Welcher ist der nordwestlichste Punkt Leipzigs? Laut Stadtplan muss er in Lützschena oder besser in Hänichen sein. Dieses ehemalige Dorf gehört seit 1929 wie Quasnitz zu Lützschena. Hier beginne ich meine Tour an einem diesigen Morgen mitten auf einem Feld, wo vor fast 100 Jahren einem großen Staatsmann ein Denkmal gebaut wurde...

Es ist diesig und grau als ich 7:50 Uhr am Bismarckturm, am Leipziger Schrägweg in Hänichen, abgesetzt werde. Der Schrägweg durchschneidet die Felder oberhalb der Halleschen Straße, ist mehr ein Weg für landwirtschaftliche Fahrzeuge als für den normalen Autoverkehr.

Grau ist auch der Bismarckturm, der sich hinter mir mit seinen drei sich nach oben hin verjüngenden Abschnitten aufbaut. 1915 fertig gestellt, dürfte er einer der jüngsten Bismarcktürme überhaupt sein. Am Turm bin ich allein, die zum Turm hinführende Lindenallee hatte ich mir imposanter vorgestellt. An diesem Tag wirkt sie ungepflegt und wenig beeindruckend. Zwei Hunde dürfen sich dort austoben, als ich mich dem Turm nähere und die wenigen Stufen zur Tür in großen Schritten nehme. Sie ist erwartungsgemäß geschlossen, daneben wirbt eine Tafel des Bismarckturm-Vereins Lützschena-Stahmeln für mehrere Veranstaltungen. Ob es gewollt ist, dass Werbeplakate für die Veranstaltung “Rock am Turm” direkt neben dem Türrahmen hängen? Natürlich steht sie im Zusammenhang mit dem Turm, aber wird die Kleberei auch dem Charakter des Turms gerecht, der als einer von 240 Türmen gebaut wurde, um Reichskanzler Otto von Bismarck zu huldigen? Da scheinen bunte Plakate am Eingangsbereich doch eher unwürdig und auch nicht notwendig.
Ein schmaler Pfad führt um den Turm, zwischen Bäumen hindurch, die hier vor 100 Jahren noch nicht standen. Der Turm stand bei seiner Eröffnung auf freiem Feld, einzig die Lindenallee führte zu ihm. Wie weit der Turm wohl vom restlichen Ort Hänichen entfernt war? Wie viele Menschen sind tatsächlich bis an den nordwestlichen Rand Leipzigs gefahren, um, zu einer Zeit in der das deutsche Kaiserreich noch etwas galt, sich an Bismarck zu erinnern? Den Turm zu umgehen funktioniert nur, wenn man keine Angst vor Spinnweben hat. Immer wieder landen kleine Fäden in meinem Gesicht, die ich mir eifrig abwische. Auf dem ersten Turmumgang angekommen, höre ich plötzlich Motorengeräusche. Sie kommen vom Flughafen, wo offensichtlich gerade Motoren warmlaufen. Es ist deutlich zu hören. Deutlich zu sehen gibt es von hier nicht viel. Hänichen liegt vor mir, weiter als bis zur Einfamilienhaus-Siedlung östlich und den Lagerhallen westlich von mir kann ich kaum schauen und steige deswegen alsbald wieder ab, die Spinnweben wieder aus dem Gesicht wischend.
Von hier will ich mich langsam an Leipzig heranpirschen, habe den einen oder anderen Umweg eingeplant. Zunächst allerdings soll es mangels Alternativen schnell herunter zur Halleschen Straße gehen, an den erwähnten Einfamilien-Häusern vorbei. Die wenigsten Bewohner haben direkt am Gartentor ihr Namensschild hängen. Aber warum eigentlich nicht? Zwischen Flaschencontainern hindurch werfe ich einen letzten Blick zum Turm, der noch immer in der morgendlichen Wettersuppe steht.

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Kurz vor der Hauptstraße kreuzt eine Straßenbahn Richtung Schkeuditz meinen Weg, beklebt mit drei Adjektiven. Ich kann “fett” und “revolutionär” erkennen, das dritte nicht. Mitten in Hänichen muss ich plötzlich an megaupload.com denken. Tatsächlich wird für das Schloss Rochlitz geworben. Nicht weit entfernt von den Gleisen steht ein Schulgebäude – auch ohne Schild. Ob hier, im Windmühlenweg 4, noch unterrichtet wird, lässt sich von außen kaum erkennen. In den Ferien sowieso. Recherchen ergeben, dass es sich um die Nebenstelle der Grundschule Stahmeln handelt, in der seit vergangenem Jahr die 3. und 4.-Klässer unterrichtet werden.

Hier hört man deutlich den Autoverkehr auf der Halleschen Straße, eine Straße, die ich schon als Kind als enorm langweilig empfunden habe. Heute habe ich genügend Zeit, um die kindlichen Gedanken auf Richtigkeit zu überprüfen…

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