Ein Jubiläumsjahr geht zu Ende, eine Ausstellung schließt demnächst ihre Pforten: die Ausstellung zum 100. Geburtstag der in Leipzig gegründeten Insel-Bücherei in der Hainstraße 11 (Hinterhof, 3. OG). Seit dem Frühjahr erfreuten die Leipziger Buchwissenschaftler das Publikum mit diversen Plakaten zum Thema. Auch zu Weihnachten gibt's eins.

Es ist ein bisschen später fertig geworden als geplant. Am Ende grübelte Julia Bachmann, die das Plakat gestaltet hat, noch über den Titel: “Weihnachten 2012”? Oder doch lieber “Weihnachtliche Insel-Bücherei”? Oder “Frohe Insel-Bücher”? – Nicht so einfach. Auch wenn die Insel-Bücherei genauso wenig wie andere Buchserien darum herum kam, auch das Fest aller Feste als Thema mit ins Programm zu nehmen. Es verschenkt sich so schön. Selbst im Jahr 2012 kamen etliche Neuerscheinungen dazu aus dem Hause Suhrkamp, zu dem der Insel Verlag heute gehört.

“Vom Himmel hoch. Die schönsten Weihnachtslieder” (Insel-Nr. 1370) heißt eines – ein Blick aufs Plakat zeigt, dass die Weihnachtslieder in diverser Form, auch früher schon in der Insel-Reihe erschienen – als “Leise rieselt der Schnee” (Nr. 1179) oder “Deutsche Weihnachtslieder mit Noten und Liedern” (Nr. 1027). Manches doppelt sich natürlich, weil die Insel-Reihe durch die Doppel-Existenz des Verlages auch 40 Jahre lang parallel lief.

Auch wurden manche Nummern aus vorhergehenden Jahren neu besetzt, weil man auch im Insel-Programm aufräumte. Etliches ist heute einfach vergessen wie die Autoren. Wie zum Beispiel ein gewisser Friedrich Schnack, der in den 1920er/1930er Jahren zu einem der stark verlegten Insel-Autoren gehörte. Auch Sabine Knopf erwähnt ihn einmal in ihrem Buch über Katharina Kippenberg, die “Herrin der Insel”. Denn neben den heute immer noch Berühmten und Gehaltvollen kamen auch Autoren ins Insel-Programm, die einfach flotte Titel produzierten, die sich schnell und in hoher Auflage verkauften. Schnack war so ein Vielschreiber, auch wenn er in seinen frühen Jahren durchaus zur Avantgarde des deutschen Expressionismus gehörte.

Doch die große Werkliste in der Deutschen Nationalbibliothek listet später reihenweise Bücher von ihm mit eher exotischen Themen aus fernen Ländern, Märchen, Mythen und Naturgedichte auf. Man muss ein Weilchen suchen, aber auch der Insel-Band Nr. 495 ist darunter, der auf dem Plakat zur Ausstellung so schön aufgeklappt daliegt, damit man die hübsch gezeichnete Weihnachtskrippen- und Geschenkelandschaft besser sieht. “Land ohne Tränen” heißt das Bändchen, erschienen 1934 im Insel-Verlag in einer Auflage von 10.000 Stück.

Ein Jahr zuvor war Schnacks Name in der Liste der 88 Schriftsteller aufgetaucht, die im Oktober 1933 das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler bekundeten. Das Bekenntnis war am 26. Oktober 1933 in der Vossischen Zeitung abgedruckt worden, drei Wochen, nachdem die Hitler-Regierung das sogenannte Schriftleitergesetz verabschiedet hatte, auf dessen Grundlage über 1.300 Journalisten ihre Anstellung verloren. Unter den Unterzeichnen waren – neben vielen Autoren, die heute niemand mehr kennt – durchaus auch einige, die auch nach 1945 noch eine Rolle spielten – teilweise heftig umstritten – darunter zumindest zu nennen Gottfried Benn, Arnolt Bronnen und Hermann Kasack.
Dass Schnack nicht einfach zufällig auf die Liste geriet, zeigt auch seine Beteiligung am Weimarer Dichtertreffen von 1941, dessen Gastgeber das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda war.

Womit man dann endgültig beim Nachdenken darüber ist, wer sich denn nun alles und vor allem wie mit dem Weihnachtsfest und seiner Botschaft befasst hat. Das Meiste, was dazu in Buchform erscheint, ist ja in der Regel nichts Neues, oft nur die immer süßlichere Nacherzählung der alten Geschichten. Da und dort kann man die schönsten Geschichten der wirklich guten Dichter versammeln.

Auf diesem Plakat sind es zum Beispiel E.T.A. Hoffmann, Charles Dickens und Heinrich Böll. Schnee gehört zum Fest. Also gibt es auch allerlei Bändchen, die sich mit Schnee und Winter beschäftigen. Was schon ein deftiges Augenzwinkern ergibt, wenn dabei neben Wilhelm Müllers “Winterreise” (Nr. 1333) auch Heinrich Heines “Deutschland. Ein Wintermärchen” (Nr. 973) aufs Plakat rutscht, dass ja bekanntlich mit der deutschen Weihnacht ganz und gar nichts zu tun hat. Dass Heine gleich neben Schnack landet, wirkt dann schon wie ein heftiger Sprung in dieser Weihnachtsgeschichte.

Aber auch als Anregung für alle, die heute wieder im Buchladen vor der Wahl stehen: lieber süße Weihnachts-Geschichten mit staunenden Kinderlein? Oder dem Kind doch lieber Heines “Wintermärchen” schenken? Ein braves Kind oder ein kritisches Kind, das frühzeitig lernt, hinter den Zuckererbsen und dem versprochenen Himmelreich die preußische Knute zu entdecken? – Manche Leute glauben ja, das brauche man heute nicht mehr. Aber warum ist dann der Herr Schnack eigentlich so vergessen?

Und warum passt gleich das Caput 1 so exzellent auf diese Leute?
“Ein kleines Harfenmädchen sang. / Sie sang mit wahrem Gefühle / Und falscher Stimme, doch ward ich sehr / Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang das alte Entsagungslied, / Das Eiapopeia vom Himmel, / Womit man einlullt, wenn es greint, / Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, / Ich kenn auch die Herren Verfasser; / Ich weiß, sie tranken heimlich Wein / Und predigten öffentlich Wasser…”

Kann man nur sagen: Selber lesen. Und zu Weihnachten verschenken.

Engel scheinen auch zum Weihnachtszubehör zu gehören. So rutscht denn auch Rafael Albertis “Von den Engeln” (Nr. 1034) aufs Plakat. Genauso wie Thomas Rosenlöchers Blüten-Engel-Schnee-Gedichte “Das Flockenkarussell”.

So wird natürlich auch ein bisschen was von der Seele der Büchermacher und der Käufer sichtbar. Die – so im Großen und Ganzen – eine romantische zu sein scheint. Oder ist das nur der Abglanz einer 200 Jahre langen Konditionierung, die das Weihnachtsfest so unlösbar mit trompetenden Putti, weißer Watte, Großvaterstimmung und klingelnden Schneeflocken verklebt hat, dass man sich gar nicht mehr retten kann davor? – Mal abgesehen davon, dass Albertis Engel damit auch nichts zu tun haben.

So zeigt auch noch das letzte Plakat zur Insel-Ausstellung, in welchen Spannungsräumen die Buchserie sich in den 100 Jahren bewegte – zwischen hohem Anspruch und Markterwartungen, hochkarätiger Literatur und heimeligem Präsent, Moderne und verklärter Vergangenheit. Alles ist da. Manchmal gern verlegt und mit kindlicher Begeisterung eingewickelt, manchmal mit Bedauern der Zeit geschuldet. Weil Politik nie wirklich Halt macht vor den Buchläden und die Autoren wie die Verleger zum Spagat und zur Anpassung zwingt.

Womit auch die Insel-Bücherei sich – wie andere Buchreihen – als ein Produkt der Zeiten erweist. Manchmal genial, manchmal so reineweg für den Gabentisch produziert, dass man beim Anlesen nicht recht weiß: Soll man sich ärgern? Oder kennt man einen schönen Flohmarkt, wo man’s wieder loswird?

Die Inselbücherei-Ausstellung in der Hainstraße 11 (Hinterhof 3.OG) ist noch bis zum Weltuntergang am 21. Dezember, immer Mo-Fr, 14-18 Uhr, geöffnet. Dort kann das Plakat für 10 Euro erworben werden.

www.uni-leipzig.de/~buchwiss

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