Ein Stein verursacht aktuell ein paar Kreise im Pleißewasser. Geworfen hat ihn Leipzigs OB Burkhard Jung, wenn auch mit etwas falscher Richtung. In einer öffentlichen Klage am 27. Februar über die schlechte Grundberichterstattung der beiden Papierzeitungen Leipzigs zum Thema "Freiheits- und Einheitsdenkmal" gegenüber dem MDR-Magazin "Artour" äußerte er Erwartungshaltungen an die falschen. Darin sehen auch die weitgehend außerhalb der OBM-Wahrnehmung stehenden unabhängigen Medien längst eine überholte Zurücksetzung. Den Anstoß einer Debatte über "Medienvielfalt" in der Messestadt versuchte dieser Tage dann Weltnest.de. Ziehen wir doch mal nach.

Unter dem Interview-Titel “Kunst braucht die Freiheit sich zu entwickeln” fiel der eigentlich erhellende Satz des Oberbürgermeisters gegenüber dem MDR-Magazin “Artour”. Nachdem die Forderung Burkhard Jungs im Raum stand, die beiden Zeitungen hätten erst einmal die drei Wettbewerbsentwürfe ausführlicher erklären sollen, statt zu polarisieren, sagte er noch: “Das ist ein Versagen der wenigen Zeitungsmedien die wir haben.” Schließt man einfach mal ein, dass “Zeitung” als Wortbegriff für “Nachricht” etwas aus der Mode ist aber dennoch gilt, zeigt sich, wie wenig hier von der neuen Medienlandschaft Leipzigs wahrgenommen wird.

Da wäre der Zielkonflikt bei seinem Wunsch nach “Grundlagenkommunikation” durch die “große Tageszeitung und die Boulevardzeitung vor Ort” (Jung über LVZ und Bild), welche längst um jede Nachricht zur Abonnentenbindung und um den Erhalt der Auflagen kämpfen. Was die Grundlagenkommunikation schon fast zwangsläufig zugunsten aufmerksamkeitsstarker Leserumfragen, zugespitzter Berichte und Mutmaßungen verdrängt. Es ist Alltagsgeschäft wie überall in Deutschland: die drei Entwürfe in der optischen Darstellung, eine Leserumfrage und dann Druck aufbauen, das verspricht Interessenten und Käufer. Das Unbehagen wächst zwar bei so manchem Leser im Angesicht der nächsten Sau im Dorf, aber noch läuft das Abo.

Ergänzend diskutiert und oft tiefer recherchiert wird längst in der Onlinewelt der Messestadt, was die Meinungsführerschaft der beiden kritisierten Medien seit Jahren erodieren lässt. Zugunsten eines breiteren Angebotes und mehr Debatte. Dies geschieht den beiden Medien weniger, weil auf einmal alle Redakteure dort ihr Handwerk verlernt hätten – aber die Situation ändert sich mit jedem neuen Medium, mit jedem Auflagenschwund, mit jedem auslaufenden Langzeitabo. Was jedoch die Vermutung, der Widerstand gegen die Art und Weise der Denkmalsplanungen in Leipzig sei durch die fehlenden Informationsgrundlagen zweier Zeitungen Leipzigs falsch gelaufen, eher nicht rechtfertigt. Eine ausreichende Informationslage zum Freiheits- und Einheitsdenkmal ist gegeben gewesen.
Auch wenn es ein Prozess ist, aber bereits heute ist klar: Die früher nachwachsenden Käufer einer gedruckten Zeitung sind heute keine mehr. Fast egal, welche Medienstudie man für diese Behauptung heranzieht, das Ergebnis bleibt doch das gleiche. In einer aktuellen Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Auftrag der Sächsischen Landesmedienanstalt bescheinigen die Medienforscher des Institutes für Kommunikationswissenschaften für die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen: Internetnutzung verdrängt die Nutzung aller klassischen Massenmedien. Untersuchen sollten sie die Potentiale des “lokalen Rundfunks” in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dabei haben sie auch die grundlegenden Veränderungen in der Medienlandschaft mal genauer unter die Lupe genommen. Und siehe da: Eine der zu recht wichtigsten Fragen neben Reichweiten und Anzahl von Medien in Mitteldeutschland war die nach der täglichen Nutzungslänge der jeweiligen Mediengattungen.

Eine Währung namens Wahrnehmungsspanne, welche gegenüber der Jagd nach Reichweiten und Auflagen längst an Bedeutung gewinnt. Denn die eigentliche Frage nicht nur des amtierenden Leipziger OBM müsste lauten: Wird das alles überhaupt gelesen, verstanden und nachgedacht oder nur mal schnell durchgezappt und geblättert? Etwas, was man gern dem Kanal Internet in die Schuhe schiebt, doch zunehmend zu unrecht. Es findet so eher im gedruckten Tageszeitungsbereich statt.

Denn diese Wahrnehmungsspanne verschiebt sich. Nicht etwa langsam, sondern fast schon radikal im betrachteten Zeitraum seit 2006. Im Jahre 2012 standen hier laut hinzugezogener ARD- und ZDF-Erhebungen bei den 14- bis 29-Jährigen immerhin 150 Minuten täglicher Onlinenutzung noch 14 Minuten Printnutzung gegenüber, ohne Zeitschriften sind für die Tageszeitungslektüre noch genau 10 Minuten am Tag angegeben. Was selbstredend die Großverlage selbst ins Netz zwingt und somit einer offeneren Debatte über Inhalte der Nachrichten aussetzt.

Bei den Medienkonsumenten aller Altersgruppen, also auch bei den so gern und fälschlicherweise nur den gedruckten Tageszeitungen zugerechneten über 50-Jährigen steht es seit 2012 mit 23 Minuten für die Tageszeitung zu 83 Minuten im Netz täglich immerhin noch 28:1 für die Onliner. Und der Abstand wächst weiter, dazu braucht es keine Glaskugel, wenn man die kommenden 10 Jahre und die dann 24- bis 39-jährigen Medienkonsumenten und ihre heutigen Gewohnheiten im Auge behält. Bereits jetzt hat in dieser heute noch zehn Jahre jüngeren Gruppe die Netznutzung (150 Minuten) sogar die TV-Zahlen (138 Minuten) im Jahr 2012 überholt.

Der Zuzug gerade jüngerer Menschen nach Leipzig dürfte den Trend bei diesen Wanderungsbewegungen zwischen den örtlich vorhandenen Medien lokal betrachtet noch verstärken. Von der Nutzung der Mobiltelefone als Allzweckgerät ganz abgesehen, die Alltagsroutinen ändern sich mit den Kanälen ebenso. Und eines ist seit Jahren gewiss: Am Ende treffen sich TV, Zeitung und Radio (längst) alle im Netz wieder.
Selbst wenn man unter Online anderweitige Vergnügungen im Netz einberechnet, bleibt doch die Frage: Wer hat hier die Gunst der Leserzeit wirklich? Eben jene Zeit, welche bei der Printgilde ähnlich rasch wie die Auflagen zu schmelzen scheinen? Die Zeit und den Raum, um “Grundlagen”, Skizzen, Meinungen und Debatten zu präsentieren, scheint es mehr und mehr im Netz zu geben. Und genau hier sind die beiden “großen Leipziger Medien” natürlich nicht mehr allein und erleben das beständige Abklopfen ihrer Informationen auf Sinn und Tiefe.

Gerade hat sich mit Weltnest.de ein neuer, frischer Spieler ins weite Netz-Feld Leipzigs gestellt, Info TV agiert schon seit Jahren mit Artikeln und Videonachrichten im Netz, der Kreuzer tastet sich zwar noch etwas – die Printausgabe schützend – voran, aber kann mit seinen eher schwerpunktartigen Veröffentlichungen im Netz durchaus zur Onlinefamilie der Messestadt gezählt werden. Im Leipziger Westen tummeln sich 3Viertel und Tuepfelhausen.de, so manche schlaue Sendung findet sich im Netzstream von Radio Blau, das Uniradio Mephisto ist zur tagesaktuellen Jugendfunkstation mit Textpublikationen im Netz mutiert. Auch wenn sich Detektor.FM gern als deutschlandweites Radio im Netz promoted, die Heimat und die Art der Nachrichten ist vom Leipziger Umfeld geprägt.

Am Morgen schaut man gelegentlich noch bei Heldenstadt.de vorbei und kann sich neben einer Tagesübersicht über Leipziger Themen von hier aus durch die “Bloggersphäre” der Stadt vom Rotebrauseblogger über Volly Tanners Blog, Henning Uhles Betrachtungen bis zum DDReudnitz und noch viel weiter hangeln. Manche üben noch, manche sind längst tiefgründiger, als durchaus oft zu hastige Zeitungsnachrichten. Die einen versuchen es mit tiefgehenden Sportbetrachtungen, andere mit Stadtteilnachrichten, viele mit Kultur und Gesellschaft. In der Summe ein buntes, wachsendes, hier durchaus unvollständig wiedergegebenes Angebot. Welches an vielen Tagen spannender und informativer ist als ein raschelndes Gefühl von Einwegkommunikation in der Hand.

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Legt man – bei aller gebotenen Bescheidenheit – die Leipziger Internet Zeitung hinzu, ist die Meinungsführerschaft der oberbürgermeisterlich kritisierten Großverlagshäuser in Leipzig durch die unabhängigen Medien längst ins Wanken geraten, wenn nicht schon gefallen. Man ergänzt sich eher – auch mit den großen Verlagsstrukturen und untereinander. Rechnet man hierbei noch mal eben die Informationen hinzu, welche sich die Leipziger auf Facebook, Google und Co. zusammenklauben und sich gegenseitig direkt informieren, scheint die aktive Leipziger Stadtgesellschaft ganz gut versorgt und fit für Meinungen zu Moscheebauten, einer Stadtentwicklungsplanungsdebatte und einem Freiheits- und Einheitsdenkmal.

Bei letzterem Thema durchaus auch fit genug, zu der Meinung zu gelangen, dass man den bunten Platz so nicht braucht oder gern vollkommen anders hätte, als es aus dem Verwaltungsverfahren herauspurzelte. Dass auch eine Stadtverwaltung in einem solchen Umfeld weit mehr aktive Mitspieler als zwei Redakteure von Art und Verlauf der Wettbewerbsdurchführung oder der generellen Platzwahl überzeugen muss, ist vielleicht die eigentliche Neuigkeit.

Und dass schon so manche schräge Debatte anschließend von der Leipziger Netzwelt vom Kopf wieder auf die Füße gestellt wurde, die andere. Die Bänke im Pressebereich des Leipziger Stadtrates jedenfalls haben sich in den letzten Jahren gefüllt – oft ist kein Platz mehr frei. Das Handeln der Verwaltung wird zunehmend sichtbarer als noch vor Jahren – und sicher nicht immer einfacher dadurch. Eine differenziertere Debatte ist so jedoch auch bei komplexeren Themen überhaupt erst möglich, der Ausgang ungewisser – bis hin zum Scheitern des Verwaltungshandelns. Und dass alles, selbst wenn man mal 14 Tage am Kiosk vorbeigelaufen ist.

Denn es wird sich eben auch aktiv selbst informiert, wer es mal mit den beschriebenen Wegen versucht hat, wird verwundert feststellen, dass der Kauf einer Zeitung nur noch in Ausnahmefällen nötig ist. “Die Zeitung” entsteht so über viele Kanäle, dezentral, hoffentlich immer genauer und jetzt bereits schneller als jemals zuvor. Beruhigend eigentlich – auch für einen Oberbürgermeister, welcher sich über die Qualität der städtischen Debatten um Kultur und Gesellschaft sorgt und dies am Beispiel Freiheits- und Einheitsdenkmal festgemacht hatte.

Alles schön also, wenn da nicht noch der andere Teil der Wahrheit wäre: Die unabhängigen Medien der Messestadt haben trotz dramatisch gestiegener Reichweite nach wie vor zu wenig Wahrnehmung in den Kreisen, die immer noch an die Meinungsmacht eines Ex-Monopolisten glauben. Verstärkt auch durch Aussagen wie die Burkhard Jungs gegenüber dem MDR. Ein OB, welcher letztlich darin nur das wiedergab, was noch zu viele Entscheider in Leipzig eben glauben ohne es zu wissen.

Was ist eine Zeitung? Wiki

http://de.wikipedia.org/wiki/Zeitung

Zum “Artour” – Interview mit Burkhard Jung
http://www.mdr.de/kultur/video180296.html

Zu Weltnest.de
www.weltnest.de
Zu Tuepfelhausen.de
www.tuepfelhausen.de
Zu 3Viertel (Netzausgabe, gedruckte Auflage 10.000)
www.3Vierel.info
Zum Kreuzer im Netz
www.kreuzer-leipzig.de
Zu Heldenstadt.de
www.heldenstadt.de
Zu Detektor.fm
www.detektor.fm
Zu Radio Blau
www.radioblau.de
Zu Info TV
www.info-tv-leipzig.de
Zu Radio Mephisto
www.mephisto976.de

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