Nicht nur die "Thomana" feiert 2012 in Leipzig ein rundes Jubiläum. Auch ein anderes Leipziger Ur-Gestein feiert. Die Deutsche Nationalbibliothek wird 100 Jahre alt. Das eigentliche Gründungsdatum ist der 3. Oktober. Doch das Jubiläumsjahr beginnt schon jetzt - mit einer Ausstellungseröffnung und einem Magazin mit dem treffenden Namen "HUNDERT".

In diesem ersten der für 2012 geplanten vier Hefte erzählt Lothar Poethe auch die Geschichte der “Schwierigen Gründungsjahre”. Denn auch beim Sammeln der Nationalliteratur konnte Deutschland seine kleinstaatliche Zerrissenheit nicht überwinden. Nicht einmal 1871, als Bismarck mit preußischer Rigidität ein Kaiserreich unter dem Hohenzollernadler draus schmiedete. Da hatten Länder wie Frankreich und England längst eine Nationalbibliothek – und zwar dort, wo sie im Verständnis starker Zentralregierungen hingehört: in den Hauptstädten Paris und London.

Diesen Vorbildnationen war durchaus klar, dass bei der anschwellenden Buchproduktion moderner Staaten eine zentrale Sammelstelle notwendig ist, damit nicht nur die “Longseller” auch als “Gedächtnis der Nation” überleben, sondern auch all die Titel, die oft nur in einmaliger und kleiner Auflage erscheinen. Was auch wissenschaftliche Publikationen und wirklich selbst erarbeitete Dissertationen betrifft. Ein Dr. Karl Marx wurde ja berühmt dafür, dass er sich in der British Library, die ihren Ursprung auf das Jahr 1753 datiert, den Hintern wund saß und trotzdem alle Publikationen fand, die er brauchte.

Man muss kein “Kapital” schreiben wollen, um von so einer Einrichtung zu profitieren. Einige der Leser, die heute das Angebot der Deutschen Nationalbibliothek (die seit 2006 so heißt) nutzen, sind im Magazin “HUNDERT” vorgestellt. Nebst einigen Mitarbeitern des Hauses, denn auch wenn Millionen Bände augenscheinlich still und genügsam in ihren Regalen stehen, funktioniert der Betrieb nicht ohne allerlei Spezialisten – Restauratoren zum Beispiel, die sich um die Rettung der Bestände aus dem 19. und 20. Jahrhundert bemühen, als die Verlage auf billiges, säurehaltiges Material druckten. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Bücher auch mal ein paar Jahrhunderte überleben sollten.Als sich Bismarck auch nach mehrfachen Mahnschreiben nicht durchringen konnte, in Berlin eine gesamtdeutsche Nationalbibliothek aus der Taufe zu heben, waren es die im Börsenverein der Deutschen Buchhändler (1825 in Leipzig gegründet) zusammengeschlossenen Verleger, die die Gründung einer Nationalbibliothek in der Buchhauptstadt Leipzig ins Rollen brachten. Sie stießen mit ihren wirtschaftlichen Argumenten sowohl in der Buchstadt Leipzig als auch bei der sächsischen Landesregierung auf offene Ohren. Beide unterstützten die Gründung der Deutschen Bücherei materiell. Der Rest war eine simple Selbstverpflichtung der deutschen Verleger, von jeder Auflage Pflichtexemplare nach Leipzig zu schicken.

Am 3. Oktober 1912 wurde die Deutsche Bücherei ganz offiziell gegründet. 1913 nahm sie am Deutschen Platz in Leipzig ihre Arbeit auf. Auch so etwas Besonderes für die Buchstadt Leipzig. Denn benannt wurde der Platz nicht aus irgendwelchen politischen oder nationalen Gründen, schon gar nicht aus militärischen. Er wurde nach dem noch gar nicht gefüllten “Gedächtnis der Nation” benannt: der Deutschen Bücherei. Womit die Leipziger in aller Stille deutlich machten, was tatsächlich das Wichtigste an einer Nation ist: ihr Gedächtnis.

Übrigens ein schöner Anlass für den Politikwissenschaftler Herfried Münkler (der 2009 für sein Buch “Die Deutschen und ihre Mythen” den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt), über “Eine geistige Mitte” ausführlich nachzudenken. Er kommt dabei zu der keineswegs überraschenden Aussage, dass die geistige Mitte einer Nation in der Regel nicht mit der politischen Mitte übereinstimmt.

Über die Geschichte der Bibliothek nach 1913 wird ganz bestimmt in den nächsten Ausgaben des Heftes noch mehr zu lesen sein. Immerhin eine über Jahrzehnte auch zweigleisige Geschichte. Denn nach der Teilung Deutschlands 1947 wurde zusätzlich in Frankfurt am Main die Deutsche Bibliothek mit dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 gegründet, zu der seit 1970 auch das Ende 2010 nach Leipzig umgezogene Deutsche Musikarchiv gehört. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist seit 1950 Teil der Deutschen Bücherei. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 wurden die Bibliotheken zusammengeführt.Seit 2006 trägt die vereinte Institution den Namen Deutsche Nationalbibliothek. Sie sammelt, dokumentiert und archiviert für die Nutzung in Gegenwart und Zukunft das wissenschaftliche und kulturelle Erbe Deutschlands in Text und Musik. Gesammelt werden Medienwerke in Papierform, in Mikroformen, Tonträger sowie Medienwerke auf anderen Datenträgern und Netzpublikationen. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet neben der Nutzung ihrer Sammlungen in Leipzig und Frankfurt am Main Dienstleistungen für Bibliotheken, Buchhandel, wissenschaftliche Einrichtungen und individuelle Benutzer an. Mehr als 800 Leserinnen und Leser nutzen täglich die Medienangebote vor Ort in den Lesesälen an den Standorten.

Mit 100 Veranstaltungen an ihren Standorten in Leipzig und Frankfurt am Main feiert die Deutsche Nationalbibliothek nun zwischen März und Oktober ihr 100-jähriges Bestehen. Zu Ausstellungen und Lesungen, Konzerten und Tagen der offenen Tür, Festveranstaltungen und Mitmachaktionen wird die Öffentlichkeit im Jubiläumsjahr eingeladen. Dazu wurde auch extra eine Jubiläumswebsite unter www.dnb.de/100jahre eingerichtet.

“An ihrem Gründungsstandort Leipzig und in Frankfurt am Main wollen wir mit einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm möglichst viele Menschen direkt ansprechen und eine frische, 100 Jahre junge Bibliothek zeigen”, sagt die Generaldirektorin der Deutschen Nationalbibliothek, Dr. Elisabeth Niggemann. “Wir freuen uns auf unsere Gäste bei Einzel- und Fortsetzungslesungen, Tagen der offenen Tür, bei Ausstellungseröffnungen und Festveranstaltungen. Die Sammlung der Deutschen Nationalbibliothek ist auf Vollständigkeit und auf Dauer angelegt. Sie reicht von gedruckten Büchern bis zu Netzpublikationen und im Deutschen Musikarchiv von den ältesten bis zu den modernsten Musikdatenträgern. Wir laden dazu ein, diese Vielfalt in unseren Häusern zu erleben.”

Den Auftakt macht am Dienstag, 13. März, die Eröffnung der neuen Dauerausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig. Weitere Höhepunkte des Programms sind ein Konzertwochenende mit Xavier Naidoo und Clueso in Leipzig und eine Ausstellung zum Exil in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Die Präsentation einer Sonderbriefmarke und einer Gedenkmünze zum Jubiläum sowie ein Festakt runden das Veranstaltungsprogramm ab.

“Wir sind ein Jahrgang!” ist der Name einer Mitmachaktion im Internet, die am 1. März gestartet ist. Teilnehmer haben die Möglichkeit, ein Foto von sich mit einem Buch, einer CD oder anderen Medien, die in den Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek fallen, online einzureichen. Das Geburtsjahr und das Erscheinungsjahr des Mediums müssen identisch sein. Die eingesendeten Fotos werden auf einer Webpage präsentiert. Ziel ist es, am 31. Oktober Bilder für alle Sammlungsjahrgänge 1913-2012 präsentieren zu können.

www.dnb.de/100jahre

einjahrgang.dnb.de

www.dnb.de

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