Donald Trump ist der große Bartender politischer Programme und Philosophien. Was einst vereinbart war, gilt für ihn nicht. Er „gebärtet“ sich, wie's ihm beliebt. Mal gibt er den Libertären, der dem Anarcho-Kapitalismus huldigt, dann wieder den autoritär Konservativen, der staatliche Investitionen (und Interventionen!) bedient und an Ideen festhält, die soooo einen Bart haben. Dabei hat er selbst – keinen. Wie überhaupt seit nunmehr 107 Jahren kein amerikanischer Präsident mehr Gesichtsbehaarung trägt.

Der letzte, der sich eine Hecke im Gesicht wachsen ließ, war der schnauzbärtige William Howard Taft, dessen Bröselbesen dafür nicht zu übersehen war. Was den taffen William freilich nicht davor bewahrt hat, weitgehend in Vergessenheit zu geraten. Jedenfalls kennt – zumindest hierzulande – heute kein Mensch mehr William Howard Taft. Die Leute wissen höchstens, was Drei Wetter Taft ist, wobei das gewiss auch William Howard Tafts Bart einbetoniert hätte, allerdings hatte der gute Howard nichts mit Haarspray am Hut. Und am Bart schon gleich gar nicht.

Aber wie dem auch sei, die Geschichte der präsidialen Popelbremsen ist jedenfalls ein Kapitel oder zumindest ein Wikipedia-Eintrag für sich, angefangen bei den glattrasierten Gründungsvätern, über den backenbärtigen John Quincy Adams, der der erste war, der sich trotz seiner Platte mit „Hair Präsident“ anreden lassen konnte, bis hin zu Abraham Lincoln, der sich anno 1860 von einer 11-jährigen Rotzgöre erklären ließ, dass Männer mit Bart bessere Chancen bei den Wählern hätten, woraufhin sich Lincoln ein geradezu abrahamitisches Kinngestrüpp zulegte und ein Jahr später die Wahlen gewann.

Was dazu führte, dass in den darauffolgenden fünfzig Jahren so ziemlich jeder amerikanische Präsident irgendeinen fazialen Flokati mit sich herumtrug. William Howard Taft war der letzte in dieser Reihe, denn seitdem hat es kein Präsident mehr gewagt, dem gemeinen Wahlvolk in Bekleidung eines Gesichtspullovers gegenüberzutreten, sieht man einmal von Harry Truman ab, der im November 1948 nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten erst mal Urlaub in Florida machte und sich einen Bart wachsen ließ – zumindest solange, bis seine Frau im Feriendomizil auftauchte und Barty Harry dazu zwang, sich zu rasieren. Womit wir beim eigentlichen Problem wären: den Weibern.

Das mag jetzt ein wenig chauvinistisch klingen, aber erstens schreibe ich diesen Text hier in einer Werkstatt, und an den Wänden hängen genau vier Handwerker-Kalender mit entsprechendem Bildprogramm, und zweitens ist das mit den pogonophobischen Weibern ein Fakt. Zumindest wenn ich den feuilleton-wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Verhältnis von Gesichtsbehaarung und Wählbarkeit von Politikern glauben darf.

Denn obwohl sich die Ergebnisse in diversen Punkten widersprechen, sind sich die Fellfressen-Forscher doch in einem Punkt einig: Männer mit Bart, sagen sie, wirken, als würden sie feministischen Positionen eher ablehnend gegenüberstehen. Was wiederum für viele Politiker ein Grund sein dürfte, sich das Gesicht lieber einmal zu viel als einmal zu wenig freizuhobeln. Denn wer will schon einen Twittersturm ernten, nur weil er ein wenig Bartwuchs gesät hat?!

Andererseits, so richtig überzeugend klingt die Theorie vom antifeministisch wirkenden Bart für mich nicht, denn sonst müsste Donald Trump auf jeden Fall einen tragen. Oder die Sache spielt sich tatsächlich nur im Raum des Imaginären ab und bestimmt von da aus die Realität. Was wiederum nicht ungewöhnlich wäre, schließlich ist das Imaginäre eine der geschichtsmächtigsten Kräfte überhaupt – und auch eine der dauerhaftesten.

Im Umkehrschluss fabulieren die Flokati-Forscher dann auch gern von den Wählern (und Wählerinnen!), die Politiker mit Bart als Sympathisanten der Waffenlobby NRA betrachten und ihnen zutrauen, unschicklich viel Geld fürs Militär auszugeben. Was ebenfalls ein Grund dafür sein könnte, dass so viele Politiker zum Rasierer greifen und in den USA nur 5 % der Kongressmitglieder Bartträger sind.

Die Zahl stammt aus dem Jahr 2015 und wurde in einem Aufsatz publiziert, der den Titel trägt: „Why Beards and Mustaches are rare for modern American Politicians“. Ob die 5 % nur der Männeranteil sind oder – im Sinne der Gleichberechtigung – die Frauen im Kongress in die Bartberechnung mit einbezogen wurden, lässt sich dem Text nicht entnehmen. Möglich ist es allerdings, denn eine andere Berechnung kam zur gleichen Zeit auf 12 % – und da wurden ausschließlich die Männer gezählt. Oder – um es in amerikanischem Säggs’sch zu sagen: Hier warn nur Hairn mit vonn dor Bartie.

Aber im Grunde sind die Zahlen nicht weiter wichtig (und auch die schlechten Wortwitze nicht), denn seit 2015 haben sich die Dinge ein wenig geändert, auch wenn Donald Trump die Tradition präsidialer Rasurfreude fortgesetzt und in seinen mehr als 49.000 Twittereinträgen das Wort „Bart“ noch nicht ein Mal in den Mund genommen hat.

Dafür wächst es um ihn herum. Seine beiden nutzlosen Söhne Donald Jr. und Eric zeigen sich jedenfalls seit einigen Monaten mit einer ziemlichen Matte im ansonsten glattgeleckten Gesicht. Die beiden gehen übrigens auch gern auf die Jagd, mögen die NRA und haben auch nichts dagegen, dass Daddy dem Militär mächtig viele Milliarden zuschaufelt. Insofern könnte an der Wähler-und-Bart-Wahrnehmungstheorie also durchaus was dran sein.

Allerdings sind die beiden keine Politiker. Genauso wenig wie ihr Vater, nur dass der eben ein politisches Amt innehat. Dafür gibt es rund um Donald Trump genug Männer, die sowohl Politiker, als auch – neuerdings – Bartträger sind. Wobei vor allem Vollbärte wieder schwer angesagt sind. Zum Beispiel beim einflussreichen republikanischen Senator Ted Cruz, der seine Wangen freilich schon seit 2018 damit ziert. Oder Gesundheitsminister Alex Azar, der seit einigen Wochen ebenfalls auf ordentlich Gesichtsbehaarung setzt.

Allerdings sind es nicht nur gestandene Politiker, die sich zunehmend zuwuchern lassen. Im Kongress haben jedenfalls gleich vier Neulinge einen Bart mitgebracht: Die Republikaner Dan Crenshaw und Greg Steube und die Demokraten Joe Cunningham und Steven Horsford. Allerdings scheint – trotz der beiden demokratischen Bartträger – die galante Gesichtsbehaarung eher ein Trend bei den Republikanern zu sein. Was auch an den vielen Auslandseinsätzen amerikanischer Soldaten und dem damit verbundenen „Krieg gegen den Terror“ liegen könnte.

Im „New Republic“ haben sie jedenfalls schon letztes Jahr festgestellt, dass die Populärkultur vom Zweiten Weltkrieg bis zum 11. September kaum bärtige amerikanische Helden kannte, nicht zuletzt auch deshalb, weil Gesichtsbehaarung wahlweise mit (kriminellen) Südländern, (feindlichen) Wilden oder (islamischen) Terroristen assoziiert wurde. Aber diese Sichtweise hat sich inzwischen verwachsen, und wer jetzt Filme, Nachrichten oder Fotos anschaut, sieht überall amerikanische Heroen mit fulminanten „Follikel-Farmen“ im Gesicht.

Besonders Spezialkräfte der US-Armee, die unmittelbar im feindlichen (d. h. kriminellen / wilden / islamistischen) Gebiet eingesetzt sind, lassen es wachsen – und dürfen das auch. Nicht nur, weil für sie Sonderregelungen gelten, sondern weil der Mann in manchen Gegenden bloß mit Bart akzeptiert, das heißt als Mann (an)erkannt und als potentieller Verhandlungspartner betrachtet wird. Street credibility made in Afghanistan. Was freilich dazu geführt hat, dass die Taliban ihre Leute irgendwann angewiesen haben, die unrasierten Amerikaner zu meiden, da diese bei der Wahl ihrer „Kommunikationsmittel“ nicht eben zimperlich sind …

Derartigen Wildwuchs finden zwar nicht alle im amerikanischen Vhairteidigungsmnisterium gut, aber inzwischen hat sich im Pentagon hairumgesprochen, dass die alten Rasurbestimmungen nicht nur die Bart-, sondern auch die Personaldecke kürzen. Folglich dürfen es inzwischen auch Muslime und Sikhs in Diensten der US-Armee wachsen lassen. Genau wie jene Soldaten, die irgendwelche nordischen Zottel-Götter anbeten.

Aber auch im amerikanischen Alltag sind Bärte inzwischen wieder en vogue, wobei das lange Zeit wirkmächtige Bild vom bärtigen Mann als potentiellem Waffennarren, Gewalttäter und Frauenfeind durchaus eine nachträgliche „Rechtfertigung“ zu bekommen scheint und sich gewissermaßen post festum realisiert. Denn inzwischen ist das Image vom bärtigen Brutalo, der hinter den Frontlinien agiert und sich im Dienste der (amerikanischen) Freiheit zuwuchern lässt, nicht nur in der Populärkultur angekommen, sondern hat auch in der Realität (Bart-)Wurzeln geschlagen.

Um diese (Selbst)-Bilder-Verschiebung in all ihren Facetten sichtbar zu machen, braucht es jedoch mehr als nur Worte. Dafür sind andere Formen des Ausdrucks notwendig. Und die gibt es – zum Glück: Der Zeichner Nate Powell hat in „About Face“ die militaristischen Ursprünge dieser Männlichkeit zu ebenso grausamen wie grandiosen Bildern verdichtet und dazu (s)eine Geschichte erzählt.

Unter einem zeit-räumlich größeren Blickwinkel lässt es sich vielleicht aber auch so ausdrücken: Was im europäischen Mittelalter die Imitatio Christi war, ist im Amerika des 21. Jahrhunderts zur Imitatio Militiae geworden. Ausgehend von den Eliteeinheiten der Armee, den Afghanistan-Rückkehrern und Veteranen lassen es inzwischen auch die Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen, Polizisten und Wachmänner wachsen, und viele andere tun’s ihnen gleich. Das heißt: sie machen es nach. Die Imitation der Imitation der Imitation …

Kein Wunder, dass in den USA seit einiger Zeit den alten Mythen vom Pioniergeist neues Leben eingehaucht wird. Die „frontier“ verläuft dabei allerdings nicht mehr nur durchs Land und die Köpfe der Leute, sondern ganz konkret durchs Gesicht. Nur dass die Wildheit jetzt zum Ausdruck des Amerikanischen wird.

So gesehen ist es nicht nur eine Ironie der Geschichte, sondern geradezu aBARTig, dass ein ewig Rasierter wie Donald Trump diese Entwicklung mit seiner Politik – halb heimlich, halb unbewusst – nährt.

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Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik

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