Das hätte sich auch Helmut Richter so nicht träumen lassen, als er den Text für das Lied „Über sieben Brücken musst du gehn“ geschrieben hat, dass er zweieinhalb Jahre nach seinem Tod noch einmal wie ein Geist über einer Ratsversammlung schweben würde, in der sich einige Stadträtinnen und Stadträte tatsächlich emsig mühten, einander Brücken zu bauen. So war das nämlich am 18. Mai.

Darum ging es auch bei einem Antrag der CDU-Fraktion, den CDU-Stadtrat Michael Weickert vortrug, nämlich ums Brückenbauen. Einerseits. Andererseits natürlich auch um die Erfahrungen aus zwei Jahren Corona-Pandemie, die die freie Szene in Leipzig aufs heftigste gebeutelt und wahrscheinlich dafür gesorgt hat, dass sich das Verhalten des Publikums, das sonst ohne Besorgnis zu Theatervorstellungen, Lesungen und Konzerten pilgerte, drastisch verändert hat.

Die Kulturbeflissenen haben sich daran gewöhnt, dass es Kultur auch im Livestream geben kann und man sich dafür keinem Ansteckungsrisiko in vollen Theatersälen aussetzen muss. Und das geht auch nach dem Abflauen der vierten Welle wohl so weiter. Und auch Michael Weickert sieht nicht unbedingt, dass sich das so bald wohl ändern wird.

Es braucht eine sichere Streaming-Plattform

Da brauche die freie Szene also dringend Unterstützung, um auch in Zukunft eine digitale Plattform für ihre Vorstellungen bereithalten zu können. Die Fraktion nannte das schon mal provisorisch „Kultflix“ – und stieß dabei auf volles Wohlwollen der Kulturbürgermeisterin, die das genauso sieht.

„Die Corona-Pandemie hat die Kulturbetriebe der Stadt und der Freien Szene vor große Probleme gestellt und macht dies zum Teil weiterhin. Vor allem die Akteure der Freien Szene sind dabei von Eintrittserlösen abhängig. Um die Betroffenen zu unterstützen, geht die Stadtverwaltung aktiv auf diese zu und assistiert beim Aufbau einer Streamingplattform. Über diese können Nutzer gegen Entgelt die Kulturangebote der Künstler und Künstlerinnen live oder auf Abruf nutzen“, hatte die CDU-Fraktion ihren Antrag begründet.

„Die ortsunabhängigen Angebote können und sollen dabei Liveerlebnisse für den Zuschauer nicht ersetzen. Im Gegenteil kann so auch über die Pandemiesituation hinaus die geschaffene Plattform langfristig dazu dienen, neue und weiter gefasste Zielgruppen zu erreichen. Beim Aufbau der Plattform werden Erfahrungen andere Kommunen und Landkreise sowie des Leipziger DOK-Filmfestivals 2020, das bereits auf ticketbasierte Streamingangebote gesetzt hat, genutzt, um Lösungen zu schaffen.“

Wer aber stellt die Technik bereit?

Einziges Problem, das sowohl das Kulturdezernat in seiner Stellungnahme als auch Linke-Stadträtin Mandy Gehrt sahen: Würde die Stadt nicht damit, die nötige Technik auch noch bereitzustellen und zu verleihen, wenn sie für Streamings gebraucht wird, überfordert? Wer sollte das leisten?

Das Kulturamt hatte dafür plädiert, die Leistung an einen freien Träger zu vergeben: „Zur weiteren Professionalisierung beim Thema ‚Streaming‘ in Leipzig legt die Stadt Leipzig ein Weiterbildungsprogramm für Kunst- und Kultureinrichtungen sowie Kunst- und Kulturschaffende auf. Die Entwicklung und Durchführung des Weiterbildungsprogramms erfolgt durch einen externen Partner/-in. Die Leistung wird ausgeschrieben. Flankiert wird die Maßnahme durch den Aufbau eines Pools für digitale Veranstaltungstechnik, der bei einem freien Träger angedockt wird.“

Mit LEIPstream haben Leipziger Vereine zwar in der Corona-Zeit schon Erfahrungen gesammelt, wie man solche digitalen Angebote bereitstellen kann.

Doch während Michael Weickert – berechtigterweise – noch ein großes Zögern beim Publikum sieht, in die Veranstaltungsstätten zurückzukehren, sieht die Verwaltung eine andere Entwicklung: die Kulturinteressierten haben von den vielen Livestreams eigentlich genug.

Vorsorgen für die nächste Krise

„In den Ende Mai 2021 vom Kulturamt durchgeführten Gruppendiskussionen zur Entwicklung der Förderschwerpunkte 2022 konstatierten die verschiedenen Akteure/-innen der freien Szene sowohl bei den Künstlern/-innen und Kulturschaffenden als auch beim Publikum bzw. den Teilnehmenden eine zunehmende digitale Müdigkeit. Zugleich zeigten die Erfahrungen, dass digitale Angebote nur von einem bestimmten Teil des Publikums angenommen werden. Der Großteil der Menschen ist bei digitalen Angeboten nach wie vor eher zurückhaltend oder werden gar nicht erreicht“, heißt es in der Stellungnahme der Stadt.

„In Anbetracht der genannten, bereits bestehenden Möglichkeiten und des bisherigen Nutzungsverhaltens erscheint es aus Sicht der Verwaltung nicht zielführend, eine öffentlich finanzierte Streamingplattform (allein) für Leipzig aufzubauen. Aufgrund der Fülle der Streaming- und Unterhaltungsangebote im www. ist davon auszugehen, dass eine auf die Leipziger Kunst und Kultur fokussierte Streamingplattform keine große Reichweite bzw. Aufmerksamkeit entfalten wird.“

Also wäre es besser, eine deutschlandweite Lösung zu suchen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten, u.a. auch in seiner Funktion als Vizepräsident des Deutschen Städtetages, für die Entwicklung und Förderung eines ‚Datenraums Kultur‘ einzusetzen.“

Ein Punkt, den dann die CDU in ihre Neufassung des Antrags übernahm.

Blieb nur noch die Frage nach der Technik und wer die bereitstellen sollte. Aber da lenkte dann Michael Weickert ein. Denn natürlich hatte Mandy Gehrt von der Linken recht, wenn sie hier nachfragte. Das muss nicht auch noch der extra eingestellte Fachmann für e-culture im Rathaus machen. Das ist bei einem freien Träger besser aufgehoben.

Dann muss die Stadt auch diese Technik nicht anschaffen, stellt aber für Technik und Weiterbildung 100.000 Euro zur Verfügung, sodass dann zumindest die Strukturen bestehen, damit auch bei neuen Einschränkungen in der Öffentlichkeit die interessierten Bühnen und Konzerthäuser auf Livestreams umschalten können und hart erarbeitete Programme nicht einfach im Nirwana verschwinden.

Strittig war das Thema letztlich nicht. Michael Weickert übernahm – als Brückenbauer – den Verwaltungsstandpunkt ohne dessen ersten Satz, der letztlich überflüssig war. Und die Ratsversammlung stimmte dem Anliegen einstimmig zu.

Und Helmut Richter?

Zumindest schwebte kurz die Melodie des Liedes durch den Raum, das durch die Gruppe „Karat“ und durch Peter Maffay einst zum Hit geworden ist.

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