Es läuft etwas gewaltig schief, wenn Bürger das Gefühl bekommen, dass man der Polizei nicht mehr vertrauen kann und lieber nicht mehr auf die Straße geht, weder zum Demonstrieren noch zum Feiern. Für viele Connewitzer steht diese Frage seit dem 1. Januar. Denn mit einem zurückhaltenden Einsatz hatte das, was dort zu erleben war, nichts mehr zu tun. Das sehen auch angehende Juristen so und schreiben jetzt einen juristisch sehr deutlichen Brief an Justizministerin Katja Meier, Innenminister Roland Wöller und den Leipziger Polizeipräsidenten Torsten Schultze.

Es geht den Jurastudierenden und Rechtsreferendar/-innen dabei neben der völlig entgleisten Polizeitaktik am frühen Morgen des 1. Januar auch um die veröffentlichten Meldungen insbesondere der Leipziger Polizei, die mit einer sachlichen Darstellung der Geschehnisse nichts zu tun hatten.

„Die Polizei hat noch in der Silvesternacht via Twitter und per Pressemitteilung Stellung zu den Ereignissen bezogen. Viele Medien haben diese Meldung übernommen und damit ein Bild der Ereignisse transportiert, welches kaum mehr zu berichtigen ist“, stellen die Autor/-innen des Offenen Briefes fest. Damit wurde das Neutralitätsgebot deutlich verletzt.

„Es ist staatlichen Einrichtungen untersagt, unsachliche oder sogar falsche Informationen zu verbreiten“, betonen sie und verweisen dabei auf die gültige Gesetzeslage.

Die Polizei soll die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleisten, sie darf aber selbst nicht zum politischen Akteur werden. Etwas, was in Sachsen seit mehreren Jahren unterlaufen wird. Man denke nur an die augenscheinlich gar nicht einfach so entgleiste Polizeitaktik 2011 während der Februarproteste in Dresden gegen die jahrelang geduldeten Nazi-Aufmärsche, der dann ein ganzer Berg von Prozessen gegen Gewerkschafter, Politiker, einen Pfarrer und viele dem linken Spektrum zugeordnete Demonstranten folgte.

Seitdem wird das Demonstrationsrecht in Sachsen immer wieder durch Polizeitaktiken eingeschränkt und unterlaufen. So sehr, dass sich friedliche Demonstranten kaum noch wagen, sich an solchen Demonstrationen zu beteiligen.

Wer freilich die bislang sehr sachliche Arbeit der Leipziger Polizeidirektion kannte, war mehr als überrascht über das, was am 1. Januar schon um 4:42 Uhr als Meldung herausging von einem Ereignis, von dem die Polizeipressestelle doch wissen musste, dass es auch von Journalisten verschiedener Medien direkt vor Ort beobachtet wurde.

Doch die hatten keine Chance, der Wirkung dieser Meldung die Spitze zu nehmen. Denn wie über ein Ereignis berichtet wird, bestimmen die, die ihre Meldung zuerst verbreiten.Und bei Polizeimeldungen kommt hinzu: „Dementsprechend – und trotz des Aktualitätsdrucks – darf die Polizei also keine Unwahrheiten verbreiten bzw. muss solche Informationen, die nicht zweifelsfrei erwiesen sind, ausreichend transparent und erkennbar als Mutmaßungen kennzeichnen. Dies ist insbesondere deshalb von großer Relevanz, weil Polizeimeldungen regelmäßig eine große Reichweite haben und von vielen Journalist/-innen weiterhin als privilegierte Quelle rezipiert werden“, schreiben die angehenden Jurist/-innen in ihrem Brief.

„Mithin lässt sich feststellen, dass die Polizei Leipzig mit ihrer Informationspolitik rund um das Silvestergeschehen wohl gegen das Neutralitäts- wie das Sachlichkeitsgebot verstoßen hat.“

Und dass die am Connewitzer Kreuz eingesetzten Polizeieinheiten der Lage angemessen reagiert haben, bezweifeln sie. Denn statt zu deeskalieren hat die Polizei selbst die Lage forciert.

„Aufgabe der Polizei ist Gefahrenabwehr“, schreiben die Autor/-innen des Briefes. „Es ist für uns nicht ersichtlich, auf Basis welcher Gefahrenprognose sich die Einsatztaktik der Polizei an Silvester in diesem Jahr im Vergleich zu der der letzten Jahre änderte. Das staatliche Gewaltmonopol liegt in den Händen der Polizei, ist aber durch das Willkürverbot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gedeckelt. Die Polizei hat deshalb stets das mildeste Mittel zu wählen. Die Durchschau der bisher veröffentlichten Videos lässt zweifeln, ob der Einsatz in dieser Form verhältnismäßig war. Jedenfalls darf die Polizei keinesfalls zur Eskalation beitragen und Konflikte nicht weiter anheizen, so auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Brokdorf-Entscheidung, wonach es eine Pflicht der Polizei zur Kooperation und Kommunikation gibt [BVerfGE 69, 315–372].“

Aber von „Kooperation und Kommunikation“, wie sie in den Vorjahren praktiziert wurden, war an diesem Silvester nichts zu merken.

Ganz so, als wollte man unbedingt wieder entsprechende Bilder und Nachrichten aus dem „linken Connewitz“ produzieren. Das ist eine Vermutung, stimmt. Doch wenn der entgleiste Polizeieinsatz keine Absicht war, dann erzählt er nun einmal vom Versagen in der Führungsebene.

Logisch, dass sich die Autor/-innen des Briefes endlich eine andere Polizeiarbeit in Sachsen wünschen.

„Wir fordern daher, dass die Polizei sich ausschließlich innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse äußert und dementsprechend agiert“, schreiben sie in ihrem Brief.

„Eine klare, verbindliche gesetzliche Regelung bezüglich der Äußerung von Polizei bei Social Media erachten wir hierfür als förderlich. Weiterhin muss die Leipziger Polizei transparenter und demokratischer werden. Kritik an polizeilichen Einsätzen ist nicht erschreckend, sondern im Rahmen der demokratischen Gewaltenteilung geboten.

So ist es Aufgabe der Legislative, die Macht der Exekutive zu begrenzen und umgekehrt. Dazu gehört auch die Öffentlichkeit. Eine neutrale Beschwerdestelle für Bürger/-innen ist angesichts der hohen Einstellungszahlen in Verfahren gegen Polizeibeamt/-innen hierfür unerlässlich. Schließlich wünschen wir uns von der Polizei Sachsen eine Trendwende. Unser Vertrauen in die Polizei als demokratische Instanz hat durch diese und andere Vorkommnisse nachhaltig gelitten.“

Der Offene Brief.

Silvester am Kreuz: Die Spirale dreht sich (1)

Silvester am Kreuz: Die Spirale dreht sich (1)

Silvester am Kreuz: Die Spirale dreht sich (2) + Videos

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