Was lehrt uns eigentlich der neue INSM-Bildungsmonitor 2017? Am Donnerstag, 17. August, hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) den neuen Report in Berlin vorgestellt. Erstellt hat ihn wieder das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Und herausgekommen ist wieder etwas, was man als Rohlinge-Durchlauferhitzer-Modell beschreiben kann. Um Bildung geht es leider gar nicht.

Was natürlich an der Betrachtungsweise liegt. Darüber haben wir oft genug geschrieben: So, wie die INSM und das IW Bildung betrachten, wird vor allem eine Art betriebswirtschaftliches Modell daraus, in dem es um eingesetzte Gelder (Ausgabenpriorisierung und Inputeffizienz) geht, Durchlaufzeit und Erfolgsquote der Werkstücke – also der zu bildenden Kinder und Jugendlichen (Zeiteffizienz, Integrationsquote, Bildungsarmut).

Allein der Punkt „Bildungsarmut“ zeigt, wo dieser Monitor systematisch blind ist: Er vermengt die Schulabbrecherquote mit der Erfolgsquote im Berufsvorbereitungsjahr und dem Lese-Erfolg im IQB-Test von 2015. Was hat das mit „Bildungsarmut“ zu tun? – Nichts. Die 93 Parameter, mit denen das IW seinen Monitor zusammenbastelt, sind nicht viel mehr als die Rahmendaten des Unternehmens Bildungssystem.

Aber dass dieses System eigentlich immer schlechter funktioniert, wird sogar an einer Stelle sichtbar: „Bundesweit gibt es kaum noch Fortschritte in den Bildungssystemen – bei wichtigen Indikatoren sind sogar Rückschritte zu verzeichnen. Die Schulabbrecherquote unter Ausländern ist in Deutschland in den letzten Jahren gestiegen, der Anteil leseschwacher Schüler hat zugenommen. Die Bildungsarmut unter jungen Erwachsenen dürfte in den kommenden Jahren steigen“, sagte am Donnerstag doch tatsächlich Hubertus Pellengahr, der Geschäftsführer der INSM. „Dies gibt Anlass zur Sorge, besonders in Bezug auf die Chancen- und Teilhabegerechtigkeit. Der demografische Wandel, die Digitalisierung und die Integration sind gewaltige Herausforderungen für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes, die wir nur mit einer besseren Bildung meistern werden. Der Bildungsmonitor zeigt, dass wir über alle Länder hinweg einen Qualitätswettbewerb in der Bildung entfachen müssen.“

Richtige Erkenntnis. Falsche Lösung. Denn genau diesen Wettbewerb befeuert ja die INSM mit ihrem Dauer-Bildungs-Monitor die ganze Zeit. Und sie hat damit Ländern wie Sachsen, die in den diversen Tests immer ganz vorn mitmischen, eine Art Vorbildrolle zukommen lassen, die sie in Wirklichkeit nicht ausfüllen.

Denn wer genau hinschaut, der sieht, dass auch das sächsische Bildungssystem „nicht ausreichend“ ist, wie es Martin Schulz, der SPD-Kanzlerkandidat, formulierte. ErzieherInnen und LehrerInnen machen zwar das Bestmögliche draus – trotz fehlenden Personals, manchmal kaputter Schulen, vollgestopfter Klassenzimmer und Kollegen im Nachholmodus. Aber sie haben keinen Einfluss auf straffe Lehrpläne mit überfrachteten Inhalten, so dass für das eigentliche Lernen-Lernen, Motivieren und Stärken von Schülern keine Zeit bleibt.

Das ist nämlich die Kehrseite des INSM-Effizienzdenkens: Das Schulsystem ist auf ein paar betriebswirtschaftliche Zielparameter geeicht und Politik denkt nur noch darüber nach, wie der schnellgewachsene Standard-Schüler erfolgreich ins Berufsleben geschossen werden kann.

Dass dabei tausende Schüler auf der Strecke bleiben, die nicht mal eine Chance haben, ihr Bildungspotenzial zu entfalten, geht unter. Und das betrifft eben nicht nur die „Abbrecher“. Das Hauptproblem ist die betriebswirtschaftliche Sicht auf Lernen, die aus dem Bildungssystem ein Auslese-System macht. Es trägt sich nicht selbst, weil es an keiner Stelle die Schüler zu echten Lern-Partnern macht, so dass der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten zu einem gemeinsam gestalteten Bildungsprozess wird. Ziel: Ein junger Mensch, der weiß, wie man Probleme erkennt und löst, der naturwissenschaftlich befähigt ist … Pause. Kurz mal schreien. Denn der Blick auf unsere Gesellschaft zeigt, welche Verwüstungen diese Fokussierung aufs „Nützliche“ angerichtet hat: Wir bekommen zusehends eine Gesellschaft, in der die simpelsten naturwissenschaftlichen und mathematischen Fähigkeiten fehlen. Die üblichen Bildungsexperten glauben tatsächlich, dass man so etwas an intelligente technische Geräte auslagern kann.

Aber das Ergebnis sind Menschen, die von technischen Geräten abhängig sind – die Grundvoraussetzungen für Problemlösungen und naturwissenschaftliches Begreifen aber nicht mehr besitzen. Logisch, dass das jeden gesellschaftlichen Diskurs aushöhlt.

Denn ein wirklich gutes Bildungssystem bringt Absolventen hervor, die den Wunsch haben, selbst das Bestmögliche aus ihrem Leben zu machen. Und die ihren Fähigkeiten vertrauen, weil sie gelernt haben, wie man seine (Denk-)Fähigkeit schult. Menschen, bei denen es egal ist, ob sie studieren oder ein Handwerk lernen, weil der Wissenserwerb für einen Beruf für sie ein Lebensanliegen ist – keine lästige Pflicht oder Forderung.

Die INSM nutzte die Vorstellung des Bildungsmonitors natürlich auch wieder, um einer echten Reform dieses Schulsystems, das sichtlich seine Grenzen und Fehlstellen hat, eine Absage zu erteilen.

Zwar wirbt Studienleiter Prof. Dr. Axel Plünnecke „zusätzliche Bildungsausgaben in Höhe von 12 Milliarden Euro jährlich zur Stärkung von Wachstum und Gerechtigkeit. Besondere Schwerpunkte sind dabei auf die Integration von Flüchtlingen, den Ausbau und die qualitativen Verbesserungen der KITAs, den Ausbau von Ganztagsschulen und zusätzliche Kapazitäten für Studierende aus dem Ausland zu legen.“

Aber dann unterlässt er schlicht die Analyse, warum dieses Bildungssystem tatsächlich derart viele junge Menschen scheitern lässt. „Damit die zielgerichteten Ausgaben volle Wirkung zeigen, sollten wir keine Strukturdebatten an den Schulen führen, sondern die Kräfte auf die Stärkung der Qualität konzentrieren“, sagt er.

Man kann aber in einem System, das systematisch junge Menschen aussiebt und scheitern lässt, keine Qualität verbessern. Die Verbesserung der Betreuungsquote allein genügt nicht, allen Kindern wirklich gleiche Chancen zu geben. Und eine „Schulabbrecherquote“ von knapp 9 Prozent erzählt genauso wenig von einem erfolgreichen Bildungssystem in Sachsen wie die eindeutige Feststellung, dass ausgerechnet die Integration von Ausländern im Freistaat unterdurchschnittlich ist: „Die Abbrecherquote unter ausländischen Schülern (Handlungsfeld Integration) war im Jahr 2015 mit 14,8 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt (11,8 Prozent).“

Und dass Sachsens Schulen mittlerweile ein massives Überalterungsproblem haben, gibt im Monitor satte Minuspunkte.

Richtig gut ist Sachsen nur bei der Betreuungsquote in Kitas und Horten. Aber die wird nur zu einem kleinen Teil überhaupt vom Land bezahlt. Da versuchen die Kommunen zu retten, was irgendwie mit richtig viel Geld zu retten ist.

Ergebnis: Der „Sieger“ des Monitors läuft an Krücken. Und da in etlichen anderen Bundesländern der „Aufholprozess“ ebenso ins Stocken geraten ist, sollte man vielleicht auch bei der INSM einmal anfangen darüber nachzudenken, ob die dort gepflegte Sicht auf dieses System nicht ihre Grenzen hat. Und zwar lange, bevor auch nur ein echtes Bildungssystem mit Chancengleichheit für alle entstanden ist.

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