Es ist kein Geheimtipp, denn natürlich hat das Bach-Archiv kräftig geworben auch für diesen kleinen besonderen Termin im Kalender des Bachfests 2014: Am Donnerstag, 19. Juni, gibt es um 22:30 Uhr im Sommersaal des Bach-Museums das Konzert "Wiederentdeckt - Das vermisste Pembroke-Manuskript". Zu nächtlicher Stunde, wie sich das für Gambenmusik gehört. Und für diese erst recht, denn sie ist eine besondere Leipziger Wiederentdeckung.

So etwas spitz bekommen hat Thomas Fritzsch schon vor Jahren. Er ist – was für eine Berufsbezeichnung! – Gambist. Aus Leidenschaft. Aufgewachsen in einem Kantorenhaushalt, gehört klassische Musik von Anfang an zu seinem Leben. Wenn das Haus voller Instrumente ist, dann wird auch Neugier geweckt. In seinem Fall war es das Cello seiner Mutter, das ihn schon früh zum Amateur auf diesem Instrument machte. Und dann auch seine Studienwahl bestimmte: Violincello und Viola da Gamba an der Leipziger Hochschule für Musik. “Ich glaube, es war sogar der erste Jahrgang, in dem das in dieser Kombination möglich war”, erzählt er.

Eigentlich wollte er beim Plaudern beim Bach-Lunch nur erklären, wie er auf die Spur des Königs aller Gambenspieler stieß. Aber ohne Leidenschaft und frühe Begeisterung ist das nicht erklärlich. Es ist wie mit allen Dingen, die man “richtig” tun will: Man muss angesteckt sein, fiebern und nicht mehr loslassen können. Manchmal ist es eine große Liebe. Wie die Liebe von Thomas Fritzsch zur Gambe, die eigentlich ein ausgestorbenes Instrument ist. Oder war. Sie gehörte zu den Lieblingsinstrumenten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Doch die Revolution der Instrumente im 19. Jahrhunderts bedeutete fast das Aus für dieses sinnliche Instrument. Das Violoncello, das auch besser zur neuen orchestralen Aufführungspraxis passte, trat seinen Siegeszug an. Hunderte Gamben wurden einfach zu Violoncelli umgebaut.

Ganz verschwunden ist die Gambe nicht. Es gab dann durchaus noch einige Virtuosen, die mit dem Instrument unterwegs waren. Und mit der neuen Neugier des späten 20. Jahrhunderts auf die originale Aufführungspraxis vergangener Musikepochen wurde auch das Interesse an den originalen Instrumenten der Zeit erweckt.

Für Thomas Fritzsch wurde das 18. Jahrhundert zum Faszinosum. Insbesondere die späte Blütezeit der Gambenmusik zog ihn in seinen Bann. Da bleibt ein Musiker nicht nur Musiker, da wird er zum Forscher. Und wer sich mit der Gambenmusik dieser Zeit beschäftigt, kommt an einem Mann nicht vorbei: Carl Friedrich Abel.

Abel hat sogar etwas mit Johann Sebastian Bach zu tun. Die Spuren führen nicht ganz zufällig ins Bach-Archiv in Leipzig. Denn 1723 wurde Abel als Sohn des Gambenvirtuosen Christian Ferdinand Abel in Köthen geboren. Zwar erst im Dezember – Bach war schon im Mai von Köthen nach Leipzig gewechselt. Aber Vater Christian Ferdinand war “Premier-Musicus” in der Köthener Hofkapelle, die von Bach bis dahin geleitet wurde. Die Spekulationen darüber, ob Sohn Carl Friedrich dann später als Thomaner in Leipzig war, haben zumindest einen kleinen Grund, sind aber nicht bewiesen.
Dafür braucht eine andere Bachbeziehung nicht bewiesen zu werden: die zu Johann Christian Bach, einem der berühmten Bach-Söhne. Der kam 1762 nach London, wo Carl Friedrich Abel seit 1759 seine Erfolge feierte – nicht nur als Solist an der Gambe, die er virtuos beherrschte, sondern auch als Komponist. Johann Christian Bach war einer seiner beiden treuesten Freunde. Der andere war genauso berühmt: Thomas Gainsborough, der berühmteste englische Porträtmaler in dieser Zeit.

Natürlich hat Thomas Gainsborough auch Abel gemalt, mehrfach. Auch mit Gambe, mal sechs-, mal siebensaitig. Mit seiner Forschung ist Thomas Fritzsch natürlich in eine Musikzeit vorgestoßen, die im klassischen Musikkanon bislang praktisch nicht existierte. Irgendwann im frühen 19. Jahrhundert wurden die großen Komponisten der Vergangenheit alle in Schubladen gepackt und kanonisiert. Auf (Johann Sebastian) Bach folgten da Haydn, Mozart und Beethoven. Als wäre da so etwas wie ein Generalbass in der Musikgeschichte. Und als wäre da rechts und links nichts Neues entstanden, als käme jeder neue “Star” quasi aus dem Nichts. In den meisten Schulen wird die Musikgeschichte noch heute so gelehrt.

Die “Anderen” kommen da bestenfalls als Fußnote vor. Etwa ein Carl Philipp Emanual Bach, der zum Bach-Fest 2014 diesmal der Star ist, weil sich in diesem Jahr sein 300. Geburtstag rundet. C.P.E. Bach ist eine Wiederentdeckung. Und selbst die Verehrer seines Vaters werden hinschmelzen, wenn seine Musik im Juni in Leipzig wieder erklingt. Johann Christian Bach muss noch ein bisschen warten. Sein 300. Geburtstag kommt erst 2035 dran. Aber Thomas Fritzsch hat sich natürlich auch mit diesem Johann Christian beschäftigt. Denn wenn einer erst mal forscht in diesem bisher als Grauzone behandelten späten 18. Jahrhundert, dann stößt er auf diese Komponisten und ihre Welt. Die im musikhistorischen Kontext irgendwie keinen Namen zu haben scheint. Spätbarock passt irgendwie nicht, Klassik und Romantik ist es auch noch nicht. Es ist die Zeit der Suche, des Gärens, des Experimentierens. In der Literatur wird die zugehörige Literaturepoche gern “Sturm und Drang” genannt.

Die siebente Saite an der Gambe ist so ein Experiment. Manchmal war es auch “nur” die Spielweise. Der “geniale Virtuose” des frühen 19. Jahrhunderts kündigt sich an. Natürlich in London, der kunstsinnigsten Stadt dieser Zeit, die auch für Experimente offen war. Sie feierte Händel, Johann Christian Bach und Abel. Und eigentlich, so stellte Thomas Fritzsch fest, müsste es von Abel einen ganzen Berg von Kompositionen geben – Sinfonien, Opern, Sonaten, Streichquartette. Eine Abel-Sinfonie schaffte es sogar ins Werkverzeichnis von Mozart: die Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur. Der junge Mozart hatte sie bei einem Londonbesuch kopiert.

Aber wirklich viel existiert nicht mehr. Nachdem Abel 1787 in London starb, wurde sein Nachlass versteigert. Möglich, dass dabei die meisten seiner Kompositionen in alle Winde zerstreut wurden. Eine kleine Sammlung ist Gamben-Freunden seit Jahren vertraut, die sogenannte “Pembroke-Sammlung”. Aus dieser Sammlung spielt Fritzsch seit Jahren gern und immer wieder Stücke in seinen Konzerten. Sie zeigen den Meister. Aber sie waren nicht alles, konnten nicht alles sein. Das wusste Fritzsch. Und er hatte da schon so eine Ahnung, als ihm ein Titel auffiel, der nur kurz bei einer Versteigerung auftauchte – und natürlich wieder verschwand. Weil die Welt aber klein ist, wusste Fritzsch, wer der Käufer gewesen sein könnte. Auch wenn er – ganz feine englische Art – das nicht so ansprach, als er 2011, als der amerikanische Sammler Elias N. Kulukundis Leipzig besuchte, auch wie zufällig ein Abel-Stück spielte.

“Hinterher sagte er dann zu mir: Ich habe da was für Sie”, erzählt Fritzsch nun drei Jahre später. Noch genauso aufgeregt. Denn das, was Kulukundis da hatte und zu dem Fritzsch das Recht zur Veröffentlichung bekam, ist nichts anderes als eine zweite “Pembroke-Collection”. Und die enthält 14 Stücke von Carl Friedrich Abel, die bislang nirgendwo bekannt waren. Ausdrucksstarke Stücke aus Abels Spätzeit, in denen er auch eine neue Spielart ausprobiert. Oder einfach festhält, denn die hier versammelten vier Duette und zehn Sonaten lassen durch die niedergeschriebenen Fingersätze auch erkennen, wie Abel spielte.

“Das waren auf keinen Fall Noten für den Verkauf”, ist sich Fritzsch sicher. “Hier wird die Spielweise von Abel selbst sichtbar.” Eine nicht ganz leichte Spielweise, wie Fritzsch feststellt, der selbst staunte, wie Abel da im hohen Alter mit seiner Gambe umging. Aber es funktioniert. “Ich war sehr überrascht, sagt er. Das klingt viel moderner als das, was ich bisher von Abel kannte. Richtig außergewöhnlich. Diese Musik muss zu ihrer Zeit alle erstaunt haben.”

Womit dann Abels europaweiter Ruhm auch erklärbarer wird. Für zwei Editionen hat Fritzsch auch noch einmal eine Spurensuche in Abels Leben gestartet. Dadurch, dass Abel nicht wie Bach oder Mozart im Mittelpunkt der Musikgeschichte stand, ist nicht nur seine Jugend fast unbeleuchtet, auch sein späteres Leben ist eher Fragment. Ein wenig füllt Fritzsch die Lücke jetzt, erzählt von der schweren Alkoholerkrankung Abels, die seine letzten Lebensjahre prägte – aber augenscheinlich seiner Virtuosität keinen Abbruch tat.

Die Kompositionen der zweiten “Pembroke-Sammlung” wurden sieben Jahre nach Abels Tod versteigert. Und ersteigert wurden sie augenscheinlich von Elizabeth Herbert (geb. Spencer), Countess of Pembroke and Montgomery (1737-1831), aus deren Besitz auch die erste Pembroke-Sammlung stammt. Die meisten Stücke aus der ersten Pembroke-Sammlung waren wohl direkt für Eliza und ihren Mann Henry Herbert, dem 10. Earl of Pembroke bestimmt gewesen, denn sie war leidenschaftliche Gambistin, er war Cellist.

Mit der zweiten Pembroke-Sammlung lernt man nun einen anderen, den virtuosen Carl Friedrich Abel kennen. Zusammen mit Shalev Ad-El (Hammerflügel, Cembalo) wird Thomas Fritzsch am 19. Juni im Sommersaal gleich ein ganzes Bündel von Kompositionen aus dieser zweiten “Pembroke-Sammmlung” erklingen lassen. Ein paar Restkarten soll es für dieses Konzert zu später Stunde noch geben.

Der 19. Juni ist auch offiziell der Tag, an dem die Kompositionen aus diesem zweiten “Pembroke-Manuskript” auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen: Die Edition Gümthersberg legt – ediert von Thomas Fritzsch – die vier Duette und zehn Sonaten in fünf einzelnen Bänden vor.

Und es erscheint eine Einspielung der neuen Abel-Stücke auf CD. Natürlich mit Thomas Fritzsch an der Gambe.

Wer es gleich im Original hören möchte, der findet das Sommersaal-Konzert unter Nr. 62 im Bachfest-Kalender.

Termintipp:

“Wiederentdeckt – Das vermisste Pembroke-Manuskript”, am Donnerstag, 19. Juni, 22:30 Uhr im Sommersaal des Bach-Museums mit Thomas Fritzsch (Viola da gamba) und Shalev Ad-El (Hammerflügel, Cembalo).

Hörbeispiel:
http://vimeo.com/39422508

Wikipedia zur Gambe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gambe

Wikipedia zu Carl Friedrich Abel:
http://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Abel

Zum Bachfest:
www.bachfestleipzig.de/de/bachfest

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