Was ist, was soll, was müsste Journalismus eigentlich noch in Zeiten, in denen die Welt zugeschüttet wird mit News? Pardon: „News“. All dem Plastik-Müll aus der Dauerwerbeschleife für eine fragmentierte Welt? Wo die Leute eh schon zugeschüttet sind mit Daueralarmierung? „Flüchtlingskrise“, „Finanzkrise“, „Diesel-Gate“? Dass da gewaltig etwas schiefläuft, hat ja sogar Martin Dulig schon mitbekommen.

Und Martin Dulig ist ein ruhiger Mann, der selten öffentlich ärgerlich wird. Selbst mit den renitenten Rentnern von Dresden redet er, als könnte man den Embrassierten noch mit Vernunft und Argumenten kommen. Aber warum sollten die Rentner in Dresden besser sein als die Teilnehmer jener völlig überfüllten Runde, die am 2. August stattfand und sich „Dieselgipfel“ nannte?

„Das kann doch wohl nicht alles sein. Ich bin von den Ergebnissen des Dieselgipfels in Berlin enttäuscht und halte diese für völlig unzureichend. Mich ärgert, dass die Automobilindustrie offenbar noch immer nicht verstanden hat, was auf dem Spiel steht“, diktierte Martin Dulig, der sächsische Verkehrsminister und Chef der sächsischen SPD, sichtlich verärgert. „Die Automobilindustrie verpflichtet sich, mit preiswerten Software-Updates ihre bereits dem Verbraucher gegebenen Versprechen umzusetzen. Dies ist eine Selbstverständlichkeit! Von vornherein war klar, dass nur eine technische Lösung tatsächlich das Problem vollständig beheben kann.“

Er war nicht der Einzige. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte ja viel erwartet von dieser Runde der Bundeskanzlerin mit den Autobossen. Ein paar echte Beschlüsse, ein paar wirklich Zusagen. Aber die gab es genauso wenig wie seinerzeit beim Stromkonzerngipfel mit Sigmar Gabriel, dem damaligen Energieminister.

„Ich sehe es wie unsere Bundesumweltministerin Barbara Hendricks“, sagte Dulig. „Die heute versprochene Lösung darf nur der erste Schritt sein, der kurzfristig umgesetzt werden muss. Die Gefahr, dass Fahrverbote Diesel-Fahrer treffen, die glaubten einen umweltfreundlichen Wagen zu kaufen, besteht weiterhin und ist nicht akzeptabel. Ich erwarte von der Automobilindustrie, dass sie den Verbrauchern kostenlos eine technische Lösung für ihre Fahrzeuge anbietet, sich bei den betroffenen Käufern entschuldigt und die Vorstände, welche den Betrug mindestens stillschweigend hingenommen haben, ihre Konsequenzen ziehen. Ich fürchte, dass der Automobilstandort Deutschland sonst nachhaltig Schaden nehmen wird. Dies darf nicht passieren!“

Man liest es als Journalist und hat so das dumme Gefühl, dass da etwas Seltsames passiert ist. Da wählen wir alle vier, fünf Jahre Leute, die für uns regieren sollen. Und dann kommt in solchen entscheidenden Punkten nur ein „Ich erwarte …“ Das konnte früher mal ein absolut regierender König sagen, der genau wusste, dass seine freundlichen Erwartungen für jeden seiner Minister eine Aufforderung zum Handeln waren.

Unsere Minister und Kanzlerin sprechen zwar wie Könige – aber dann gehorcht trotzdem keiner. Schon gar nicht die Herren Manager, die die ganze Zeit Mikado gespielt haben und sich gegenseitig ausgebremst haben, die Erwartung der freundlichen Politik, sie würden marktreife Elektroautos samt Ladeinfrastruktur bauen, umzusetzen. Sie haben ein Top-Thema regelrecht vergeigt und vertagt. 25 Jahre lang übrigens, wie Sascha Lobo in seiner „Spiegel“-Kolumne ganz und gar nicht verblüfft feststellt, auch wenn er die Story am Ende wieder auf sein Lieblingsthema dreht – die ausgebremste Digitalisierung.

Was auch wieder stimmt. Aber auch wieder nur ein Teil des Ganzen ist. Denn anders als Lobo sehe ich die Lösungen der Zukunft eben nicht so komplett im Digitalen. Im Gegenteil: Es geht ja beim Dieselgate gar nicht um eine veraltete Technologie. Auch das ist seltsam: Das Dieselauto wurde nicht deshalb zum Skandal, weil es noch immer enorme Mengen Sprit säuft (wertvolles Öl, das im Lauf des Jahrhunderts verdammt knapp werden wird), sondern weil es die Luft verpestet und dafür sorgt, dass dutzende deutsche Großstädte die Luftschadstoffgrenzwerte nicht einhalten und Fahrverbote drohen.

Erst wenn ernsthafte Richter bestätigen, dass all diese ganz bewussten Gesetzesverstöße zwangsläufig zu Fahrverboten für Dieselautos führen müssen, wird die hohe Politik aktiv, behauptet auch der Bundesverkehrsminister, er kungele nicht.

Aber: Er hat schlicht seine Arbeit nicht getan. Und die lautet nicht „Ich erwarte …“ sondern (dafür ist der Mann eigentlich mal Minister geworden): „Ich weise an …“

Politik ist nämlich Gestalten. Sie hört nicht damit auf, dass man irgendwelche Klimaschutzpläne aufstellt und dann hübsch in Prozente umrechnet. Das hat Angela Merkel, unsere Chefphysikerin ja geschafft. Und dann?

Dann hätten sich ein paar hochbezahlte Staatsbedienstete hinsetzen und nachrechnen müssen, was das heißt: Wer muss welche Kraftwerke abschalten? Wie viele Solar- und Windparks braucht man? Welche Speichertechnologie braucht man? Was kostet die? Wer baut sie? Was muss im Verkehr passieren? Wie müssen sich die Verkehrssysteme verändern, damit man in 20 Jahren auf ölbasierte Treibstoffe komplett verzichten kann?

Usw.

Man muss nur ein wenig darüber nachdenken und merkt: Zukunft bleibt völlig nebulös. Obwohl schon ein wenig Nachdenken darüber zeigt, was sich eigentlich alles ändern muss. Und kann und auch darf. Denn wirtschaftlicher Erfolg (um mal in diesem Segment zu bleiben), beruht auf Veränderung. Auch in den Köpfen und Lebenswelten der Menschen. Und jede Umfrage – etwa zum Mobilitätsverhalten der Leipziger – zeigt, dass Menschen sich verändern und das auch wollen. Es wird immer jene Gewohnheitsmenschen geben, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Die haben eine erstaunlich starke Stimme – auch in der Politik. Mittlerweile werden sie sogar sehr renitent und behaupten, sie seien das ganze Volk. Weil sie so laut lamentieren, dass man die jüngeren, arbeitsamen und veränderungswilligen Menschen gar nicht mehr hört. Die schon längst mit Freude Rad fahren, die Stadt zu Fuß erkunden und sich freuen, wenn die öffentlichen Verkehrssysteme mal reibungslos funktionieren.

Die Zukunft ist immer schon da, wenn die Verteidiger des Alten zu Gipfeltreffen einladen.

Was mich auf die Frage bringt: Soll Journalismus immer nur berichten über das, was ist? Und es in schönem Klippklap abmoderieren, weil alle Recht haben? Und jede Meinung so viel wert ist wie die andere?

Das wäre der Journalismus, den man in vielen Medien viel zu lange erlebt hat. Das Ebenbild dazu ist Angela Merkels Führungsstil. Sie verwaltet das Seiende mit freundlicher Miene – aber wer etwas hartnäckiger nachfragt, was denn nun mit Morgen und Übermorgen ist und was sie bis dahin verändern will, stößt auf freundliches, aber hartnäckiges Schweigen.

Was aus meiner Sicht ein Problem ist. Denn Politik ist eben nicht Verwaltung. Es ist Gestalten: Man baut die Strukturen für eine lebbare und menschenwürdige Zukunft auf. Es ist ja nicht so, dass wir nicht wissen, wohin es gehen muss und was es dafür braucht. Beim spritgetriebenen Auto wissen wir es seit 25 Jahren. Das nennt man einen Wissensvorsprung – der einfach vertan wurde. Einfach verschenkt. Auch weil viele Kollegen ganze Meterware an Publikationen mit dem Ruhm immer neuer Dieselauto-Modelle mit noch mehr PS und noch größerem Hubraum abgefeiert haben.

So, wie ich das sehe, dürfen Journalisten so vergesslich nicht sein. Sondern müssen das, was ihnen begegnet, immer an dem messen, was möglich und was notwendig ist.

Das ist zermürbend. Stimmt. Zuallererst für den Redakteur, der jahrelang über so ein Thema schreibt und trotzdem – mal fein verpackt, mal ganz offen – immer wieder gesagt bekommt: „Wir machen trotzdem so weiter. Was kümmert uns die Zukunft?“

Eigentlich ist das eine wichtige Frage. Denn wenn ich zur Wahl gehe, dann geht es für mich immer um Zukunft. Und zwar nicht nur meine eigene. Dann gehe ich davon aus, dass die Leute da auf dem Wahlzettel über die nötigen Schritte in die Zukunft schon mal nachgedacht haben und wissen, was dafür entschieden und getan werden muss. (Na gut: Bei den meisten Kandidaten bin ich mir sicher, dass sie darüber niemals nachgedacht haben. Aber die kommen für mein Kreuzchen eh nicht in Betracht.)

Aber die Frage stellen zumindest wir hier uns jeden Tag und finden, dass es eine grundlegende Frage ist, die auch die Leser eigentlich interessieren sollte: Wie viel Zukunft steckt in all dem, was wir sehen? Ist das eine lebbare Zukunft? Oder sollten wir alles tun, dieses oder jenes Szenario zu verhindern? Allein schon der Kinder und Enkel wegen, denen wir das nicht aufhalsen dürfen?

Mir jedenfalls geht es so. Jeden Tag, wenn ich durch die Stadt laufe und all die emsigen Mütter mit ihren kleinen, neugierigen Kindern sehen. Was für eine Welt wollen wir diesen uns so vertrauensvoll Anblickenden eigentlich hinterlassen?

Es kann keinen guten Journalismus ohne Zukunftsoption geben. So ein Journalismus wäre verantwortungslos. So eine Politik übrigens auch. Deswegen sieht Vieles, was wir hier schreiben, so verdammt kritisch aus. Weil es noch immer ziemlich einzig ist in einer bunten Medienlandschaft der Lobpreiser, Nachbeter und Schönfinder. Die dann auch noch über eine Zukunft jubeln, die keine sein wird – Roboter, Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos, und was die Träume von einer Technologie mehr sind, die uns Menschen nicht nur das Denken, Handeln und Entscheiden abnimmt, sondern auch die Arbeit und das Leben selbst.

Denn computerisieren können wir alles.

Aber wer einmal sein Mobilphone für ein Stündchen aus der Hand legt, merkt: Wir werden dabei immer mehr zu Anhängseln einer Technologie, die uns selbst gar nicht mehr braucht. Wir lösen uns auf. Unser Leben verwandelt sich in ein Gelebtwerden. Wollen wir das wirklich?

Ich jedenfalls nicht.

Es ist unbequem zu leben. Natürlich. Aber die etwas Sensibleren haben es längst gemerkt: Erst weil es unbeqem sein darf, spüren wir es.

Erschreckt Sie das?

Dann haben Sie sich wohl verirrt.

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” Deswegen sieht Vieles, was wir hier schreiben, so verdammt kritisch aus. Weil es noch immer ziemlich einzig ist in einer bunten Medienlandschaft der Lobpreiser, Nachbeter und Schönfinder.”
Da möcht ich einfach mal zustimmen.

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