Wer die Leipziger Volkszeitung (LVZ) abonniert, dem dürfte am Freitag, 8. November, etwas gefehlt haben: Die Verlags-Beilage "Stadtleben". Am vorvergangenen Freitag, 1. November 2013, erschien das letzte Heft. In der gestrigen Ausgabe gab es dafür zwei Seiten mehr im Lokalteil. Flankiert von zwei gedruckten Lifaßsäulen mit Anzeigen - der Fachjargon nennt so etwas Anzeigengrab - findet man jeweils vier Spalten mit bunten Neuigkeiten unter der Überschrift "Aus den Stadtteilen".

Mit dem Einstellen der Beilage scheint die LVZ ernst gemacht zu haben. Die Entscheidung dürfte Hals über Kopf gefallen sein, denn die Anzeigenabteilung soll noch fleißig weiter verkauft haben, obwohl keine neuen Hefte in Planung waren. So berichtet es der freie Journalist Daniel Große in seinem Blog. Auf seine Anfragen hat die Chefredaktion der LVZ nicht geantwortet. Auf die kurzfristige Nachfrage der L-IZ bisher auch nicht.

„War das Heft vom 1. November die letzte Ausgabe für das Stadtleben oder ist ein Abschieds-Heft geplant? Wann fiel die Entscheidung, das Heft einzustellen?“, fragten wir. Auch wollten wir wissen, wie die Leser über diese Entscheidung informiert wurden und welche Bedeutung die sublokale Berichterstattung in Zukunft für die Ausrichtung der Leipziger Volkszeitung spielt. Sublokal bedeutet: Die kleinen Geschichten, welche sich in den einzelnen Stadtteilen zutragen und es daher oft nicht in den Leipzig-Teil der Zeitung schaffen. Schließlich gibt es kein anderes Medium in Leipzig, welches personell so aufgestellt ist, dass es sich auch um diese Nachrichten tagtäglich kümmern kann.

Mutmaßungen zu diesen Punkten lassen sich trotz ausbleibenden Kommentars vonseiten der LVZ anstellen: Informiert wurden die Leser nicht. Zumindest findet sich weder in der letzten „Stadtleben“ noch in der LVZ von gestern ein Verweis auf das Einstellen. Die drei Redakteure des Stadtlebens hätten sonst bestimmt diese Gelegenheit genutzt, um sich von den Lesern zu verabschieden.

Es ist eine ungalante Art, die Leser derart im Regen stehenzulassen, doch sie scheint Mode zu sein: als Ende Juli der „Wochenkurier“ und „hallo! Leipzig“ eingestellt wurden – beide aufgelegt von der Chemnitzer MVD Mediengruppe – gaben auch sie ihren Lesern kein Zeichen. Es ist gut möglich, dass sich die Herausgeber vor einem Nachtreten ihrer Schreiber gefürchtet haben. Die „Stadtleben“-Redakteure sollen wenigstens nicht ihre Jobs verloren, sondern andere Aufgaben im Verlag bekommen haben – im wiederbelebten Ressort Sonderthemen.

Das „Stadtleben“ ist wohl der internen Sparpolitik zum Opfer gefallen, steht es doch im krassen Gegensatz zu dem, was die Mediengruppe Madsack mit Sitz in Hannover noch Anfang Oktober als „Madsack 2018“ bekannt gegeben hatten: Das Verlagshaus soll fit für die Zukunft gemacht werden. In diesem Zuge wird noch in diesem Jahr eine Zentralredaktion geschaffen, die überregionale Inhalte für alle Madsackblätter, darunter auch die Ostseezeitung, das Göttinger Tageblatt und die Hannoversche Allgemeine, erstellt. Das bedeutet großes Stühlerücken für alle Mantelredakteure und versprach gleichzeitig mehr Lokales für die Zeitungen.

„Der besondere Wert regionaler Medien liegt im unverwechselbaren regionalen Inhalt, der tief in der Lebenswelt der Menschen verankert ist und Heimat widerspiegelt. Die regionale Berichterstattung ist die Basis von allem“, sagte Thomas Düffert, einer der drei Konzerngeschäftsführer. 100 Tage nach Antritt seiner neuen Stelle verkündete er die neue Strategie für den Konzern, auf einer Tagung mit über 100 Führungskräften.

Wer lange genug in der Medienbranche arbeitet, um an solche Nachrichten gewöhnt zu sein, den mag es schon damals geschauert haben. Die alten Medien-Riesen Deutschlands kennen seit Jahren nur ein Manöver: den geordneten Rückzug. Abgeschaut haben sie ihn von Carl von Clausewitz. Der preußische Kriegstheoretiker wird an Militärakademien gelehrt. Und in den Bereichen Unternehmensführung und Marketing, wie das Internetlexikon Wikipedia zu berichten weiß.

Gut möglich, dass die Madsack-Chefs beim Nachsitzen in irgendeiner Business-Schule aufgepasst und die Clausewitzschen Manöver spitz gekriegt haben. Wie nun funktioniert der Rückzug? Mit Ablenkung: Ein Bataillon stürmt ins Gefecht, während das andere Schritt für Schritt abzieht. So entsteht der Eindruck des aggressiven Kämpfens, während in Wahrheit der nicht mehr behauptbare Boden Meter für Meter verloren gegeben wird. „Nichts ist schwerer als der Rückzug aus einer unhaltbaren Position“, lautet der Clausewitz-Klassiker, welcher hierzu bemüht wird.

Noch können die großen Verlagshäuser ihre starken Positionen halten. Doch der Weg ist vorgezeichnet – die Wegweiser heißen Auflagenrückgang und Anzeigenschwund. Die Marschroute heißt Digitalisierung. Um nun den geordneten Rückzug zu schaffen, muss nach außen hin der Eindruck behänder Geschäftigkeit erweckt werden.

Zu beobachten auch bei der Funke-Gruppe, die in Nordrhein-Westfalen und Thüringen eine Zeitungsmacht darstellt. Im August vergangenen Jahres rief Geschäftsführer Manfred Braun eine lokale Offensive aus, bei der die Vor-Ort-Redaktionen nach Jahre dauerndem Stellenabbau endlich gestärkt würden. Keine zwei Monate später verkündete er die nächste Sparrunde, bei der bis Ende 2014 rund 20 Prozent aller Stellen abgebaut werden.

Oder die Axel Springer AG: Vorstandschef Matthias Döpfner betont bei jeder Gelegenheit, Qualitätsjournalismus – immerhin gibt der Konzern die „Bild“ heraus – sei ein Eckpfeiler der Unternehmensstrategie. In diesem Sommer verkaufte die Axel Springer AG mit der Berliner Morgenpost und dem Hamburger Abendblatt jedoch zwei seiner wenigen Qualitätsblätter.

Und nun Madsack: Mit dem 2018-Konzept rührte der Konzern die Werbetrommel für einheitliche Strukturen im Überregionalen, die das Lokale stärken sollen. Sven Fischer, ebenfalls Mitglied der Madsack-Geschäftsführung, sagte Anfang Oktober: „Nur, wenn wir die Größenvorteile unserer Mediengruppe konsequent nutzen, werden wir auch weiterhin finanziell erfolgreich und unabhängig bleiben. Und das ist die elementare Grundlage von unabhängigem Journalismus und Meinungsvielfalt.“ Und knapp vier Wochen später ist das „Stadtleben“ tot. „Madsack 2018“ war sein Sargnagel.

Beobachter des deutschen Medien-Marktes werden sich noch auf einiges gefasst machen müssen. Spätestens wenn wieder ein altgedienter Großverlag Positives verkündet, sind die nächsten Schauer-Nachrichten nicht mehr weit.

Blog von Daniel Große zum Stadtleben-Abgesang: www.danielgrosse.com/blog/leipziger-volkszeitung-reduziert-offenbar-weiter-lokale-inhalte/

Carl von Clausewitz, Vom Kriege: www.clausewitz.com/readings/VomKriege1832/Book6.htm#25

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