Panta rhei! Alles fließt! Das ist mal ein Motto für ein "Magazin für Wirtschaft und Kultur aus Mitteldeutschland". Aber es gibt leider auch in der Redaktionsmannschaft von "Regjo" gute Zeiten und schlechte Phasen. Mal bekommen sie es hin, den großen Atem der Region anklingen zu lassen, dann wieder zerleppert eine gute Idee in die Unfertigkeit der üblichen Wirtschaftsmagazine.

Derer gibt es ja auch in der Region rund um Harz, Leipzig und Königstein so einige. Aber wer sie sich zu Gemüte führt, hat noch schneller als bei den üblichen Modezeitschriften das dumme Gefühl, dass hier Beliebiges zusammengeworfen wurde. Nicht weil es beliebig ist. Jede einzelne Firmengeschichte, die aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erzählt werden kann, ist wichtig. Doch wenn ein “Regjo”-Heft gut ist, dann schafft es, den Inhalt in einem großen Zusammenhang zu zeigen.

Und Panta rhei wäre einer gewesen.

Und ein Nukleus ist auch da. Man ahnt so ein wenig, dass es da mal zu Beginn der Arbeit an diesem Heft eine Sitzung gegeben hat, bei der man einzukreisen versuchte, was man mit diesem Heft Nr. 4 für 2012 eigentlich erzählen wollte. Damit hob sich schon so manches “Regjo”-Heft von anderen Magazinen aus Mitteldeutschland ab: Der Leser merkte gleich, dass die Macher des Heftes begriffen hatten, dass man auch mit dem gesamten Heft eine Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die tragen muss.

Der Nukleus ist ein Interview mit Prof. Dr. Ingo Pies, Wirtschaftsethiker an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Überschrift verspricht viel: “Wir müssen schnellstens auf den Pfad einer wirklich nachhaltigen Energiewende!” Das wird im Interview nicht ganz abgegolten, auch wenn deutlich wird, dass in der deutschen Energie-Politik die Verantwortung weidlich zu kurz kommt und die “Governance” eher eine Wunschvorstellung ist. Für Pies keine Frage, dass Deutschland so schnell wie möglich eine selbsttragende, umweltfreundliche Energieerzeugung braucht. Das ist immerhin eine Aufgabe, wie sie deutsche Politik noch nie meistern musste.

Doch wenn man sich entschieden hat (und sei es auch unter anderen politischen Farben), dann muss man konsequent dabei bleiben und gestalten. Denn wenn die Dinge in diesen Milliarden-Dimensionen erst einmal laufen, kostet jede Verzögerung, jede Konkurrenzfinanzierung wieder Milliarden.

Aber verantwortungsvolle Steuerleute fehlen. Und Leute, die Nachhaltigkeit zu einer Handlungsmaxime gemacht haben, regieren auch derzeit nicht. Das bräuchte auch geistiges Format. Und da sind leider auch die Grenzen des Heftes. Denn Nachhaltigkeit jetzt auch mit Beispielen zu untersetzen, das ist der leichte Schritt. Das tun die Autoren denn auch. Ein großer Beitrag “Auf den Spuren der Green Economy” zeigt, was in der Region schon alles an Unternehmen der nachhaltigen Art entstanden ist. Ein Kapitelchen würdigt auch “Green Economy in Leipzig”, auch wenn Solarion dann bei der Ansiedlung doch lieber wieder in den Leipziger Süden gegangen ist.Einige Artikel beschäftigen sich mit wirklich cleveren neuen Ideen wie der Zeolith-Technologie bei SorTech oder der Wasserstoff-Pipeline zwischen Wittenberg und Zeitz. Dazwischen Artikel zu diversen Kongressen und Foren, die stattgefunden haben – und dann … Ja, da kommen alle die anderen Beiträge. Fast ausufernd die Berichte zu neuen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland, die freilich nur verstören. Denn thematisch würden sie in ein ganz anderes Heft gehören, eines, dass sich mit den internationalen Wirtschaftsbeziehungen der Region eingehender beschäftigt.

Was bei Pies nur anklingt, ist die politisch leider noch nicht wahrnehmbare Fähigkeit, Dinge im Fluss zu denken, im Prozess, würden Ingenieure dazu sagen. Auf die “Energiewende” bezogen: Wer einen solchen landesweiten Umbau der Energieerzeugung einmal begonnen hat, kann nicht nach 10 Jahren sagen “Ach nee, ich will doch wieder die alte Energiemaschine!”. Jeder Ingenieur, jeder Unternehmer weiß, dass das eine katastrophale Dummheit ist, dass man dabei nur noch das Geld zum Fenster hinaus schmeißt und am Ende nichts von beidem hat: nicht die alte verlässliche Dampfmaschine – und nicht die modernen, hocheffizienten Energieanlagen. Man fährt das ganze System in die Sackgasse. Unternehmen gehen an solchen Dummheiten pleite.

Und es gibt einige Beispiele im Heft, die zeigen, dass der energetische Umbau kein Märchen ist, dass einige Unternehmen in Mitteldeutschland längst an wirklich pfiffigen Ideen für ein neues Energiezeitalter arbeiten.

Dumm nur, dass sie sogar von der heimischen Politik ausgebremst werden. Auch so verschleudert man die wichtigsten Potenziale der Region – kluge Ideen, brillante Forschungsergebnisse – und das Netz all der jungen, mutigen Unternehmen, die keine Lobby haben. Denn in den Branchenverbänden redet man zwar gern vom Nachwuchs – die Entscheidungen aber treffen Spezis der alten Art Wirtschafts- und Energiedenken.

Und ein Grund dafür ist auch, dass die politischen Instanzen nicht wirklich fähig sind, Prozesse im Fluss zu denken. Man läuft mit Blick in die Vergangenheit in die Zukunft, schwafelt von einem (nicht existenten) Mittelstand und ist nicht einmal in der Lage, die Dinge mit Feingefühl zu lenken oder gar zu gestalten. Denn Politik hat immer die Wahl: Sie kann versuchen, Prozesse zu gestalten und zu befördern (was mal in kurfürstlichen Zeiten geradezu ein Talent der sächsischen Herrscherfamilie und ihrer teilweise genialen Kanzler war) – oder man macht Lobby-Politik für Dinosaurier, bremst also mit richtig viel Geld den Fluss der Entwicklung aus. Man setzt also auf Dampfmaschinen, auch wenn jede wissenschaftliche Prognose zeigt, dass man elektrische Maschinen braucht.

Es fehlt. Leider. Vielleicht hat die “Regjo”-Mannschaft auch keinen einzigen (Wirtschafts-)Politiker im Drei-Land gefunden, der überhaupt fähig wäre, dazu etwas Sinnvolles zu sagen. Das Wort Nachhaltigkeit führen sie ja mittlerweile alle im Mund. Aber das ist zu wenig. Man muss es auch in Denken und Handeln umsetzen können. Und da wird es möglicherweise ganz schwierig, denn darauf sind auch die aktuell in Deutschland etablierten Parteien nicht geeicht. Sie sind allesamt viel zu fixiert auf den hektischen Rhythmus der Wahlen, denken also im besten Fall ein, zwei Jahre voraus – es wird taktiert und um Posten geschachert. Aber dafür fehlt komplett die Fähigkeit, über ganze Legislaturperioden hinweg zu denken, zu handeln, Dinge zu verstetigen, dran zu bleiben, auch wenn die Medien nach den Machern des Momentes schreien.

Vielleicht sollte man wirklich einen Burschen wie Hans Carl von Carlowitz zum Vorbild erklären für die nächsten Jahrzehnte, den Burschen, der 1713 in seinem Werk “Sylvicultura oeconomica” für den sächsischen Wald erstmals das Prinzip der Nachhaltigkeit formulierte. Der komplette Titel des Buches lautet: “Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht”, erschienen im Verlag von Johann Friedrich Braun, natürlich in Leipzig. Auf den Markt gebracht zur Ostermesse 1713 in Leipzig.

Eine kleine Glosse am Ende des Heftes würdigt den Mann. Auch wenn er im Oktober 1712 den letzten Satz zu seinem Buch schrieb, wäre es gar kein dummer Gedanke, das Jahr 2013 zum Jahr der Nachhaltigkeit zu erklären. Und vielleicht bekommt’s ja die “Regjo”-Mannschaft thematisch doch mal zusammen. Denn “Alles fließt” heißt eben auch, dass Bestrebungen zusammenfließen müssen, dass Gestaltungsprozesse ein gemeinschaftliches Werk sind, an dem Unternehmer, Forscher, Politiker gemeinsam arbeiten.

Jetzt ist alles Kleinklein, jeder bosselt für sich. Und selbst die Idee eines gemeinschaftlichen Mitteldeutschlands wird in kleinkarierten und schmalbrüstigen Selbstgefälligkeiten zerrieben. Und so trägt leider die schöne Idee auch nicht das Heft – es zerfällt so augenfällig, wie das keineswegs nachhaltige Kleinklein in Mitteldeutschland zerfällt. Was schade ist. Da wäre mehr drin gewesen.

www.regjo-leipzig.com

Hans Carl von Carlowitz bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Carl_von_Carlowitz

Eine Leseprobe aus Carlowitz’ “Sylvicultura oeconomica”: www.forstbuch.de/CarlowitzLeseprobe.pdf

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