Es wird tatsächlich diskutiert. Nicht übermäßig. Die Zahl der engagierten Leipziger in Sachen "Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal" ist überschaubar - auch wenn die Zahlen, die das Kulturamt am Mittwoch, 26. Juli, bekannt gab, auf den ersten Blick beeindrucken: Die Ausstellung in der Unteren Wandelhalle des Neuen Rathauses besuchten allein am ersten Wochenende rund 1.000 interessierte Menschen. Insgesamt fanden bisher über 2.000 Besucher den Weg ins Neue Rathaus. Rund 350 von ihnen kommentierten das Gesehene im Gästebuch.

Für das Onlineforum “Dialog zum Denkmal” gab es bisher über 55.000 Seitenaufrufe, über 7.100 Besucher informierten sich auf den Seiten und es wurden über 866 Beiträge geschrieben und die einzelnen Kommentare über 1.280 Mal bewertet.

Ein Newsletter zum Onlineforum ist in Vorbereitung, der über die Diskussionsthemen informieren soll. Die wesentlichen Fragen kann man auch auf der Website zur Denkmal-Diskussion nachlesen.

Zu Beginn wurde erneut diskutiert, ob Leipzig ein Einheits- und Freiheitsdenkmal braucht oder nicht. Die Bürger fragten außerdem nach dem Ablauf des Wettbewerbsverfahrens, der Zusammensetzung der Jury und der Relevanz der Bürgerbeteiligung.

Ja, warum braucht Leipzig so ein Denkmal? – Die Diskussion wurde ja, als es darum ging zu entscheiden, ob Leipzig überhaupt ein solches Denkmal haben will, nicht wirklich ernsthaft angepackt.
Der dünne Faden der Erinnerung

Die Macher der Website versuchen es den Nutzern so zu erklären: “Über 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution ist bereits eine ganze Generation herangewachsen, die die Ereignisse des Herbstes 1989 nicht selbst erlebt haben. Die Geschichte der Friedlichen Revolution wird heute zwischen den Generationen vor allem mündlich überliefert und weitergetragen. Dieser ‘Faden der Erinnerung’ ist dünn und reißt erfahrungsgemäß spätestens nach drei Generationen, wenn es keine weiteren Fixpunkte, wie z. B. Erinnerungsorte und Rituale gibt. Ein Ziel des Denkmals in Leipzig ist es deshalb, die Erfahrungen der Friedlichen Revolution von der Vergangenheit in das Heute und in die Zukunft zu tragen und damit den Übergang vom ‘kommunikativen’ in das ‘kollektive’ Gedächtnis zu ermöglichen.”

Wer hat diesen Satz formuliert? – Dieser Satz ist eine Anmaßung. Gestimmt hätte er irgendwann um das Jahr 1989 – vor unserer Zeitrechnung. Das war die Zeit, in der in der Region, in der wir heute leben, tatsächlich alles auf diese Art tradiert wurde.

Welche Narren erklären uns heute eigentlich Überlieferung? – Warum erinnern sich die Leipziger noch immer an die Völkerschlacht? Bloß weil das kolossale Denkmal da im Südraum steht? Errichtet vier bis fünf Generationen nach den Ereignissen.

Es gibt gesellschaftliche Umbrüche, die bewegen nicht nur zwei, drei Generationen, sondern halten über Jahrhunderte. Weil sie neue Traditionen begründeten, weil sie Teil der gelebten Gegenwart sind. Die Reformation ist so ein Ereignis. Leipzig hatte auch mal ein Reformationsdenkmal, ein Luther-Melanchthon-Denkmal – es wurde für Kriegszwecke eingeschmolzen. Die Reformation ist trotzdem lebendig.

Die Erklärung, die die Stadt zum Bau des Denkmals liefert, ist eine Bankrotterklärung. Wäre es so, die Friedliche Revolution hätte sich als Nullnummer, als unwichtiges Ereignis in unserer Geschichte erwiesen. Wenn solche Umbrüche in der neuen Gesellschaft nicht lebendig sind, sind sie tot. Aber selbst das Jahr 1953 ist in Leipzig lebendig. Auch weil Historiker sich wieder um das Thema bemühen. Und weil es medial präsent ist – in Zeitungen. Büchern, Filmen.

Am Deutschen Platz steht ein Gedächtnis, das mittlerweile fünf bis sechs Generationen umfasst. So vergesslich, wie die Behauptung suggeriert, ist unsere Gesellschaft nicht mehr. Dafür sorgen auch Sammelorte wie das Zeitgeschichtliche Forum, das Stadtgeschichtliche Museum und das Archiv der Bürgerbewegung.
Es fehlt ein zwingender Grund für das Denkmal

Die simple Antwort ist: Niemand hat bis heute wirklich einen stichhaltigen Grund geliefert, warum Leipzig ein solches Denkmal braucht.

Deswegen wirkt die Diskussion um die drei Siegerentwürfe auch so hilflos. “Ebenfalls wurden die mit dem Denkmal verbundenen Erwartungen und Erinnerungen beschrieben (Bezug zum historischen Kontext, Botschaften für die Zukunft, Verständlichkeit des Entwurfs usw.). Den Schwerpunkt des Online-Dialoges bilden die inhaltlichen Rückmeldungen zu den Siegerentwürfen. Es werden sehr konkrete Hinweise, Einschätzungen und Präferenzen zu den drei Siegerentwürfen abgegeben”, versucht das Kulturamt zu beschreiben, was es aus der Diskussion herausliest. “Dabei geht es zum Beispiel um die Wirkung der Entwürfe im Stadtraum, die Wahrnehmung und Aussagen der Entwurfsidee, die Gestaltung und Materialiät sowie mögliche längerfristige Auswirkungen der Umsetzung (Kosten, Vandalismus etc.). Die Verfasser der drei Siegerentwürfe nehmen an der Diskussion ebenfalls teil.”

Die Diskussion geht viel weiter. Man kann es ja beobachten. Immer wieder artikulieren Diskussionsteilnehmer, dass sie in den Siegerentwürfen nichts von dem wiederfinden, was sie mit der Friedlichen Revolution von 1989 verbindet.

Kann natürlich sein, dass Zeitgenossen andere Ansprüche daran stellen als spätere Betrachter, über die wir nichts wissen. Andere auch als die Jury, deren Entscheidung formal unumstößlich ist. Andere auch als der Stadtrat, der auf Drängen des Oberbürgermeisters am Ende auch den Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort beschloss – mitsamt der windelweichen Platzumrandung, die hier städtebauliche Entwicklung vorerst verhindert. Zu dem Zeitpunkt drängte das ganze Leipziger Projekt schon hin zu einer Stadtraumgestaltung – weg von einem markanten Denkmal.

Es ist ein gestalteter Platz – kein Denkmal

Leipzig hat im Grunde 38 Entwürfe für eine Stadtraumgestaltung bekommen. Auch der Siegerentwurf ist einer. Und er ist nicht selbstredend. Die farbigen Elemente müssen erklärt werden. Sie sprechen den Intellekt an. Das Gefühl auch – aber auf einer sehr spielerischen Ebene. So wie die farbenfrohe Begrüßung des Papstes, wenn er Deutschland besucht: Der bunte Platz ist ein ideales Bild für gelebte Ökumene.

Nur: Die Leipziger Erfahrung ist, dass weder ein gesellschaftlicher Umbruch noch die gewonnene Demokratie etwas Spielerisches sind. Mancher fühlte sich an Brechts Gedicht “Wahrnehmung” erinnert: “Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.”
Und viele Leipziger sind denkmalmüde. In keiner Stadt der Welt stehen so viele Erinnerungsmale an die Friedliche Revolution, auch nicht in Plauen, wo die sächsische Regierung immer so gern ihre Gedenkveranstaltungen feiert.

Es sind alles keine 6-Millionen-Euro-Denkmale. Und hinter jedem steckt im Grunde privates Engagement, wie das auch in vergangenen Zeiten so üblich war.

Fast vergessen, dass es die Deutsche Gesellschaft e. V. war, die über Jahre für die Errichtung erst eines, dann zweier Einheits- und Freiheitsdenkmale kämpfte und den Bundestag dazu brachte, für beide Denkmäler Steuergelder bereitzustellen. Auf der Website der Gesellschaft fungiert das “Nationale Freiheits- und Einheitsdenkmal” mittlerweile als abgeschlossenes Projekt – Ziel erreicht. Tatsächlich ist dort nur vom Berliner Denkmal die Rede.

Auch im Online-Forum wird die Frage nicht geklärt, warum Leipzig so ein Denkmal braucht.

“Die Ereignisse von 1989/1990 haben als Sternstunden der deutschen Geschichte einen dauerhaften Platz im nationalen Gedächtnis verdient. Das Denkmal soll vor allem den Bürgermut und die Zivilcourage der DDR-Bürger würdigen, die im Herbst 1989 auf die Straße gegangen sind, um sich für politische Reformen und die Freiheit einzusetzen. Als ein Zeichen des Stolzes und der Freude, die Diktatur überwunden und die Einheit Deutschlands wiederhergestellt zu haben, soll das Denkmal Rückblick, aber auch Anstoß sein, den demokratischen Aufbruch fortzusetzen, Demokratie und Einheit zu festigen”, umschrieb die Deutsche Gesellschaft ihr Ziel bei der Initiierung des Denkmals.

Dahinter steht wohl der Glaube, Denkmäler könnten so etwas bewirken. Aber das können sie eigentlich nur, wenn sie als erkennbare Ikone funktionieren. Wie die Freiheitsstatue in New York.

Wann wird ein Denkmal zur Ikone?

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Selbst die Frage nach der Vergänglichkeit stellen die Nutzer im Forum immer wieder. Das betrifft auch die Botschaft. Welche Botschaft sendet dieser bunte Platz aus?

Wer sich darüber wundert, dass die Moderatoren im Forum so unaufgeregt interagieren: Die Moderation wurde an die auf Stadt-Dialoge spezialisierte Berliner Agentur Zebralog vergeben.

Das Onlineforum lädt noch bis zum 3. August unter www.denkmaldialog-leipzig.de zum Informieren, Kommentieren und Diskutieren ein. Die Ausstellung aller Entwürfe kann noch bis zum 5. August in der Unteren Wandelhalle des Neuen Rathauses, wochentags von 9 bis 18 Uhr und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr, besucht werden.

Das Ergebnis des Wettbewerbsverfahren und die Auswertung der Öffentlichkeitsbeteiligung werden dann im Herbst dem Stadtrat vorgestellt. Dieser soll daraufhin die Verwaltung mit der Vorbereitung des Verhandlungsverfahrens mit den Preisträgern beauftragen. Ziel des späteren Verhandlungsverfahrens, in dem die vom Preisgericht gegebenen Hinweise und offenen Fragen für die Realisierung aller drei ausgezeichneten Entwürfe beurteilt werden, sowie bewertet wird, ob sich der Entwurf in der vorgegebenen Qualität, und dem Zeit- und Kostenrahmen mit den Entwurfsteam umsetzen lässt, ist es, einen der Preisträger mit den weiteren Leistungen zur Umsetzung seines Entwurfs zu beauftragen.

“Da das Preisgericht bei allen Preisträgern eindeutige Themen für die Weiterentwicklung der Entwürfe benannt hat, werden die konkreten Hinweise und Anregungen aus der Bürgerbeteiligung in das weitere Verfahren mit einfließen”, heißt es noch unter den “Häufig gestellten Fragen”.

Und wenn sich nach der bunten Einweihung des Denkmals in Leipzig eine stille Enttäuschung ausbreiten wird, dann findet man die Gründe schon jetzt in der Bürgerumfrage, die die Stadt 2011 zum Denkmal hat durchführen lassen. Und bei der Frage, wofür dieses ganz spezielle Leipziger Denkmal stehen soll, standen ganz oben: für die Zivilcourage der Bürger (50 %), für den 9. Oktober 1989 in Leipzig (45 %), für den Anstoß zukünftiger Generationen (44 %) und für die gesamte Friedliche Revolution im Osten Deutschlands (44 %). Die Umfrage ist auf der Dialog-Seite ebenfalls zu finden.

Wer das alles in den Siegerentwürfen wiederfindet, muss ein wirklich gutes Auge haben.

www.denkmaldialog-leipzig.de

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