

Mit Bier konnte, wer solche Braurechte besaß, richtig gut Geld verdienen. Zumindest bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Tuche waren das zweite Handelsgeschäft, mit dem Paul Ringenhain Geld verdiente. Doch schon als junger Mann hatte der 1574 Geborene genug Geld, um das bis auf die Kellergewölbe heruntergebrannte Haus 1596 komplett neu errichten zu lassen.

Die Faszination alter Bürgerhäuser

Genau von diesem Haus ist hier die Rede. Es faszinierte Jürgen Herzog schon lange, bevor er es kaufen konnte. Und das, obwohl die Schönheit der Innenräume praktisch nicht mehr zu sehen war. Die einst präsentablen Räume waren abgeteilt, die Wände mehrfach übertüncht und mit Tapeten überklebt, die Decken abgehängt, vieles gerade im 19. und 20. Jahrhundert herausgebrochen worden.

Was heute beim Besuch des Hauses besichtigt werden kann, war noch im Jahr 2000 bestenfalls zu erahnen. Erste restauratorische Untersuchungen gab es ab 1994 und dann systematisch ab 2001. Bis 2007 wurden dann immerhin die wichtigsten Teile des Hauses restauriert. Einzelne Arbeiten gingen bis 2016 weiter. Diese Geschichte erzählt in diesem Band Peter Ehrhardt, der diese aufwändigen und ohne Fördermittel kaum denkbaren Restaurierungsarbeiten leitete und protokollierte.

Seine Erläuterungen erinnern zu Recht an die beiden Bücher, die Achim Ilchmann über das von ihm erworbene Rokoko-Stadthaus „Zum güldenen Heer“ in Erfurt geschrieben hat.

Denn solche Häuser leben davon, dass ihre Käufer den Wert der in weiten Teilen noch original erhaltenen Häuser erkennen und die Geduld und das Fachverständnis mitbringen, den ursprünglichen Zustand so weit wie möglich wieder herzustellen. In Ilchmanns Fall, um das Haus dann in seiner Rokoko-Schönheit selbst zu bewohnen. Während das Bürgermeister-Ringenhain-Haus besichtigt werden kann.

Eine „gute Stube“ – wie das Torgau Informations Center anpreist – wird man freilich nicht zu sehen bekommen. Die „gute Stube“ ist eine kleinbürgerliche Erfindung des 19. Jahrhunderts. Paul Ringenhain hätte damit wohl auch nichts anfangen können. Sein Haus erzählt dafür von Statusbewusstsein und Repräsentationsbedürfnis. In Teilen ist sogar sein einstiges Büro als Kaufmann mit der gut verschließbaren Kammer für die wertvollen Dokumente dahinter noch zu sehen, auch wenn hier im Erdgeschoss lange Zeit eine Kneipe und kleine Läden untergebracht waren.

Die Kneipe wiederum entstand anfangs auf Basis der Schankrechte, die Ringenhain mit seinen Braurechten ja ebenfalls erworben hatte.

Wie freilich in den Nebengebäuden im Hinterhof einst gebraut wurde, ist nicht mehr zu sehen. Dazu ist diese Nutzung des Grundstücks zu lange her.

Wohnen wie die Fürsten

Aber kleine Teile des Alltags in einem solchen bürgerlichen Haushalt des 17. Jahrhunderts sieht man trotzdem. Zwei Küchen konnten rekonstruiert werden. Und wo die Kammern des Hausherrn und seiner Familie lagen, lässt sich zumindest vermuten.

Das Besondere aber ist, dass wichtige Teile der Innenarchitektur bis heute erhalten sind. Herzog geht schon in seinem Teil der Geschichte ein auf die wieder hergestellte Schönheit der beiden große Dielen im ersten und zweiten Obergeschoss, die eindrucksvolle Treppe von 1620 und die faszinierenden Saalstuben, in denen die Deckengestaltung der Erbauungszeit genauso zu sehen ist wie die teilweise wieder sichtbar gemachten Wandmalereien und die farbige Schönheit der Türen. Sie allesamt künden davon, wie ein Torgauer Kaufmann und Ratsherr hier versuchte, dieselbe Pracht zu entfalten, wie sie im nahen Torgauer Schloss zu sehen war.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit hatte Ringenhain mehrfach Gelegenheit, einige der prächtigen Stuben im Schloss Hartenfels zu sehen. Und er konnte auch namhafte Maler beauftragen, für ihn ganz ähnliche Bildkonzepte auch in seinem Haus umzusetzen. Das beeindruckendeste davon ist wohl die Bilderdecke in der Engelstube, die der Maler Nikolaus Rosman gemalt haben dürfte, als er sich1631 – kriegsbedingt – in Torgau aufhielt. Sebastian Schulze beleuchtet dieses besondere Schmuckstück in seinem Beitrag besonders genau.

Während Angelica Dülberg ausführlicher auf all die anderen wieder hergestellten Kunstwerke im Haus eingeht – die Türbemalungen, den Jagdfries in der sogenannten Trinkstube, die Wächterfiguren ebendort und die wahrscheinlich um 1620 entstandenen Deckenbemalungen. Auch hier fällt ihr auf, dass viele Motive ganz offensichtlich den Grafikmappen niederländischer Künstler entnommen waren, die es damals auch auf den Leipziger Messen zu kaufen gab. Messen, die auch Ringenhain als Tuchhändler mehrfach besucht haben dürfte.

Die Weltsicht eines tugendhaften Kaufmanns

Und es stimmt natürlich, wenn Herzog schreibt, dass dieses Haus und seine eindrucksvolle Innengestaltung sehr viel über den Kunstsinn und den Geschmack von Paul Ringenhain erzählen.

Was natürlich fehlt, ist das ganze originale Mobiliar. Nur zwei repräsentative Einbauschränke haben überdauert. Aber die Befunde an den Wänden ließen auch die ursprünglich hier montierten Borde, Vertäfelungen und Sitzbänke erahnen, die in der Restaurierung der Räume in Teilen wieder hergestellt wurden. Und der Wandschrank mit den Tugenden in den vier Feldern erinnert eben nicht nur an Ringenhains Arbeit als Ratsherr, sondern auch an sein humanistisches Verständnis.

Abgebildet sind Weisheit, Geduld, Mäßigung und Keuschheit. Das „könnte seinen grundsätzlichen Lebensansichten entsprochen haben“, schreibt Herzog.

Der freilich auch vergeblich nach einem möglichen Studium des jungen Paul Ringenhain gesucht hat. Was durchaus überrascht, denn Bürgersöhne studierten damals in der Regel an einer der angesehenen Universitäten im Land – in Wittenberg oder Leipzig, um durch diese Qualifikation frühzeitig in den Rat aufgenommen zu werden, wo gerade juristisches Grundverständnis besonders gefragt war.

Gestorben ist Paul Ringenhain dann in der krisenhaftesten Zeit, die das einst prächtige Torgau erlebte, das ja schon zuvor seine Rolle als Residenz verloren hatte. Aber als Sachsen in den Dreißigjährigen Krieg hineingezogen wurde, wurde auch Torgau nicht verschont. Die Stadt wurde von den Schweden besetzt. Und mit der Besatzung kam dann die Pest, die auch die Rasherren dahinraffte. Ab 1630 lag wohl die Hauptlast der Ratsarbeit – und damit das Verhandeln mit den Besatzern – bei Paul Ringenhain, der 1536 aus seinem Amt krankheitsbedingt ausschied und im Folgejahr starb.

Die Wohnkultur der reichen Bürger

Ist sein Haus also ein ganz besonderes Kleinod? Was die Repräsentativität betrifft, ganz bestimmt. Aber manche Ausstattungsmerkmale findet man dieserart auch in einigen der anderen erhaltenen Bürgerhäuser in anderen sächsischen Städten aus dieser Zeit. Es sind nicht allzu viele.

Denn das Augenmerk auf die Schönheit bürgerlicher Wohnhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist erst spät gewachsen. Lange beschränkten sich auch die Denkmalschützer eher auf die üblichen Repräsentationsbauten wie Rathäuser, Kirchen, Schlösser und Burgen, sodass vor allem über die Welt des Adels recht viel bekannt ist.

Dass aber auch die wohlhabenden Bürger Wert auf Schönheit, Kunst und Repräsentation legten, wurde erst in den letzten Jahrzehnten wirklich zum Thema – man denke nur an die Rettung der Cranach-Höfe in Wittenberg. Und natürlich gehört das Paul-Ringenhain-Haus in diese Reihe und lädt geradezu ein, eben einmal nicht über knarrende Parkette in Schlössern und Burgen zu spazieren, sondern auch einmal die Wohnwelt eines Torgauer Kaufmanns und Bürgermeisters zu besuchen.

Und selbstredend erzählt das Buch von der liebevollen und doch aufwendigen Rekonstruktion eben dieser Lebenswelt mit all den einst unter Tapeten und Farbschichten verborgenenen Schönheiten.

Jürgen Herzog (Hrsg.) „Das Bürgermeister-Ringenhain-Haus in Torgau“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2023, 24,80 Euro.

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