Ein sehr schönes Interview zu einem eindrucksvollen Vorgang bei einer Vorlesung an der Uni Greifswald gab’s dieser Tage auf ze.tt. Justament in einer Vorlesung über die Manipulation besorgter Bürgerinnen & Bürger durch rechtes Framing von Eric Wallis tauchte eine Gruppe Identitärer auf und kaperte mit einem Transparent die Bühne. Motto: Man dürfe seine Meinung ja nicht äußern. Da waren sie bei Wallis aber falsch.

Denn der forderte die Herren aus der rechten Identitätsecke zum Mitmachen auf. Und was taten sie? Sie verkrümelten sich.

Da schreit es in jedem Schulhofrabauken: Opfer!

Da sehen sie sich ja gern, die Herren Gleichgefärbten.

Nur wirkte das diesmal denkbar peinlich. Wie der Auftritt einer Laienspielertruppe, die mit Transparent aufzieht, fordert, dass sie mitreden dürfe. Und wenn man sie auffordert mitzureden, dann kneifen diese Leute und verdrücken sich. Eindeutig: Die wollen nicht mitreden und zuhören. Die wollen nur alleine reden dürfen.

Ganz allein. Im Kämmerlein. Wo ihnen niemand widerspricht.

Aber das war gar nicht das zentrale Thema im Interview. Denn Wallis hält ja seine Vorträge zum Framing nicht, um die Opfer-Rollen-Fetischisten aus der rechtsradikalen Ecke zu agitieren. Mit denen kann man ja – das Video zeigt es – nun wirklich nicht reden. Immer wenn es wirklich ernst wird, flüchten sie. Ihr ganzer Auftritt: kraftmeiernde Feigheit.

Denn: Zur Kommunikation braucht man Mut. Das ist eigentlich die Botschaft des Interviews. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen nicht mehr den Mut haben zu kommunizieren. Sie sind in ihren Gefühlen gefangen und reagieren, wenn sie mal zur Rede gestellt werden, mit Flucht oder Aggression. Vielleicht war es ja nie anders. Es war ja ein elementarer Bestandteil der patriachalen Kultur, dass die Herren der Schöpfung nie infrage gestellt wurden. Und wenn die klugen Frauen in ihrer Umgebung mal ernsthafter nachfragten, reagierten sie wie Diederich Heßling aus „Der Untertan“ – mit Gebrüll, Türenknallen und: „So etwas verbitte ich mir in MEINEM HAUSE!“

So ungefähr.

Wir erkennen das Muster nur nicht, weil es uns so vertraut ist. Weil wir dem immer wieder begegnet sind, es aber nicht mit der Not der alten Patriarchen in Verbindung bringen, über die Margarete Stokowski in ihren „Spiegel“-Kolumnen so beharrlich schreibt. Nur scheinen ausgerechnet die beleidigten alten weißen Männer diese Kolumnen nicht zu lesen. Weil – nun ja – sie sich angegriffen fühlen. Von einer scharfzüngigen Frau.

Wie Diederich daheim, als ihm seine Schwester kontra gab.

Es ist genau dasselbe Syndrom. Es geht ja diesen wütenden weißen Männern gar nicht um „die Ausländer“. Die kennen sie meist gar nicht, machen lieber einen großen Bogen um sie. Außer man kann sie mal gemeinsam „jagen“ (Chemnitz, Gauland). Sie fühlen sich sogar wohl in ihrer Opferrolle. (Außer Hase, der muss hierbleiben. Der Ton in der Stimme seiner Begleiterin ist ja unüberhörbar). Und wo sie die Chance sehen, schlüpfen sie hinein, machen einen auf zutiefst gekränkt, verletzt und permanent boshaft infrage gestellt.

Von Frauen. Und Kindern. Und diesen seltsamen Kosmopoliten (Grünen, Linken, Demokraten …), die mit der neuen Zeit irgendwie besser zurechtkommen. Was ja eine Schwäche ist in ihren Augen. Denn wer keine Grenzen zieht, keine Roten Linien, keine WERTE setzt und geharnischt ist für die Verteidigung des Abendlandes – der zerstört ja alles, der flutet das Land ja mit Ausländern, der macht alles zu Multikulti. Der akzeptiert auch noch Homosexuelle und so weiter.

Je länger man diesen süffisant zur Tat schreitenden Altherren zuschaut und zuhört, umso stärker wird der Eindruck, dass Margarete Stokowski recht hat. Und dass wir in einer Welt leben, in der diese alten Patriachen nicht mehr zurechtkommen. Denn zu ihrer Ausbildung gehört die Fähigkeit zum Gespräch nicht. Können sie einfach nicht.

Und sind dann rat- und hilflos, wenn gerade Kommunikation immer wichtiger wird.

Nicht ohne Grund kann Eric Wallis über diese mit sich selbst identitären Herren nur den Kopf schütteln. Wenn man sie denn mal bittet, mitzudiskutieren, kommt da nichts. Null.

„Exakt. Der Beginn einer Kommunikation ist, sich erstmals auf die klassische Struktur einlassen: das Sprecher-Empfänger-Prinzip. Jemand sagt etwas, ich höre zu, ich antworte, das Gegenüber hört zu, und so weiter“, sagt Wallis im Interview. „Die ganz simplen Gesprächsgrundlagen achten, das ist etwas, das sehen Sie ja zum Beispiel in Talkshows gar nicht mehr. Da rattern die Leute einfach ihre Positionen runter, das sind keine wirklichen Gespräche. Das treibt natürlich die Leute kommunikativ auseinander, wenn sie sowas ständig sehen.“

Da könnte man einen Einschub zu Talkshows machen und dem dort dominierenden männlichen Prinzips des Schlag-Abtauschs. Eigentlich ist es Boxen mit Worten. Vielleicht auch, weil immer wieder die falschen Nasen eingeladen werden, Leute, die eine „Position“ einnehmen. Sollen. Das ist ja Zweck dieser Sparring-Runden, aus denen dann Ausschnitte bei Youtube auftauchen: „X hat Y fertig gemacht! Toll!!!“ Es geht nicht ums Gespräch. Man beachte einfach auch die AfD-Berichterstattung aus dem Bundestag.  Das ist Klopperei-Inszenierung. Was sind wir doch für tolle Schlägertypen.

Den hab ich aber …

Gespräche entwickeln sich, man reagiert aufeinander, bestätigt sich, erzählt Beispiele, versucht die Worte des anderen aufzunehmen, nähert sich an – oder aber, wie ja die männlichste unter allen AfD-Prominenten vorgemacht hat: Wer nicht mitdiskutieren will, verlässt krachend und beleidigt den Raum.

Deswegen, so Wallis, macht es eigentlich keinen Sinn, mit den Spitzen der Rechten zu diskutieren. Die stecken fest – in ihren Rollen, in ihren Frames. Und die Opferrolle beherrschen sie am besten. Wenn es mal Widerspruch gibt – Opferrolle. Wenn sie mal zum Thema reden sollen: Opferrolle. Oder gleich mal wieder: „Aber die Flüchtlinge …“

Wallis: „Das Paradoxon, das Rechte schaffen, ist ja zuerst den Frame zu setzen, ‚die da oben sind schuld‘ und dann ‚wir machen euch stark‘. Aber dadurch macht man sie ja schwächer als sie sind, das würde ja bedeuten, sie könnten selbst nicht stark sein, bräuchten Anführer. Man muss sie ihrer demokratischen Selbstverantwortung bewusst machen: Du selbst bist auch verantwortlich für das, was in deinem Dorf oder in diesem Land passiert.“

Mit den Wählern die in letzter Zeit so oft rechts gewählt haben freilich müsse man reden. Egal, wie schwer diese Kommunikation fällt. Es ist eine Kärrnerarbeit. Aber gerade im Osten erzählt sie eben auch davon, dass da in der Kommunikation lange, viel zu lange Wichtiges unterlassen wurde.

Man spricht zwar immer gern von Bürgernähe und fragt bei den Leuten gern die Bürgerfreundlichkeit der Verwaltung ab. Aber wenn es wirklich um konkrete Beteiligung und Kommunikation geht, erweist sich meist das Gegenteil. Die Probleme, die den Menschen auf den Nägeln brennen, werden nicht gelöst. Stattdessen gibt es weiche Ausreden, verweisen selbst die, die regieren, auf andere, die regieren. Immer ist jemand anders schuld: Berlin, Brüssel, die EZB, auch gleich gern mal die Opposition im Landtag. Immer: Die da!

Es ist so eine seltsame Art eingekehrt, dass der Begriff „Verantwortung übernehmen“ geradezu inflationär geworden ist – allerlei Amtsträger übernehmen für alles Mögliche, was krachend schiefgegangen ist, „die Verantwortung“. Aber sie treten nicht zurück. Und wenn man sie fragt, was sie nun machen, wo sie doch die Verantwortung übernehmen – kommt nichts. Die Phrase war schon alles, was kam.

Man hat sein patriarchales Selbstbild quasi untermauert, sieht sich aber in keiner Weise gezwungen, jetzt zu handeln. Und das erste am Handeln ist ja das Kommunizieren: rauskriegen, was wirklich schiefgelaufen ist und warum. Und was man jetzt tun kann, es zu reparieren.

Wer so etwas in den letzten Jahren irgendwo gehört und gesehen hat, darf sich melden.

Mir ist nichts untergekommen.

Denn: Genau das ist patriarchale Fehlerkultur. Man korrigiert sich nicht. Das würde ja die Rolle des Immerrechthabenden infrage stellen. Das würde ja bestätigen, dass Menschen (Männer) sich irren können. Und dass auch ein Amt Fehler mit sich bringt und im Grunde ein „trial & error“ ist, nicht wissen, was wirklich genau das Richtige ist. Denn das gibt es nicht. Politik ist immer nur ein Feld des Möglichen. Und des möglichst Richtigen, auf das man hinarbeiten muss. Aber wer lässt sich, wenn er seine Eitelkeit im Amt befriedigt, beim Arbeiten, Irren und Fehlermachen zuschauen? Dafür gibt es doch in unserer medialen Macho-Kultur nur Hohn und Spott!

Also macht man lieber nichts, übernimmt die Verantwortung und putzt die Opposition herunter, wenn die die Untätigkeit im Amt kritisiert.

Ist nicht nur in Berlin so. Ist leider mittlerweile auf fast allen Ebenen so.

Selbst der hingegangene Herr Maaßen passt in dieses Raster. Statt einfach öffentlich zu sagen: „Entschuldigung, ich habe mich in meiner Einschätzung geirrt!“, macht er das im Kreis seiner gleichgesinnten Geheimdienstkollegen noch schlimmer und mutmaßt in der Regierung eine linksextreme Verschwörung. Natürlich gegen ihn. Gegen wen denn sonst?

Er wurde doch in seinem männlich erstarrten Selbstbild gekränkt. Ein ganz öffentliches Beispiel eines zutiefst gekränkten Patriarchen. Ein Diederich vor dem Herrn.

So gesehen, sind die gekränkten Wähler der national-beleidigten Parteien natürlich auch ein Ebenbild unserer Politik. Oder von deren medialer Darstellung.

Aber die Botschaft ist klar: Wenn unsere Demokratie nicht in brüllender Sprachlosigkeit versumpfen soll, braucht es das Gespräch – auf Augenhöhe. Auch mit den Wütenden und Frustrierten und Verängstigten. Mit allen.

Wallis: „Es helfen zumindest keine dicken Bücher der Bundeszentrale für politische Bildung. Die liest im Zweifel nämlich niemand durch, der vor Geflüchteten Angst hat oder glaubt, er hätte den Anschluss verloren. Am Ende helfen nur einzelne Gespräche, viele davon, winzige Dosen.“

Denn Angst erzählt vor allem von einem: Verunsicherung, fehlender Selbstsicherheit. Aber auch von: fehlendem Gespräch.

Es wird viel geschwatzt, gelärmt und geredet in unserer Gesellschaft.

Aber es gibt verdammt wenige wirklich ernsthafte Gespräche. Und nur im Gespräch lernt man zuzuhören, mitzufühlen und sich zu artikulieren.

Die ganze Serie „Nachdenken über …“

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