Die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) findet harte Worte für das, was die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft da 2015 und 2016 bei der Überwachung einer Fußball-Fangruppe bei der BSG Chemie Leipzig getrieben hat, der man unter dem Verdacht, eine kriminelle Vereinigung zu sein, ein umfassendes Observationsprogramm überstülpte. Am Ende ohne Effekt. Aber so recht schuldbewusst liest sich die Antwort aus dem Justizministerium nicht, die Juliane Nagel jetzt bekommen hat.

Das Justizministerium hat ihre Kleine Anfrage zum Strukturermittlungsverfahren wegen Bildung von kriminellen Vereinigungen nach § 129 Strafgesetzbuch gegen die Fangruppe „Ultra-Youth“ des Fußballvereins BSG Chemie Leipzig jetzt beantwortet. Und diese bringt natürlich erst recht die Dimension des Verfahrens ans Licht.

„Insgesamt wurde das Verfahren gegen 24 Personen geführt, die beschuldigt wurden, der Gruppierung ‚Ultra Youth‘ anzugehören, die als ‚Vereinigung im Sinne von § 129 StGB anzusehen‘ sei“, zieht Juliane Nagel ihre Bilanz aus der Antwort. „Das Verfahren gegen 20 Beschuldigte wurde am 03.08.2015 eröffnet, im September und November 2015 und sogar noch im Februar 2016 kamen weitere vier Beschuldigte hinzu. Nach monatelangen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen wurde das Verfahren mit Verfügung vom 7. Juni 2018 eingestellt.“

Wobei natürlich eine Vermutung nun im Raum steht, denn die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) wurde ja veranlasst wegen des „Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Und dann ergab die Überwachung der Telefongespräche augenscheinlich in einigen Fällen tatsächlich eine Bestätigung einzelner Straftaten einiger Mitglieder der Gruppe „Ultra Youth“.

Das dürfte einige Rechtsanwälte gewaltig ins Grübeln bringen, weil auch mehrere Gespräche der Beschuldigten mit ihren Rechtsanwälten in das Netz der TKÜ gerieten. War die Generalüberwachung einer ganzen Gruppe also nur dazu da, um Material gegen einzelne Personen in die Hand zu bekommen?

Das wäre zumindest juristisch höchst brisant.

Der Umfang der Aktion hatte es ja in sich.

Juliane Nagel: „Insgesamt wurden bei den Ermittlungen 53.210 Verkehrsdatensätze und zu 484 Telekommunikationsanschlüssen Bestandsdaten erhoben. Von vier Observationsbeschlüssen wurden zwei umgesetzt. Wiederum waren auch Berufsgeheimnisträger, mindestens drei Rechtsanwält*innen und ein Journalist, von den Überwachungsmaßnahmen betroffen. Insgesamt wurden hier 56 Telekommunikationskontakte mitgehört bzw. -gelesen.“

Wobei Observation in diesem Fall wirklich polizeiliche Observation über längeren Zeitraum bedeutet.

Man ist also vorgegangen, als hätte man es tatsächlich mit einer Art mafiösem Netzwerk zu tun, obwohl sich davon nichts bestätigte.

Entsprechend empört zeigt sich Juliane Nagel: „Die Antwort auf meine Anfrage bestätigt den bereits im vormaligen Strukturermittlungsverfahren gegen Antifaschist*innen und Fußballfans aus Leipzig gewonnenen Eindruck, dass Willkür am Werk war. Auf der Suche nach Verursacher*innen von Straftaten war Polizei und Justiz offensichtlich jedes Mittel recht. Wie im vorherigen Verfahren wurde auf mehr als dünner Indizienbasis ein weitreichender Tatvorwurf erhoben, der mit umfassenden Überwachungsmaßnahmen verknüpft war.

Herausgekommen ist: Nichts. Der Justizminister will das aktuell eingestellte Verfahren nicht Fortsetzungsverfahren nennen, obwohl es augenscheinlich eines ist. Obwohl das Ermittlungsverfahren gegen seinerzeit 14 Beschuldigte, darunter ein Fansozialarbeiter, bereits im Sande verlaufen war, führten Erkenntnisse aus diesem zum Verfahren gegen ‚Ultra Youth‘. Laut Aussagen des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig sind mindestens vier beschuldigte Personen aus dem Vorverfahren auch im aktuell eingestellten als Beschuldigte betroffen.“

Eine Tatsache, die die Antwort des Justizministeriums indirekt eigentlich verneint hat, das zweite Ermittlungsverfahren stelle „keine Fortsetzung des am 26. Oktober 2016 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahrens (Az.371Js 98/15)“ dar.

„Ein echter Skandal ist, dass aus einer aktiven – als politisch linksorientiert geltenden – Fußballfangruppierung kurzerhand eine kriminelle Vereinigung gemacht wurde“, kritisiert Juliane Nagel. „Wie eine Staatsanwaltschaft auf der Basis eines Hirngespinstes so weitreichende Vorwürfe erheben und ein Amtsgericht derartige Ermittlungsmaßnahmen genehmigen kann, ist mir schleierhaft und wirft kein gutes Licht auf die sächsische Justiz. Als Linke fordern wir den Justiz- und Innenminister auf, zu dem Verfahren umfassend Auskunft zu geben und sich bei den Betroffenen zu entschuldigen!“

Wobei durchaus noch die Frage bleibt, wie leicht sächsische Ermittler das vage Konstrukt „kriminelle Vereinigung“ aufrufen können, wenn sie bei der Ermittlung einzelner Straftaten nicht weiterkommen.

Linke fordert nun umfassende Aufklärung über die beiden Abhöraktionen im Umfeld der BSG Chemie von der sächsischen Staatsregierung

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