Die Geschichte klang zu schön: Da trickst ein cleverer Verleger die Genehmigungspraxis der DDR aus, indem er – da er partout keine Druckfreigabe vom zuständigen Buchminister bekommen kann – der Druckerei einfach sagt, sie könne das Buch jetzt drucken, die Druckgenehmigung sei da. Und so sei „Horns Ende“ zum einzigen Buch in der DDR geworden, das ohne Druckgenehmigung erschien. Leider nur eine schöne Anekdote, teilt uns jetzt Bernd F. Lunkewitz mit.

Die Bücherfreunde kennen Lunkewitz noch als langjährigen Inhaber des Aufbau Verlages, aus dem er sich 2008 nach jahrelangem Streit mit der Treuhandanstalt zurückzog. Den Aufbau Verlag gibt es immer noch. Er gehört zu den einstigen DDR-Verlagen, die die Turbulenzen der Deutschen Einheit überlebt haben, auch weil es Leute wie Bernd Lunkewitz gab, die sich tatsächlich für den Erhalt solcher Verlage engagierten.

Der Verlag gehörte auch deshalb zu den chancenreichen im neu vereinigten Deutschland, weil er die namhaftesten ostdeutschen Autoren unter Vertrag hatte. Bis 1992 war Elmar Faber Verlagschef bei Aufbau. Schon 1990 hatte er mit seinem Sohn Michael zusammen den Verlag Faber & Faber gegründet, mit dem er dann 1995 nach Leipzig kam. Und in diesem Verlag hat nun Michael Faber auch den Briefwechsel seines Vaters mit dem damaligen Aufbau-Autor Christoph Hein veröffentlicht: „Ich habe einen Anschlag auf Sie vor“.

Darin kommt die oben erwähnte Anekdote um Heins Roman „Horns Ende“ vor. Christoph Hein erzählte sie selbst in seiner Rede bei der Beerdigung von Elmar Faber am 19. Dezember 2017. Die Rede ist im Buch mit abgedruckt.

Doch so kann sich die Geschichte nicht abgespielt haben, stellt Lunkewitz fest, der sich auf seiner Website prozessbeobachter.net sehr akribisch mit dem Fall „Horns Ende“ und was 1984 bis 1986 tatsächlich geschah beschäftigt. Auch „Horn Ende“ bekam eine Druckgenehmigung.

Bernd F. Lunkewitz: „Am 18. Dezember 1984 beantragte Elmar Faber, der im Mai 1984 Leiter des Aufbau-Verlages geworden war, bei der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur der DDR die Genehmigung für den Druck der ersten Auflage dieses Buches in Höhe von 20.000 Exemplaren. Am 25. Februar 1985 wies Klaus Höpcke, der stellvertretende Minister für Kultur und Leiter dieser Behörde die zuständige Abteilung an, die Druckgenehmigung zu erteilen. Am 26. Februar 1985 wurde dort der Antrag auf Druckgenehmigung unterzeichnet. Die Nummer 120/4/85 bezeichnete für den Aufbau-Verlag (Verlagsnummer:120) die 4. Druckgenehmigung im Jahr 1984. In der Rubrik Bemerkungen wurde eingetragen: „Direktive zu Erteilung der DG von Hn. Höpcke am 25.02.85“. Die Urkunde der mit dem Siegel des MfK und zwei Unterschriften versehenen Druckgenehmigung 120/4/85 wurde am 27. Februar 1985 ausgefertigt. Der Aufbau-Verlag übergab das fertige Manuskript des Buches zusammen mit der Urkunde an den graphischen Großbetrieb Karl Marx Werk in Pößneck, der im Juni 1985 mit der Satzherstellung begann. Die Erhöhung der Auflage auf 25.000 Exemplare wurde am 2. Juli 1985 genehmigt. Nach der Fahnenkorrektur gab der Verlag im Juli den Umbruch zum Druck frei.“

Das alles ist nachweisbar, nicht nur mit den archivierten Druckgenehmigungen. Auch die Besitzer eines Exemplars der Erstauflage müssten einfach ins Impressum schauen können und dort die entsprechende Druckgenehmigungsnummer finden. Lunkewitz: „Im Impressum des Buches ist pflichtgemäß die Lizenznummer 301 des Verlages der Nummer der Druckgenehmigung vorangestellt: 301.120/4/85.“

Aber was ist wirklich passiert? Warum kam Christoph Hein auf die Idee, so ein „Husarenstück“ zu erzählen?

Das hat natürlich mit der DDR-typischen Geheimniskrämerei zu tun. Im September 1985 wurden die fertigen Exemplare von „Horns Ende“ an die LKG in Leipzig geliefert. Und dann muss irgendjemand, so Lunkewitz, den Titel bei den oberen SED-Funktionären angeschwärzt haben. Und die standen einmal mehr nicht zu ihrer Genehmigung, das Buch zu drucken, sondern es erfolgte die Anweisung, die Auslieferung zu stoppen.

Lunkewitz: „Der Stopp der Auslieferung wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Nur ein kleiner Kreis ,Interessierter‘ wusste davon. Die Verlagsleitung erklärte auf Anfragen, dass die Auslieferung ,noch nicht abgeschlossen‘ sei und wartete auf die Entscheidung der übergeordneten Stellen.“

Es ist diese Geheimniskrämerei, die auch damals schon den Stoff für Gerüchte bildete. Niemand erfuhr wirklich, wer sich nun im ZK eigentlich so vehement dazwischenwarf, während selbst „Buchminister“ Klaus Höpcke für den Titel kämpfte. Im Westen war „Horns Ende“ längst bei Luchterhand erschienen. Am Ende gab es dann doch die offizielle Freigabe der bei LKG eingelagerten Bücher. Am Februar 1986 durfte der Titel dann auch in der DDR endlich ausgeliefert werden – aber bitteschön ohne besondere Werbung dafür. Das Buch war trotzdem ruckzuck vergriffen.

Warum Christoph Hein trotzdem das Märchen von einer Veröffentlichung ohne Druckgenehmigung erzählt, kann auch Lunkewitz nicht verstehen. Gerade weil Hein sich schon in DDR-Zeiten einen seriösen Ruf erarbeitet hat, der ihm auch heute noch im ost-westdeutschen Dialog eine Position verleiht, mit der er ernst genommen wird. Das lesenswerte Buch „Zensurspiele“ von Simone Barck und Siegfried Lokatis, das diese ostdeutschen Zensur-Eiertänze an den berühmtesten Beispielen entlang erzählt, erwähnt Christoph Hein übrigens zwei Mal – aber beide Male mit seiner berühmten Rede zur Abschaffung der Zensur auf dem Schriftstellerkongress 1987.

Auf prozessbeobachter.net erzählt Lunkewitz die Geschichte noch wesentlich ausführlicher. Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ein cleverer Verleger damals die Zensur so einfach hätte austricksen können. Aber dann hätte sich der Leiter der Druckerei in Teufels Küche gebracht, wenn er ein Buch ohne eingedruckte Nummer der offiziellen Druckgenehmigung gedruckt hätte.

Verantwortliche Redaktion: Wie die Zensurwerkstätten in der DDR tatsächlich funktionierten

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Vielen Dank dem Verleger Lunkewitz für die erhellende Aufklärung. Warum hat eigentlich “Bücherminister” Höpcke nicht schon früher für Aufklärung gesorgt. Denn Elmar Faber gab die, nunmehr offensichtliche, Mär zu Lebzeiten bei allen möglichen Gelegenheiten zum Besten. Und wer freut sich nicht daran, wenn etwas Subversives gelingt und die Zensoren entmachtet werden? “Fakes” waren doch zu der Zeit noch gar nicht in Mode.

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