Immer wieder hält die Geschichte brachiale Enttäuschungen bereit. Leute, von denen man erwartete, sie würden ihre Machtfülle nun dazu nutzen, die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln, handeln, wie es scheint, auf einmal völlig irrational und stürzen Länder und Kontinente ins Chaos. Napoleon war so einer. Und nicht nur Ludwig van Beethoven war von ihm aufs bitterste enttäuscht. Andere sind es heute noch. Schwarwel zum Beispiel.

Gleich zwei animierte Filme hat er in diesem Jahr vorgelegt, um zwei markante Leipziger Jubiläen zu würdigen. Erst “Richard. Im Walkürenritt durch Wagners Leben” zum 200. Geburtstag des umstrittensten aller Leipziger Komponisten. Und im Oktober dann – zum 200. Jahrestag der (Völker-)Schlacht bei Leipzig – den Clip “1813. Gott mit uns”. Schon der Titel ist eine kleine Glosse zur (deutschen) Geschichte. Mancher kennt den Spruch “Gott mit uns” aus den Berichten zu späteren deutschen Kriegen. Deutsche Soldaten trugen ihn auf ihren Koppelschlössern. Auch am Völkerschlachtdenkmal ist er zu lesen, in Stein geschlagen über der Gestalt des Erzengels Michael. Doch beides gehört nicht zusammen, wie die Kenner der Freimaurer-Geschichte des Völkerschlachtdenkmals wissen. Denn hier steht der Spruch für seine ursprüngliche Verheißung im Hebräischen: Immanu-El.

Auf die Koppelschlösser der deutschen Armeen kam der Spruch über das preußische Königshaus, das “Gott mit uns” als Wahlspruch führte. Und da wäre man dann bei jenen, die aus der Niederlage Napoleons am meisten Profit schlugen, den Preußen, die sich auf dem Wiener Kongress dann in die Position brachten, die dominierenden Macht in (Nord-)Deutschland zu werden und damit die Weichen zu stellen für das waffenstarrende Deutsche Reich bismarckscher Prägung von 1871. Einige kontroverse Veranstaltungen zum 200. Jahrestag der Schlacht haben diese Linie der Geschichte thematisiert – auch die Gefahr, die “Befreiungskriege” wieder einmal zu glorifizieren und zu heroisieren.

Die Wahrheit sah 1813 schon anders aus. Auch wenn sie für die Zeitgenossen fast unbeschreiblich war. Deswegen ist es um so wichtiger, dass gleich mehrere Projekte in diesem Jahr den Fokus auf die verheerenden Folgen der Schlacht lenkten – von den Büchern Sabine Eberts und Susan Hastings über die kritische Heldenbetrachtung im Stadtgeschichtlichen Museum und Yadegar Asisis bedrohlich-beeindruckendes Panorama zu Leipzig in der Völkerschlacht bis hin zu diesem 6:50-Minuten-Film aus Schwarwels Werkstatt, der eigentlich eine düstere Ballade in Bildern ist. Unterlegt mit einem Scherzo aus Ludwig van Beethovens 3. Sinfonie, der “Eroica”, die er ursprünglich ja für Napoleon Bonaparte geschrieben hat.Womit man bei den Enttäuschungen der Geschichte wäre. Und Beethoven war deutlich früher enttäuscht als andere. Gerade 1803 hatte er die Sinfonie vollendet. Napoleon hatte Frankreich wieder stabilisiert. Alles sah danach aus, dass der französische Konsul nun daran gehen würde, die Errungenschaften der Französischen Revolution zu festigen. Die äußere Gefahr war gebannt. Für viele Europäer war dieser Mann auf einmal das Vor-Bild für einen neuen Herrschertyp, der seine Legitimation aus dem Volk bezog und eine moderne Nation mit umfassenden bürgerlichen Freiheiten garantierte.

Dass dem nicht wirklich so war, das sah die staunende Welt ein Jahr später, als sich Napoleon zum Kaiser der Franzosen kürte. Erklärungen dafür gibt es viele. Noch heute versuchen zahlreiche Historiker, diesen Akt mit Notwendigkeiten der Zeit zu erklären. Aber davon ließ sich ein Beethoven nicht trügen. Er radierte die Widmung für Napoleon wutentbrannt vom Titelblatt seiner Sinfonie. Überliefert ist sein Kommentar: “Ist der auch nicht anders, wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher, wie alle Anderen stellen, ein Tyrann werden!”

Die Sinfonie, die er so erwartungsvoll Napoleon gewidmet hatte, betitelte er um in “Heroische Sinfonie”, kurz: “Eroica”.Schwarwel greift diese Motivation auf. Seinen wütend und finster über das Leipziger Schlachtfeld stiefelnden Napoleon konfrontiert er immer wieder mit dem Gemälde von Jean-Auguste-Dominique Ingres, der Napoleon 1806 im Kaiser-Kostüm zeigt. Das Bild irrlichtert durch eine Flut von düsteren Bildern, die die Schlacht vom 18. Oktober 1813 zeigen – nicht heroisch, nicht mit den bunt aufmarschierenden Truppen, die all den Schlachtendarstellungen immer so eine theatralische Aura geben.

Schwarwel wählt von Anfang an die Moll-Töne, zeigt den sterbenden Soldaten auf seinem Strohlager, die zerschossenen Pferde, die niedergebrannte Landschaft, die in die Schlacht Geworfenen, die noch einmal mit trübem Blick an die Zeit in ihrem Leben vor dem Krieg denken, an Frauen, Kinder, Ernte, Kindheit. Jetzt stecken die Kinder, Bauern, Familienväter in Uniformen – die Pause in der Schlacht ist der letzte Moment der Besinnung. Die Krähen sind schon längst am Werk, denn diesem Entscheidungstag sind ja schon zwei Schlachttage vorhergegangen. Den 17. hatten die Truppen genutzt, um sich noch einmal zu sammeln, die Reserven aufzufüllen.

Für Napoleon geht es um alles. Und die flackernden Bilder zeigen auch, wie wenig das, was der Schlachtenlenker will, mit dem Schicksal all derer zu tun hat, die an diesem Tag sterben werden. Auf die bunten Generäle der Alliierten verzichtet Schwarwel ebenfalls. Und das verändert den Blickwinkel ein weiteres Mal. Da bleibt kein “Hurra” für irgendeine wilde Befreiungslegende, keine Glorifizierung derer, die am nächsten Tag als Sieger in Leipzig einziehen werden. Auf dem Schlachtfeld um Leipzig sterben Menschen und Tiere für eine Idee, die das Unmenschliche von Anfang an in sich trug. Die Idee eines Mannes, der fortan zum Prototyp des modernen Alleinherrschers wurde, all dieser Duces und Führer und Diktatoren, erkennbar spätestens immer dann, wenn sie begannen, die Uniform anzuziehen und medaillenbehängt von ihren Tribünen und Thronen winkten.

So gesehen steckt in diesen Oktoberschlachten bei Leipzig auch die ganze martialische Moderne und die Ohnmacht derer, die in die immer perfekter organisierten Mordmaschinen der neuen Herrscher gerieten. An der Schlacht vor Leipzigs Toren war nichts Heroisches. Da entschieden nur verfügbare Mannschaft und schlichte Feuerkraft. Abziehen musste Napoleon am Ende nicht, weil irgendjemand in einem heldenhaften Ringen gewonnen hatte, sondern weil seine Kanonenkugeln zur Neige gingen. Hier wurde durchexerziert, was an Materialschlachten in den nächsten 200 Jahren noch zu erleben sein würde. Die Bilder, die Schwarwel zeichnet, zeigen nur allzu deutlich, wie einsam selbst der zum “Kanonenfutter” degradierte Mensch in dieser Schlächterei ist und in seinem letzten Moment.

Ein dunkler Film, der auf die ganzen Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jahrestag der (Völker-)Schlacht noch die richtige, die mahnende Note setzt. So, meine Herren Napoleone, geht es nicht. Das Fatale wird wohl immer sein, dass die Herren, die von diesem Geltungsdrang besessen sind, sich von solchen Bildern nicht mahnen lassen und immer ihre willfährigen Helfer und Generäle finden, die mitmachen, wenn es darum geht, die Welt in ein Schlachthaus zu verwandeln.

Es steckt eine gehörige Portion Fatalismus in diesen knapp 7 Minuten. Aber vielleicht ist gerade das ein Anfang: all den glorifizierten Helden-Ramsch aus Vergangenheit und Gegenwart als fatal zu begreifen. Wie eine Überdosis Alkohol, an der sich die die Menschheit besoffen hat, Jahrhundert um Jahrhundert. Ein Film, der hilft beim Misstrauen-Lernen all den aufgeblasenen Ordensträgern gegenüber, die bereit sind, Frieden und Menschenrechte ihrem Ego zu opfern.

Schwarwel, Trickfilm “1813. Gott mit uns”, Glücklicher Montag, Leipzig 2013, 5 Euro

www.1813-film.com

www.schwarwel-shop.de

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar