Es sind diese etwas ungewöhnlichen Ereignisse, die den Sommer in Leipzig wie in anderen Städten des Landes auflockern. Jene Zeit, die die einen als Sommerloch bezeichnen, weil die Politik endlich mal ein bisschen Urlaub macht, und die anderen genießen, weil man einmal ohne großes Organisationstalent Mensch sein darf. Im Zoo etwa bei den Brüllaffen. Oder bei Wurst-Achim vorm Wagen.

Am 3. August kommt der bunte Treck der Gilde der Marktschreier wieder nach Leipzig. Das 22. Mal mittlerweile. Die grellen Plakate hängen schon in den Straßen. Aber Wurst-Achim, einer der Stars der reisenden Truppe, hat ein paar Tage Urlaub. Zuletzt war man in Erkrath. Nach Leipzig steht Bad Karlshafen auf dem Programm, danach Halle, Greiz, Hannover. Dann ist der August herum. Und wenn das Wetter mitspielt, kann es eine schöne Tour werden.

Sagt Wurst-Achim, alias Achim Pfaff aus Unna, 51 Jahre alt, seit über 20 Jahren im Geschäft. Einzelunternehmer. Wer bei der Gilde der Marktschreier mitmacht, fährt und schreit fürs eigene Geschäft, das ja – unüberhörbar – ein eigenes ist. Hier geht es um Masse. Fünf bis sechs Tonnen setzt Wurst-Achim um an fünf Tagen in Leipzig. Das ist seine Erfahrung. “Hängt aber auch vom Wetter ab”, sagt er. Sonnenschein stört nicht. Für die Kühle der gebunkerten Pakete sorgt der Truck.

Aber Regen verdirbt auch ihm das Geschäft. Da sagt kein Horst zu seiner Helga: Geh’n wir heute zum Völkerschlachtdenkmal? – Da parken die großen Trucks wieder – wie in den Jahren zuvor auf der Straße des 18. Oktober, dem Straßenabschnitt mitten im Park zwischen Messeeingang und An der Tabaksmühle. Wer von dort kommt, erlebt wieder den bunten Krammarkt, der die eigentliche Wagenburg der Marktschreier einleitet. Hier können sich Horst und Helga mit Krims eindecken und mit Krams. Hier steht das Kinderkarussell.
Laut wird es weiter hinten, wo in diesem Jahr zwölf große Wagen mitmachen beim Marktschreier-Wettbewerb, der tatsächlich ein Wettbewerb ist – ein kleiner und ein großer. Der kleine, bei dem können die Leipziger selbst den Marktschreier wählen, der ihnen am eindrucksvollsten schreit. Der Wettbewerb findet ganz offiziell am Donnerstag, 4. August, von 16 bis 18 Uhr statt. In der Zeit können die Marktgäste ihre Stimmen verteilen.

“Ich denke, Kuchen-Ulli als Lokalmatador hat gute Chancen, bei den Leipzigern zu punkten”, sagt Joachim Borgschulze, Geschäftsführer der Event und Werbeagentur JOBO, die den Wettbewerb der Marktschreier organisiert. 40 bis 44 Veranstaltungen sind das pro Jahr. Überall finden die kleinen Lokalwettbewerbe statt – die Punkte werden gesammelt und am Ende wird ein Deutscher Meister gekürt. Der natürlich, der die meisten Punkte hat. Amtierender Deutscher Meister ist Wurst-Achim. Aber das hat ihn nicht berühmt gemacht. Berühmt gemacht haben ihn die Brüllaffen.
Zuerst hatte ihn RTL eingeladen, seine Lautstärke mit echten Brüllaffen zu messen. Die heißen ja nicht ohne Grund so: Sie sind wirklich laut – 105,7 Dezibel wurden gemessen, als es um den Vergleich mit Achim ging. Der schaffte 107,8 Dezibel. Wenig später lud ihn Aiman Abdallah ein, den Vergleich im ProSieben-Wissensmagazin “Galileo” zu wiederholen. Diesmal in einer ganzen Serie “Tier vs. Mensch”, in der menschliche und tierische Leistungen im Direktvergleich gezeigt wurden – am 24. November 2010 zum Beispiel die Zugkraft eines Ochsen im Vergleich mit einem trainierten Sportler, die Hochsprungleistung eines Pferdes mit der eines Leichtathleten und – dann direkt im Affenkäfig: die Schreileistung der Brüllaffen gegen die von Achim Pfaff, dem lauten Wurst-Verkäufer.

Auch diesmal entschied der den Vergleich für sich: Die Brüllaffen vergnügten sich mit 100,7 Dezibel, Achim schaffte mit 110,2 Dezibel eine neue Bestleistung. “So laut muss ich auf dem Wagen nicht schreien”, sagt er, “schon gar nicht mit Mikrophon und acht Stunden lang. Das war eine Ausnahmesituation.”

Und die Punkte für die Meisterschaft bekommt er ja auch nicht für die Lautstärke, sondern für die Show, die er zeigt, sein Verkäufertalent und seine Begabung, die Leute vorm Wagen direkt anzusprechen. Da kann er seine Erfahrung ausspielen. Und heiser ist er nach fünf Tagen Leipzig auch nicht. “Das schafft man mit der richtigen Technik”, sagt er. “Das machen wir genauso wie die Opernsänger.”

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Seine direkte Meister-Konkurrenz steht gleich in den Nachbarwagen: Bananen-Nobbi, der im letzten Jahr Vize-Meister wurde, und eben Kuchen-Ulli. Der wurde Dritter. Insgesamt zwölf Wagen laden ein zum Kaufen. Jeder packt auf seine Weise Körbe, Päckchen und Pakete. Etwa wie Wurst-Achim: 4 Kilo Wurst für 15 Euro.

Drumherum viele kleine Aktionen, die die Leipziger einladen zum Mitmachen. Wie die nun traditionelle Krabbenpuhl-Meisterschaft. Wer mitmachen will, braucht nur am Freitag, 5. August, um 14 Uhr am ersten Bierwagen vorbeikommen.

Wer die Eröffnung miterleben möchte, kann am Mittwoch, 3. August, um 11 Uhr auf den Platz kommen. Steffen Poser, Leiter der Außenstelle Völkerschlachtdenkmal des Stadtgeschichtlichen Museums, eröffnet das Markttreiben. Freibier soll’s geben, Marktschreierfrühstück und eine Matjesverkostung.

“Leipzig ist ein gutes Fischpflaster”, sagt Joachim Borgschulze. Deswegen gibt’s die Matjesbrötchen von Mittwoch bis Samstag 10 bis 11 Uhr auch für 1 Euro. Happy Hour also für Fischliebhaber. Und wer noch mehr Fisch will, bekommt ihn bei Aal-Axel. Mit ihm gastiert der Norddeutsche-Marktschreier-Meister in Leipzig.

Der Brüllaffenwettbewerb bei ProSieben:
www.prosieben.de/tv/galileo/videos/clip/36768-extrem-tier-vs-mensch-2-1.2219253

www.gilde-der-marktschreier.de

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