Bestätigt es die Politik des sächsischen Wissenschaftsministeriums? Oder zeigt die neue Statistik aus dem Sächsischen Landesamt für Statistik nur, warum die sächsische Hochschulpolitik derart realitätsfremd ist? Denn was denkt sich eine Wissenschaftsministerin, wenn sie so eine Überschrift liest: "Leichter Rückgang der Studienberechtigten in Sachsen".

So titelte das Landesamt für Statistik am 29. April, als es die Zahlen für die sächsischen Hochschulberechtigten für 2013 vorlegte. “Im Jahr 2013 verließen 9.070 Absolventen die Schule mit allgemeiner Hochschulreife. Das waren 517 Schülerinnen und Schüler bzw. 6 Prozent mehr als 2012. Daraus ergibt sich ein neuer Höchststand der Studienberechtigtenquote für Absolventen mit allgemeiner Hochschulreife von 36,8 Prozent”, schreiben die Kamenzer Statistiker.

Doch die Zahl der Schulabgänger mit allgemeiner Hochschul- und mit Fachhochschulreife sank insgesamt 2013 auf 11.605. “Das waren 1,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Damit erreichte die Zahl der studienberechtigten Schulabgänger den niedrigsten Stand seit 1993”, meldeten die Kamenzer Statistiker und haben bei der zuständigen Ministerin Sabine von Schorlemer vielleicht ein Nicken ausgelöst. Hat sie nun recht mit ihrer rigiden Kürzungspolitik, die sie 2011 eingeleitet hat mit ihrer Anweisung an die sächsischen Hochschulen, über 1.000 Professorenstellen zu streichen?

Eigentlich hätten sich die zurückgehenden Berechtigtenzahlen spätestens 2011 auch bei den Bewerberzahlen an Sachsens Hochschulen bemerkbar machen müssen. Denn der deutlichste Rückgang war schon 2010 passiert, als der erste geburtenschwache Jahrgang der Nachwendezeit die sächsischen Gymnasien verließ. Damals sackte die Zahl der Studienberechtigten in Sachsen von 18.523 im Jahr 2009 auf 12.056 im Jahr 2010 ab. Aber das wurde an den Hochschulen und Universitäten gar nicht gespürt, denn Jahr für Jahr bewerben sich deutlich mehr junge Menschen als überhaupt einen Studienplatz bekommen können. Und in den letzten Jahren verstärkt auch aus den westlichen Bundesländern, weil auch dort die Hochschulen heillos überlaufen sind.

Aber die Nachrichten hat die sächsische Wissenschaftsministerin einfach ignoriert. Mit all den Folgen, die jetzt die Hochschulen ausbaden müssen. Frau Ministerin weiß ja von nichts. Auch den längst sichtbaren gegenläufigen Trend in Sachsen nimmt sie nicht wahr, setzt vielleicht sogar auf den abschreckenden Effekt, wenn bestimmte Studienfächer in Sachsen nicht mehr angeboten werden. Denn gleichzeitig ruft ja die Wirtschaft nach qualifiziertem, ausbildbarem Nachwuchs. Auch hier machen sich seit 2010 die geburtenschwachen Jahrgänge bemerkbar. Doch ändert das etwas am Studienwunsch der Schulabgänger?

“Nach wie vor entscheiden sich nicht alle Studienberechtigten für ein Hochschulstudium”, stellt das Landesamt für Statistik fest. “Aus dem Absolventenjahrgang 2009 begannen 71 Prozent der Studienberechtigten mit allgemeiner Hochschulreife aus Sachsen bis 2012 ein Studium an einer Hochschule in Deutschland und nur 52 Prozent von denen mit Fachhochschulreife.”Womit ein Trend sichtbar wird, der nicht ganz unerheblich ist für die Studierendenzahlen. Die Erlangung der Fachhochschulreife hat an Attraktivität verloren, während ein Abitur am Gymnasium prozentual von immer mehr Schülern angestrebt wird. Auch weil das klassische Abitur auch die Bewerbung auf hochkarätige Ausbildungsplätze in der Wirtschaft erleichtert. Auch das negiert Sachsens Staatsregierung mit ihrem unermüdlichen Kampf gegen den erleichterten Übergang aufs Gymnasium: dass die Jugendlichen oft nur den höherwertigen Bildungsweg einschlagen, um am Ende eine bessere oder überhaupt einmal eine sinnvolle Auswahl unter den Ausbildungsplatzangeboten zu haben. Abiturienten werden von den Unternehmen mit Kusshand genommen. Und insbesondere Mädchen wählen diese Variante des Berufseinstiegs.

Oder mit den Worten der Kamenzer Statistiker: “Frauen zeigen eine niedrigere Studierbereitschaft als Männer. Nur zwei Drittel der Frauen mit allgemeiner Hochschulreife aus dem Jahrgang 2009 entschieden sich bis 2012 für ein Studium. Bei den Männern waren es drei Viertel. Noch seltener beginnen die studienberechtigten Frauen mit Fachhochschulreife ein Studium. Von ihnen hatte im genannten Zeitraum nicht einmal die Hälfte (44 Prozent) ein Studium aufgenommen. Bei den Männern waren es 60 Prozent.”

An so einer Formulierung sieht man, wie sehr die eigentlich unparteiischen Statistiker im Landesamt schon das Denken und Werten der regierenden CDU/FDP-Koalition übernommen haben, die Studium als so eine Art Gnadenerweis für besonders leistungswillige Schüler betrachtet. Es ist das umgekrempelte Elite-Denken, das in Deutschland auch für eine völlig falsche Wahrnehmung der Wirklichkeit sorgt. Und das vor allem eines bewirkt: den jungen Menschen keine eigene Entscheidungskompetenz zuzugestehen.

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Es ist ein klassisches paternalistisches Denken, das sich anmaßt, besser über die Lebensentscheidungen der jungen Sachsen Bescheid zu wissen als diese selbst. Und wenn die ganze Bildungspolitik trotzdem nicht funktioniert, dann schreibt man den Betroffenen einfach fehlende Leistungsbereitschaft zu.

Aber 10 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss erzählen etwas anderes, nämlich wie demotivierend diese Art feudales Herrschaftsdenken ist – insbesondere für jene, die eh schon mit sozialen Hemmschuhen unterwegs sind. Die anderen, die aus ihren Elternhäusern Unterstützung bekommen, die versuchen alle, über diese Barriere der “Bildungsempfehlung” (noch so eine Anmaßung) hinweg zu kommen, um später eine Bewerbung mit Abitur schreiben zu können. Deswegen steigen – trotz der sächsischen Bildungspolitik – auch die Zahlen der Gymnasiasten wieder. Und seit 2013 nun unübersehbar auch die der studienberechtigten Schulabgänger aus den Gymnasien. Die Quote der allgemeinen Hochschulreife stieg von 29,5 Prozent im Jahr 2010 wieder auf 36,8 Prozent an.

Die Statistik dazu: www.statistik.sachsen.de/download/200_MI_2014/MI-84.pdf

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