Die Bertelsmann-Stiftung hat am Montag, 24. Juni, eine neue Studie zur Bildungsgerechtigkeit in Deutschland vorgelegt - den "Chancenspiegel 2013". Die Studie arbeitet wie so viele andere - nimmt sich die verfügbaren Fakten aus der Statistik und vergleicht sie miteinander. Oder lässt sie vergleichen - in diesem Fall von den Universitäten Dortmund und Jena. Ergebnis seit dem Vergleich 2009 /2010: mäßig. Im deutschen Bildungssystem tut sich nicht viel.

“Insgesamt geht es mit der Chancengerechtigkeit eher im Schneckentempo voran”, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Und benannt damit den Punkt, um den es die ganze Zeit geht: Über den Bildungserfolg entscheidet nicht die Begabung der Kinder, sondern der Geldbeutel der Eltern. Und selbst in Bundesländern, in denen die soziale Spreizung noch nicht so groß ist – wie in Sachsen – geht es eher nicht im die Fähigkeiten der Kinder als um ein staatlich verwaltetes Aussieben.

Dabei betonen die Autoren der Studie extra: “Schulsysteme können nur dann Gerechtigkeit für sich in Anspruch nehmen, wenn sie sämtliche Potenziale von Schülerinnen und Schülern ausschöpfen und keine systembedingten einseitigen Fördereffekte zulassen.”

Nur in einer der vier erfassten Dimensionen, wie es die Studie nennt, landet Sachsen in der Spitzengruppe: Kompetenzförderung haben es die Autoren benannt. Aber hier haben sie überhaupt keine neueren Zahlen. Sie greifen auf die Werte des 2012 veröffentlichen Grundschul-Ländervergleichs zurück, dessen Erhebung 2011 stattgefunden hat. Das zeigt nur, dass die Grundschulausbildung in Sachsen 2011 noch leidlich in Ordnung war. Was sich aber bekanntlich nicht in der Zahl der Bildungsempfehlungen ausdrückte. In anderen Bundesländern bekommen deutlich mehr Kinder die Empfehlung fürs Gymnasium.

Die im Vergleichstest ermittelte Kompetenz differiert also zur per Zensur-Durchschnitt festgelegten Befähigung fürs Gymnasium.

Dazu kommt, dass Sachsen vor zwei Jahren die Kriterien für die gymnasiale Bildungsempfehlung verschärft hat. Ergebnis: Er wechseln noch weniger Kinder aufs Gymnasium als vorher. Der “Anteil der Fünftklässler, die nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechselten”, sank von 2009 bis 2011 von 46,1 auf 41,2 Prozent.

Gleichzeitig sank – was zu erwarten war – das “Verhältnis von Aufwärts- zu Abwärtswechseln der Schüler in den Jahrgangsstufen 7 bis 9” (von 11,2 auf 7 Prozent). Verglichen mit der Reform, die das bewirkt hat, ist diese geringe Absenkung entlarvend. Der Bundesdurchschnitt liegt hier bei 4,2. Und das bei einem Bundesdurchschnitt von 42,1 Prozent von Schülern, die ans Gymnasium wechseln.

Der hohe sächsische Wert spricht dafür, dass die sächsischen Gymnasien keinesfalls integrativ sind, auch wenn die “Dimension”, in der diese Zahlen stehen, “Durchlässigkeit” heißt. Es gibt hier nicht wirklich die differenzierten Förderungen, die auf die einzelnen Schüler zugeschnitten sind. Wer nicht passt und das genormte Tempo nicht mithält, fällt durchs Raster. Es ist ein selektives System, kein förderndes.Sichtbar auch am anderen Ende der Skala, von den Autoren der Studie in der “Dimension” Integrationskraft gesammelt. Und sowohl bei Durchlässigkeit wie auch Integrationskraft kommt Sachsen über das deutsche Mittelfeld nicht hinaus. Das ist eigentlich schon der Vorbote für das, was künftige Leistungsvergleiche im deutschen Bildungssystem zeigen werden: Die bis 2009 /2010 eroberten Spitzenplätze im innerdeutschen Vergleich werden nicht zu halten sein. Sachsen driftet ab.

Schon jetzt zeichnet es sich ab, dass Sachsen die Quote der Schüler, die ohne Abschluss die Schule verlassen, nicht so stark senken kann wie die meisten anderen Bundesländer: Über die 2012 erreichten 9,3 Prozent zeigte sich ja Ministerpräsident Stanislaw Tillich schon hoch erfreut. Aber der Bundesdurchschnitt lag bei 6,2 Prozent. Und das hat viel mit Förderung zu tun, denn nichts anderes ist “Integrationskraft”.

Aber wenn schon 6,4 Prozent der Kinder in Sachsen nicht im Regelschulsystem unterrichtet, sondern ab der 1. Klasse auf eine Förderschule geschickt werden, dann sind 6,2 Prozent bei Schulabgängern ohne Abschluss schlicht utopisch. Bundesweit liegt diese Förderschulquote übrigens bei 4,8 Prozent.

“8,4 Prozent aller Schüler benötigen nach den landesspezifischen Diagnosestandards sonderpädagogische Förderung”, heißt es in der Auswertung. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 6,4 Prozent. Wie Sachsen dazu kommt, viel mehr Kinder als sonderpädagogischen Notfall auszusortieren, ist ein Thema für sich. Dass aber mit dem zunehmenden Lehrermangel in den Schulen die zusätzlichen Pädagogen fehlen, die diesen pädagogischen Sonderbedarf abdecken, hat logischerweise Folgen.

73,3 Prozent einer Ganztagsnutzung lässt Sachsen zwar irgendwie blendend dastehen und sorgt wohl auch dafür, das der Freistaat beim Thema “Integrationskraft” nicht völlig abschmiert. Aber eine Beschäftigung im Hort ist noch keine Ganztagsschule, erst recht, seit der Freistaat alle Lehrer, die hier noch eingesetzt waren, 2012 abgezogen hat.

Natürlich hat so eine Struktur Folgen. Und die Schüler merken es an ihren Zeugnissen. Sachsen war die ganzen letzten Jahre immer stolz darauf, dass es mit erheblich weniger Mitteleinsatz Spitzenergebnisse in den bundesdeutschen Ländervergleichen eingefahren hat.

Aber wenn man das Spiel mit der “Effizienz” überreizt, verschlechtern sich nicht nur einzelne Bildungschancen, sondern das ganze System fährt auf Verschleiß.

Und so ist Sachsen beim Indikator “Zertifikatsvergabe” längst in der “unteren Ländergruppe”. Nicht nur die Quote der Schüler ohne Abschluss liegt um 50 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. Auch der Anteil der Schüler, die die Hochschulreife schaffen, ist niedriger – 40,6 Prozent. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 51,1 Prozent.

Zertifikate sind Lebenschancen, betonen die Autoren der Studie. Wirklich Lebenschancen fördernd war das sächsische Bildungssystem auch 2012 nicht.

Die Studienergebnisse findet man hier: www.chancen-spiegel.de

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