Ein Universalgelehrter als Thomaskantor? Heute unvorstellbar. Aber vor der Bach-Ära war das durchaus nicht abwegig. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis Thomaskantoren sich reineweg aufs Komponieren und Musizieren spezialisieren konnten. Denn eigentlich waren sie ja Lehrer an der Thomasschule. Und einige der Bach-Vorläufer waren echte Gelehrte. Wie dieser hier, der vor 400 Jahren starb.

Sethus Calvisius heißt er und das Vocalconsort Leipzig hat sich dieses, in seiner Zeit ebenfalls berühmten, Kantors in diesem Jahr besonders angenommen. Musikalisch natürlich. Es hätte auch eine künstlerische Installation im Stadtraum beantragen können, die sein Wirken als Astronom und Mathematiker würdigt.

Sethus Calvisius (1556-1615) ging in die Geschichte vor allem als Musiktheoretiker und Chronologe ein. Aber die Welt verdankt dem Mann, der von 1594 bis an sein Lebensende im Jahr 1615 Thomaskantor in Leipzig war, auch eine Vielzahl an Kompositionen unterschiedlicher Genres und Besetzungen. Die es wiederzubeleben lohnt, befand man beim Vocalconsort Leipzig. Seit dem Calvisius-Symposium 2006 unter der Leitung von Prof. Gesine Schröder an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig beschäftigt sich das Vocalconsort Leipzig (VCL) intensiv mit den Werken des Leipziger Komponisten, der in der spannenden Zeit um 1600 wirkte. 2009 veröffentlichte es die CD „Freut euch und jubilieret“ mit Werken von Calvisius.

Zum 400. Todesjahr von Sethus Calvisius gibt das Vocalconsort Leipzig unter der Leitung von Gregor Meyer drei Konzerte an drei unterschiedlichen, biografisch bedeutsamen Lebens- und Schaffensorten des Komponisten, die mit drei unterschiedlichen Bundesländern bestens sein Wirken in Mitteldeutschland abbilden.

Calvisius wurde am 21. Februar 1556 in Gorsleben bei Sachsenburg/Thüringen geboren. Dass er überhaupt eine Bildungskarriere einschlagen würde, war dem Hochbegabten nicht in die Wiege gelegt, denn Seth Kalwitz, wie er da noch hieß, war Sohn eines Tagelöhners. Eigentlich wäre bestenfalls eine Ausbildung zum Weber drin gewesen. Aber der Junge war so wissbegierig, dass er sich auch durch eine von Armut geprägte Schulzeit in Frankenhausen und Magdeburg kämpfte, um dann in Leipzig zu studieren – augenscheinlich alles, was ihn vorher schon interessiert hat: Mathematik, Chronologie (Kalenderlehre), Astronomie und besonders intensiv Musik. Letzteres so emsig, dass er schon 1580 sein erstes musikalisches Amt in Leipzig bekam: Rektor des Chores der Universitätskirche St. Pauli. Das war das Sprungbrett zu seinem ersten Kantorenamt 1582 an der Fürstenschule Schulpforte. Dort blieb er zwölf fruchtbare Jahre lang als inspirierender Lehrer und beschäftigte sich auch dort mit Geschichte, Chronologie und Musiktheorie. 1594 wurde er in das Amt des Leipziger Thomaskantors berufen, das er bis zu seinem Tod innehatte.

Und auch da hängte er seine Forschungen nicht einfach an den Nagel, publizierte auch weiter und hatte nun erst recht einen Ruf als Musikus, Polyhistor und Astronom. Er war so berühmt, dass die Universitäten Wittenberg und Frankfurt/Oder ihn gern abgeworben hätten – nicht als Kantor, sondern als Mathematikprofessor. Als Astronom gehörte er zu den führenden Köpfen seiner Zeit, mit dem berühmtesten – Johannes Kepler – pflegte er innigste kollegiale Beziehungen.

Calvisius starb am 24. November 1615 mit den Worten „Domino moriar. Ich will dem Herrn sterben“. Bei seiner Beerdigung sang der Thomanerchor seine letzte Komposition, die achtstimmige Motette “Unser Leben währet siebnzig Jahr”.

Zum 400. Todesjahr vergab das Vocalconsort Leipzig sogar einen Kompositionsauftrag an den Leipziger Tonschöpfer Franz Kaern-Biederstedt, der eine unvollständig erhaltene Motette von Calvisius („Man wird zu Zion sagen“ – von acht Stimmen sind nur drei überliefert) in sein neues Werk „Jerusalem“ für 4-8-stimmigen gemischten Chor, Zink und Vibraphon integriert hat.

Die Calvisiusstraße in Lindenau gibt es übrigens seit 1907. Vorher hieß sie Tauchnitzstraße nach dem berühmten Verleger.

Der Todestag ist zwar der 24. November. Aber so lange warten muss niemand, um sich mit der Musik von Calvisius vertraut zu machen.

Am Sonntag, 27. September, um 17 Uhr in der Philippuskirche Leipzig-Lindenau, sind neben den Motetten von Sethus Calvisius auch Werke von Johann Hermann Schein und die neue Komposition des Leipziger Komponisten Franz Kaern-Biederstedt zu hören. Es singen Gesine Adler (Sopran) und das Vocalconsort Leipzig, begleitet von der Camerata Lipsiensis unter der Leitung von Gregor Meyer. Der Eintritt ist frei – am Ausgang wird eine Spende erbeten, die unter anderem der Restaurierung der Orgel zugute kommt.

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