Überall kursieren momentan Verschwörungstheorien, nur ich krieg' keine gebacken. Ich hab nur diese Geschichte hier. Sie handelt von Russen und Chinesen, die im großen Stil versuchen, den Afrikanern die Atomkraft schmackhaft zu machen. Und Amerikanern, die auch mit ins große Nuklear-Bingo einsteigen wollen. Und den deutschen Medien, die kein Sterbenswort über all das verlieren.

Zwar finden sich in den hiesigen Zeitungen und Nachrichtenportalen hier und da ein paar Artikel über die Entwicklung der Kernkraft in Afrika, nur sind die Texte meist schon ein paar Jahre alt, und über die aktuellen Export-Wünsche der Amerikaner wurde in den deutschen Medien überhaupt noch nirgends berichtet.

Das alles böte Stoff für eine veritable Verschwörungstheorie. Wenn es nicht einfach nur das Material für eine Geschichte wäre, die von der strahlenden Zukunft des schwarzen Kontinents handelt – oder von der schwarzen Zukunft eines bald schon strahlenden Kontinents, je nachdem … Sicher jedenfalls ist, dass es auch eine Geschichte über mediale Hysterie ist – und über die Abgestumpftheiten, die die Rückseite der öffentlichkeitswirksamen Erregungszyklen bilden.

Denn was für einen Nachrichtenwert haben schon die großangelegten Pläne zur künftigen Energieversorgung Afrikas, wenn man sie mit den aufgepumpten Verschwörungstheorien professioneller Blasenmacher vergleicht und dazu noch den Umstand addiert, dass deutschen C-Promis gerade reihenweise die Birnen durchknallen?

Ohne die Schlagworte „Bill Gates“, „Impfpflicht“ und „globale Gesundheitsdiktatur“ kriegt man momentan jedenfalls nur schwer eine Geschichte verkauft. Wenn Afrika also Aufmerksamkeit will, muss es die passenden Schlagworte liefern. Oder wenigstens ein paar neue Flüchtlingsströme, Bürgerkriege und Hungerkatastrophen produzieren. Oder am besten alles zusammen – und dann noch Corona dazu.

Dann könnte man mal über einen kleinen Text nachdenken. Aber so … so ist da nur dieser Bericht, den die amerikanische Nuclear Fuel Working Group im April an die Trump-Administration geschickt hat. Bei dem Bericht handelt es sich allerdings nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern um ein Dokument politisch motivierter Dienstfertigkeit, schließlich wurde die Nuclear Fuel Working Group im Juli 2019 von Donald Trump persönlich ins Leben gerufen und ausschließlich mit Leuten aus seinem eigenen Regierungsapparat bestückt.

Das Ziel des getreuen Gremiums: Es soll alles dafür tun, damit die Führungsrolle der USA bei der Kernenergie wieder hergestellt wird. Um das zu erreichen, müssen nach Ansicht von Energieminister Dan Brouilette, „die positiven Eigenschaften der Atomkraft hervorgehoben, die Möglichkeiten des Uran-Bergbaus wiederbelebt, die amerikanische Technologievorherrschaft gestärkt und die US-Exporte ausgebaut werden“.

Womit wir bei Afrika und den entsprechenden Empfehlungen der Nuclear Fuel Working Group wären. Laut ihres Berichts sollten die USA nämlich schleunigst anfangen, Atomtechnologie nach Afrika zu verkaufen, denn sonst machen die Russen und Chinesen das ganze Geschäft. Damit das funktioniert, das heißt die amerikanische Atomkraft an den Afrikaner kommt, braucht es US-Bürger, die sich mit der Situation vor Ort auskennen.

Genau an diesem Punkt kommt nun die eigentlich für Entwicklungshilfe zuständige U.S. International Development Finance Corporation ins Spiel. Der sind in Sachen Energiepolitik zwar bisher die Hände gebunden, aber das wird nicht so bleiben. Gemäß des Wunsches der Nuclear Fuel Working Group soll (und wird) die Behörde sämtliche Bestimmungen, die ihr aktuell noch die Unterstützung für Nuklearprojekte verbieten, überarbeiten (das heißt abändern).

Das Ziel der ganzen Überarbeiterei wird dabei offen genannt: „Förderung des Wiedereinstiegs amerikanischer Anbieter in den Markt für Forschungsreaktoren“, „Aufbau einer an Atomtechnik geschulten Belegschaft“ sowie „Bereitstellung technischer Kapazitäten in kommenden Nuklearstaaten durch den Verkauf von in den USA produzierten Forschungsreaktoren“.

Die Empfehlungen stoßen bei der International Development Finance Corporation auf offene Ohren, zumal sich die 2018 gegründete Behörde weniger um klassische Entwicklungspolitik kümmert als vielmehr die Förderung des US-Außenhandels im Blick hat – und dabei stets auch die amerikanischen Sicherheitsinteressen im Auge behält. Die DFC begrüßt jedenfalls die Empfehlungen der Atomlobbyisten, schließlich, so heißt es, sei die Kernkraft eine „Null-Emissions-Technologie“. Außerdem sei sie bezahlbar, sichere den künftigen Energiehunger Afrikas und diene so dem wirtschaftlichen Aufschwung des gesamten Kontinents.

Dass die afrikanischen Staaten für die USA plötzlich zu Kern(energie)ländern werden, hat handfeste ökonomische Interessen. Dass dieselben nicht erst versteckt werden, ist typisch für das Auftreten der Trump-Administration.

Was dagegen relativ neu ist, ist der ökologische Mantel, der über die gesamte Unternehmung ausgebreitet wird, etwa wenn darauf verwiesen wird, dass die Wasserkraft in Afrika durch anhaltende Dürren vielerorts den benötigten Strom nicht mehr liefern kann und als Ersatz oft alte Dieselgeneratoren einspringen müssen, die beträchtliche Emissionen ausstoßen. Da wäre die Atomkraft doch die wesentlich bessere Alternative, heißt es immer wieder von amerikanischer Seite.

Aber es sind beileibe nicht nur Regierungsbehörden, sondern auch zahlreiche Forscher und wissenschaftliche Dachverbände, die in dieses Horn blasen. Unterstützt werden sie dabei von Umweltgruppen wie dem Breakthrough Institute, das richtungsweisend für den sogenannten Ökomodernismus und den damit verbundenen technokratisch-pragmatischen Ansatz in der Umweltpolitik ist.

Gemeinsam fordern sie eine amerikanisch-afrikanische Partnerschaft bei der Weiterentwicklung der Kernenergie und plädieren dafür, dass sich die US-Regierung für einen Ausbau der AKWs in Afrika einsetzt. Auf diesem Weg, so heißt es, lasse sich die Atomkraft zu einer „sozial gerechten und politisch nachhaltigen Energie“ machen.

Was in deutschen Ohren bestenfalls nach einem schlechten Witz klingt, ist in den USA eine vollkommen normale Forderung. Gegenwind gibt es jedenfalls fast keinen, was freilich auch daran liegt, dass neben den Republikanern auch immer mehr Demokraten die Atomkraft (wieder-)entdecken. Gewiss, für Verschwörungstheoretiker sind solch parteiübergreifende Koalitionen eine Bestätigung für ihre Idee von einem kompletten Komplott der politischen Kaste.

Tatsächlich steht hinter der Forderung nach amerikanischen Atomkraftanlagen in Afrika aber keine Verschwörung, sondern der „gute“ alte amerikanische Pioniergeist, der sich hier mit jenem Technikoptimismus des Silicon Valley paart, welcher glaubt, alte Umweltprobleme ließen sich mit modernen Technologien ganz leicht beheben.

Hinzu kommen noch die geopolitischen Machtansprüche der Trump-Administration, die übliche Gegnerschaft zu den Chinesen und Russen sowie der von christlichen Errettungsphantasien gespeiste Wunsch, die armen Afrikaner vom drohenden Joch kommunistischer Schuldherrschaft zu befreien – fertig ist das Engagement der Weißen für die Schwarzen. Beziehungsweise das des Weißen Hauses für den schwarzen Kontinent.

Wobei im Falle der Trump-Administration natürlich auch Wunsch nach „Deals! Deals! Deals!“ eine Rolle spielt, angefangen vom Verkauf kompletter Atomkraftwerke bis hin zu jenem amerikanischen Uran, das mithilfe von Kernschmelz-Donnie nicht nur verstärkt abgebaut, sondern generell wieder salonfähig gemacht werden soll. (Die einzelnen Puzzleteile sind in den Tagebucheinträgen vom 16.09.2019, 19.01.2020 und 20.02.2020 näher beschrieben.)

Was in Afrika gebaut werden soll, sind allerdings keine klassischen, das heißt wasserintensiven AKWs, die eine lange Vorlaufzeit haben und bereits in der Planung enorme Gelder verschlingen, als vielmehr kleine Atomkraftwerke und Mikroreaktoren – allesamt made in USA. Mehr als fünfzig Forschungseinrichtungen und private Start-Ups arbeiten dort an entsprechenden Anlagen. Sie warten nur darauf, ihre Konstruktionen unter afrikanischen Bedingungen zu testen und ihr Werk dauerhaft im Einsatz zu sehen. (Die Frage der Folgekosten sowie die der Endlagerung des Atommülls wird freilich auch im Falle Afrikas so wenig beantwortet wie überall sonst auf der Welt.)

Aber die Frage ist auch nicht Teil der technikfixierten Debatte. Die ganze Diskussion dreht sich schließlich ums Machen, nicht ums Wegmachen. Und die politische Rechnung dahinter ist ebenso einfach: Kommt die Technik in Afrika zum Einsatz, kommt die amerikanische Uran-Industrie endlich wieder zu Aufträgen, die Atomwirtschaft zu Geld und die Trump-Regierung geopolitisch zum Zug.

Denn Fakt ist: Obwohl es in Afrika derzeit nur ein einziges kommerziell betriebenes Atomkraftwerk gibt, betreiben schon jetzt zahlreiche afrikanische Länder Forschungsreaktoren. Mindestens zehn von ihnen denken auch über den kommerziellen Einstieg in die Atomenergie nach und haben in den vergangenen Jahren entsprechende Schritte unternommen.

Geweckt und unterstützt wurde (und wird) dieser Wunsch bislang vor allem von chinesischen und russischen Unternehmen, die den afrikanischen Kontinent schon seit Längerem als einen ebenso großen wie noch unerschlossenen Markt für ihre Atomtechnologie betrachten. So hat zum Beispiel China Verträge mit Uganda, Namibia, Kenia und Algerien gemacht, bei denen es aber nicht nur um die technische Infrastruktur, sondern auch um die Ausbildung künftiger Arbeitskräfte geht.

Außerdem entwickelt China seit einiger Zeit Kernkraftwerke mit kleiner und mittlerer Leistung, wie sie für den afrikanischen Kontinent gebraucht werden und hat überdies genug Macht, Einfluss und Geld, um die afrikanischen Uranminen in seinem Sinne zu nutzen.

Auch die staatliche russische Atomenergiebehörde Rosatom arbeitet an solchen Reaktoren. Zudem haben die Verantwortlichen im Kreml Verträge mit den Regierungen von Algerien, Ägypten, Ghana, Kenia, Nigeria, Tansania, Uganda und Zambia geschlossen und auch Vereinbarungen über kommende Kernbrennstoff-Lieferungen getroffen. Die Laufzeit dieser Vereinbarungen beträgt zum Teil dreißig Jahre und mehr.

Unterstützung erfahren China und Russland – und mit ihnen die an der Nutzung der Kernkraft interessierten Nationen – von der Internationalen Atomenergie-Organisation, auch wenn sich die Behörde selbst als politisch neutral versteht und nach eigenen Angaben keinen Einfluss auf Entscheidungsprozesse nimmt. Tatsächlich aber fördert sie die atomare Aufrüstung Afrikas. Kein Wunder, dass die USA da nicht außen vor bleiben wollen.

Nur für Verschwörungstheoretiker lässt sich, trotz strahlend-schwarzer Aussichten, in der ganzen Gemengelage kein rechter Platz finden, denn die von ihnen oft und gern attackierte Weltbank wird – mitsamt der internationalen Finanzindustrie – in diesem Falle von den Amerikanern selbst angegriffen.

Allerdings sind es nicht Mitglieder der Trump-Regierung, sondern Wissenschaftler und Umweltaktivisten, die diesen Angriff fahren, wenn sie fordern, die US-Regierung müsse „Einfluss auf die internationalen Finanzinstitutionen, inklusive die Weltbank nehmen“, da sich diese Institutionen „explizit gegen die finanzielle Unterstützung von Atomkraftprojekten aussprechen“.

Das entsprechende Papier wurde von Jessica Lovering und Kenton de Kirby, zwei leitenden Mitarbeitern des Breakthrough Institute verfasst und in der Zeitschrift der National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine publiziert. Mit Blick auf die bisherige Haltung der Weltbank und anderer internationaler Finanzinstitutionen, fordern sie die Trump-Administration zum Eingreifen auf, schließlich hätten die USA, wie sie schreiben, „große Macht in diesen Organisationen und sollte sie dazu nutzen, um den Wandel voranzutreiben“.

Den Wandel vorantreiben, das wollen viele. Nur in welche Richtung der Wandel gehen soll, das ist die Frage. In den USA scheint sie – zumindest in puncto Atomkraft – entschieden. Und in Afrika, China und Russland ist sie es auch, gleichwohl es dort nicht unbedingt das war, was man eine wirkliche Frage nennen könnte. So gesehen geht man im verschwörungstheoretisch aufgeladenen (und sich atomar langsam entladenen) Deutschland einen anderen Weg. Hier ist momentan überhaupt nichts entschieden. Selbst die Rückkehr zur Kernkraft wird von einigen politisch Verantwortlichen wieder in Erwägung gezogen.

Überstrahlt aber wird momentan alles von Corona. Obwohl es weniger das Virus ist, das Probleme bereitet, weil es die Körper aufheizt. Es ist vielmehr die Debatte rundrum, die für Chaos sorgt, weil sie die Köpfe erhitzt. Wobei die Verschwörungstheoretiker der ganzen Sache mehr als nur die sprichwörtliche Krone aufsetzen. Was zwar keine Entschuldigung, aber vielleicht ein Grund dafür ist, warum sich in Deutschland plötzlich einige wie Könige fühlen, die zuvor nur im Reich ihrer eigenen Selbstüberschätzung gewohnt haben.

Aber vielleicht liegt die Grimmigkeit, mit der die aktuellen Auseinandersetzungen geführt werden, auch darin begründet, dass jede Generation glaubt, an einem Wendepunkt der Geschichte zu stehen. Und dass sich – quer über alle Generationen und Lager hinweg – generell zu viele Menschen für auserwählt halten. Denen wächst der Glaube ans eigene Auserwähltsein schlichtweg über den Kopf.

Nur leider braucht man für ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein keine Antennen, schon gar nicht solche, die andere Frequenzen empfangen. Und so kommt es, dass man sich in Afrika für eine strahlende Zukunft zu rüsten beginnt, ohne dass man es hierzulande bemerkt, denn ein Großteil der Augen und Ohren – und auch der Kameras und Stifte – ist auf jene Aluhüte gerichtet, unter denen es zu kochen beginnt…

Alle Auszüge aus dem „Tagebuch eines Hilflosen“.

Direkt zum „Tagebuch eines Hilflosen“.

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