Kirchenbauwerke gehören in Mitteldeutschland zu fast jedem Ort. Im Alltag sind sie bekannt als Wahrzeichen, Ortsmittelpunkt oder Orientierungsmarke, sie haben architektonisch, kunsthistorisch und regionalgeschichtlich vielfältige Bedeutung. Doch die Zukunft vieler Kirchen ist bedroht: Dutzende von ihnen haben ihre Funktion verloren, einige sind bereits spurlos aus dem Ortsbild verschwunden. Zeit zur Erinnerung an verschwundene Kirchen – und was mit ihnen unwiderruflich verloren gegangen ist.

Die Französisch-reformierte Kirche Magdeburg war das Gotteshaus der gleichnamigen Kirchengemeinde, die mit den in Frankreich verfolgten, calvinistischen Christen in Magdeburg entstand. Das Gotteshaus stand in Magdeburgs Altstadt nördlich der Großen Marktstraße, genau am nördlichen Ende des von der Großen Marktstraße nach Norden abgehenden Gangs zur Französischen Kirche.

Geschichte

Am 29. Oktober 1685 erließ Kurfürst Friedrich Wilhelm das Edikt von Potsdam. Er half damit den calvinistischen Franzosen, die in ihrer Heimat aufgrund ihres Glaubensbekenntnisses von Ludwig XIV in Bedrängnis gebracht worden waren, und gewährte ihnen Schutz. Von 1685 bis 1705 kamen etwa 1.550 religiös verfolgte Menschen nach Magdeburg. Sie bildeten die Französische Kolonie in Magdeburg und gründeten am 20. März 1687 die Französisch-reformierte Gemeinde zu Magdeburg.

Der Kurfürst wies ihnen als Gotteshaus die Stiftskapelle St. Gertrauden zu. Die Gemeinde wuchs weiter – und ebenso der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus. 1704 erwarb Antoine Charles im Auftrag seiner Gemeinde für 2.055 Taler von den Erben des Bernhard von Hutten das Grundstück nördlich der Großen Marktstraße. In den Jahren 1704 und 1705 wurde Geld für den Bau der Kirche gesammelt.

Am 6. August 1705 war Grundsteinlegung für den Kirchenbau, der dem Tempel von Montauban im Süden Frankreichs nachempfunden wurde. Der Entwurf stammte von Emanuel l’Étang aus Berlin. Der achteckige, verputzte Bau war von einer Laterne bekrönt. Am 1. Juni 1710 war Kirchweihe, Ostern 1732 Orgelweihe. Beim Bau gab es Streit mit Nachbarn, denen die Kirche zu dicht an ihre Häuser herangebaut war.

Am 19. August 1804 brannte die Kirche völlig aus. Sie erstand in verkleinerter Form neu nach Plänen von Johann Conrad Constenoble, die Wieder-Weihe war am 31. August 1806.

Architektur und Ausstattung

Der ursprüngliche Sakralbau aus der Zeit ab 1706 hatte die Form eines Achtecks mit zwei einander gegenüberliegenden Eingängen sowie ein abgestumpftes Mansardendach mit kleinem Turm als Dachreiter. Die Sitzbänke waren amphitheatralisch aufgestellt, sodass von allen Plätzen der Prediger gut zu sehen war. Die Einrichtung war schlicht. Der Dachreiter soll in seiner Gestalt dem des Magdeburger Rathauses geähnelt haben. Die Empore ruhte auf 12 Säulen. Unter der Kirche war eine geräumige Gruft, in der Honoratioren der Gemeinde beigesetzt waren.

Innenansicht mit Orgel und Empore. Abb. Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=126617673
Innenansicht mit Orgel und Empore. Abb. Ghostwriter123, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=126617673

Beim Wiederaufbau nach dem Brand 1804 wurde der achteckige Grundriss beibehalten, ansonsten vieles verändert. Eingang zur Kirche war nun von Süden. Beidseits der Tür waren zwei große, im oberen Teil abgerundete Fenster. Die Nordseite hatte ebenfalls zwei solche Fenster, und so wirkte die Kirche sehr hell.

Die Orgelempore ruhte auf sechs Säulen. Darunter waren auf zwei schwarzen Tafeln in goldener Schrift die Zehn Gebote zu lesen. Vor der erhöhten Kanzel befand sich der Abendmahltisch. Das Gestühl war so aufgestellt, dass die Gemeinde aus dem Kirchenschiff nach Osten auf die Kanzel blickte.

Ein Mittelgang zwischen den Bankreihen führte zur Kanzel. Links und rechts von ihr waren die Bänke mit Blick zur Kanzel aufgestellt, sodass von allen Plätzen sie und der Abendmahltisch zu sehen waren. Zwischen den beiden Fenstern der Nordseite war eine große Tafel mit Bibelworten angebracht.

Die Orgel schenkte am 29. Oktober 1809 der König von Westfalen, Jérôme Bonaparte, der Gemeinde – sie stammte aus dem Jungfräulichen Stift und Kloster Wöltingerode bei Vienenburg im Harz. 1840 wurde eine neue Kanzel aufgestellt und als Geschenk des Uhrmachers Dumesniel eine Uhr angebracht.

Ab 1840 gab es einen gusseisernen Ofen, 1885 wurde eine Heizung installiert. 1886 wurden neue Bänke aufgestellt und grüne Vorhänge gegen das Sonnenblendlicht angebracht. Der Altarraum wurde mit Parkett ausgelegt und ein eichener Tauftisch in Kelchform aufgestellt.

Jüngere Vergangenheit und Gegenwart

Beim Bombenangriff auf Magdeburg am 16. Januar 1945 wurde auch die Französisch-reformierte Kirche getroffen und beschädigt.

Wie wohl jede andere Kirchgemeinde mit gleichem Schicksal wünschten sich die Christen dort das Wiedererstehen ihrer Kirche. Doch es blieb ein frommer Wunsch: Magdeburgs DDR-Stadtplaner hatten radikale Pläne zur sozialistischen Umgestaltung des historischen Stadtzentrums – da störten Kirchen. Den Antrag auf Wiederaufbau seitens der Kirchgemeinde lehnte die Stadtverwaltung Magdeburg 1957 ab.

Knapp drei Jahre später bekam die Kirchgemeinde Post aus dem Rathaus: Das Stadtbauamt Magdeburg fragte im Schreiben vom 12. Februar 1960 die Gemeinde um Zustimmung zur Inanspruchnahme ihres Grundstückes „Gang zur Französischen Kirche 1“.

Auf Nachfrage erklärte das Stadtbauamt, die Stadt benötige für Wohnungsbau das Grundstück des Pfarrhauses der Gemeinde – die Kirche solle als Lesesaal für die Stadtbibliothek ausgebaut werden. Daraufhin stimmte die Gemeinde lediglich der Inanspruchnahme des Pfarrhaus-Grundstückes zu – ausdrücklich aber nicht der des Kirchengrundstücks.

Acht Monate danach, am Vormittag des 20. Oktober 1960, teilte Stadtrat Meyer vom Rat der Stadt Magdeburg der Gemeinde mit, die Sprengung der Französisch-reformierten Kirche würde wenige Stunden später – um 14.15 Uhr – erfolgen.

Der Bitte um Verhinderung könne er nicht nachkommen, „da eine Beseitigung der Sprengladungen nur unter Lebensgefahr möglich sei.“ Auch war das Stadtbauamt der Ansicht, „die öffentliche Ausschreibung in den Magdeburger Tageszeitungen hätte genügt“, um über dieses Vorhaben zu informieren, steht in den Unterlagen der Kirchengemeinde.

Mit anderen Worten: Die Stadtverwaltung hatte vorsätzlich der Kirchengemeinde buchstäblich bis zum letzten Moment offiziell verschwiegen, dass und wann ihr Gotteshaus gesprengt werden sollte. Die Sprengung erfolgte zum von der Stadt geplanten Zeitpunkt.

Das Gotteshaus diente zahlreichen Generationen von Christen regelmäßig zur Andacht sowie zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten als Ort festlicher Begegnung. Sie war vertraute, heimatliche Feierstätte für Taufe und Konfirmation, für Trauung, Silberne und Goldene Hochzeit und für den Heimgang Hunderter Bürger. Sie war Platz der Gemeinsamkeit für Andacht und Hoffnung, für Zuversicht und Freude, für Trauer und Leid.

Die Fundamente der Französisch-reformierten Kirche wurden eng mit einem Wohnhochhaus und Plattenbauten umbaut. Heute umgibt den einstigen Standort des Gotteshauses nördlich der Julius-Bremer-Straße das westlich gelegene Logenhaus „Ferdinand zur Glückseligkeit“ und das östlich stehende Hochhaus Jakobstraße 7.

Koordinaten: 52° 7′ 59,7″ N, 11° 38′ 31,5″ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B6sisch-reformierte_Kirche_(Magdeburg)
https://www.ek-md.de/kulturtourismus/kulturtourismus-verlorenekirche.html
https://kirchensprengung.de/kirchensprengung-magdeburg

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