In zirka einer Woche, am 9. Oktober 2022, jährt sich zum dritten Mal der faschistische Anschlag auf die Hallesche Synagoge, der zwei Menschen das Leben kostete. Doch außer dem Gedenken soll am selben Tag auch noch der „Mitteldeutsche Marathon“ von Leipzig nach Halle stattfinden. Geht so würdiges Gedenken? Mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen äußern sich in einer gemeinsamen Pressemitteilung kritisch.

In der gemeinsamen Erklärung der Organisationen Halle gegen Rechts (HgR), des Evangelischen Kirchenkreises, des Friedenskreises und der Freiwilligenagentur wurde das Zusammenfallen beider Termine als „Zeichen dafür, dass sich die Tragweite des Anschlags immer noch nicht ausreichend im städtischen Gedächtnis manifestiert“ hätte, bezeichnet.

Insbesondere HgR bezeichnete den Umgang der Stadtverwaltung mit dem Jahrestag des Anschlags explizit als „unwürdig“. Einig waren sich die Initiativen darin, dass es kaum nachvollziehbar sei, dass zwischen Stadtverwaltung und dem Veranstalter, dem halleschen run e. V., kein anderer Termin für den jährlichen Marathonlauf ausgemacht wurde.

Während HgR den schärfsten Ton gegen die Sportveranstaltung anschlug, betonten Friedenskreis und Freiwilligenagentur vor allem die Notwendigkeit, dass die beteiligten Akteure im Gespräch bleiben und in Zukunft ein sensibleres Verhalten an den Tag gelegt werden würde.

Kompromiss schwer vorstellbar

Der Evangelische Kirchenkreis zeigte sich seinerseits zuversichtlich, „dass Stadt und Veranstalter des Marathons sensibel und pietätvoll agieren werden“ und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden würden, das schweigende Gedenken um 12:03 Uhr, dem Zeitpunkt des Anschlags, sowie die Gedenkandacht um 12:30 Uhr nicht zu stören.

Alle zusammen forderten als Minimum ein Abstellen der Musik und Verzicht auf Kommentierung des Sportgeschehens zwischen 12 und 13 Uhr.

Letzteres darf man wohl, gelinde gesagt, als optimistisch auffassen. Im Programm des Marathonveranstalters finden sich ab 10:30 Uhr diverse Starts und Siegerehrungen auf dem Halleschen Marktplatz, also direkt neben der Marktkirche, wo die oben genannte Gedenkandacht stattfindet. Dass parallel angesetzte erste Siegerehrungen ohne lautsprecherverstärkte gut gelaunte Kommentierung auskommen werden, muss getrost bezweifelt werden.

Vonseiten der Stadtverwaltung hieß es in ihrer Pressemitteilung zum diesjährigen Gedenken nur lapidar, dass es, da der Markt nicht als „zentraler Ort für die Gedenkstunde“ geplant gewesen sei, auch keinen Grund gäbe, dem Veranstalter des Marathons die Nutzung zu untersagen.

Der „Gipfel der Unangemessenheit“

Kritik gab es aber durchaus auch aus Politikerkreisen. Die Landtagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der sachsen-anhaltinischen Linkspartei, Henriette Quade, bezeichnete das Zusammenlegen der Termine beispielsweise auf ihrem Twitteraccount als „Gipfel der Unangemessenheit“.

Im Allgemeinen wird das Gedenken an den Anschlag wesentlich von zivilgesellschaftlichen Initiativen organisiert, wobei die Stadtverwaltung immer wieder wegen Versäumnissen in der Kritik stand. Auch dieses Jahr wird es wieder diverse selbstorganisierte Gedenkveranstaltungen geben, darunter ein Gedenkrundgang, eine Kundgebung der Solidaritätsgruppe 9. Oktober und mehrere Kunstprojekte. HgR kündigte zudem an, im Tagesverlauf mit großflächigen Transparenten auf den Jahrestag aufmerksam machen zu wollen.

Unproblematisch sieht man das Zusammenfallen der Termine indes von Seiten der Jüdischen Gemeinde Halle. Deren Vorsitzender, Max Privorozki, teilte auf Nachfrage mit, er sähe „keinerlei Probleme mit diesem Marathon“. Es gäbe keinen Zwang zur Teilnahme an Gedenkveranstaltungen, zudem werde seitens der Gemeinde selbst später am Tag der Beginn des Laubhüttenfestes gefeiert. Ferner sei es in allen anderen Jahren ja auch völlig normal, dass am 9. Oktober sowohl dem Novemberpogrom von 1938 gedacht als auch der Fall der Berliner Mauer gefeiert wird. Der Gemeindevorsitzende äußerte Unverständnis für die Aufregung bezüglich des Marathons.

Der Veranstalter des Marathons war am Wochenende für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde nach Erstveröffentlichung um die Stellungnahme des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle ergänzt.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar