Stress ist nicht gleich Stress. Manche können zur Höchstform auflaufen, wenn ihre Fähigkeiten voll gefordert werden. Doch wenn die Belohnung nicht stimmt, wird Stress zum Problem. Eine neue DAK-Studie zeigt, dass in einer Gesellschaft, die derart auf "Leistung" getrimmt ist, besonders jene leiden, die den Erwartungen ans perfekte Funktionieren am schlechtesten genügen können: In Deutschland leiden vor allem Alleinerziehende, Arbeitslose und Studentinnen unter chronischem Stress.

Dagegen sind leitende Angestellte und Beamte weniger belastet. Das zeigt eine Untersuchung der DAK-Gesundheit über die Stressbelastung in der Altersgruppe der 25- bis 40-Jährigen. Die Kasse reagiert auf diese Tatsachen mit einem neuen Anti-Stress-Training, das sie ihren Versicherten im Internet anbietet.

Die DAK-Gesundheit hat die Stressbelastung der 25- bis 40-Jährigen anhand einer wissenschaftlich anerkannten Punkteskala erforscht und dafür über 3.000 Männer und Frauen in ganz Deutschland befragen lassen. Dabei erzielten Alleinerziehende die höchsten Werte. Sie nannten in der repräsentativen Befragung besonders viele Situationen, in denen sie sich überfordert, für ihre Anstrengungen nicht anerkannt oder von Sorgen geplagt fühlten.

“Stress ist nicht per se gefährlich”, erläutert Thomas Bodmer, Mitglied des Vorstandes der DAK-Gesundheit. “Aber wenn eine intensive Stressbelastung über lange Zeit anhält und nicht kompensiert werden kann, führt das möglicherweise zu chronischem Stress. Und der macht auf Dauer krank.”

Unter den psychischen Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren drei Diagnosen besonders stark zugenommen: Depressionen, Reaktionen auf schwere Belastungen sowie Angststörungen. Allein bei den Depressionen hat sich die Anzahl der Fehltage in den vergangenen 13 Jahren um 178 Prozent erhöht. Für diese drei Diagnosen sehen Experten chronische Stressbelastung als einen wichtigen Risikofaktor an.

Eine Belastung, die auch durch Erwartungshaltungen ausgelöst werden, die der Betroffene nicht erfüllen kann. Was insbesondere bei Erwerbslosen zu einem erhöhten Stresspegel führt: All ihr Bemühen, einem diffusen Erwartungsprofil zu genügen, ohne dafür mit einer vollwertigen oder gar ihrem Ausbildungsprofil genügenden Arbeitsplatz “belohnt” zu werden, führt in ein psychologisches Dilemma. Eine Flucht ist nicht möglich.Aber diese mittlerweile politisch gepflegte Erwartungshaltung macht sich auch in anderen Gesellschaftsbereichen bemerkbar – bei Studierenden etwa.

Die Stress-Studie der DAK-Gesundheit zeigt auch weitere Besonderheiten in der Belastungssituation der 25- bis 40-Jährigen. So sind bei den Berufstätigen diejenigen stärker von chronischem Stress betroffen, die weniger gut ausgebildet sind. Angestellte mit einfachen Tätigkeiten und geringem Handlungsspielraum haben ein Stressniveau, das über dem von Hochqualifizierten liegt. Bei den Staatsdienern ist das Bild vergleichbar: Beamte im mittleren Dienst sind durch chronischen Stress stärker belastet als Beamte im gehobenen Dienst. Unter größerem Druck leiden auch junge Menschen an Universitäten: Studierende weisen ein überdurchschnittliches Stressniveau auf, wobei Studentinnen noch stärker gestresst sind als ihre männlichen Kommilitonen.

Die DAK bietet dazu nun zwar ein Coaching an. Aber das ändert ja nichts an der grundsätzlichen Entwicklung, dass eine Gesellschaft, die ihre Leistungsanforderungen permanent erhöht, ohne die Betroffenen dabei zu stärken und zu belohnen, auf Verschleiß fährt. Der empfundene Stress ist ja nur ein Symptom für eine als nicht aushaltbar empfundene Situation der Überforderung.

“Eine besonders hohe Belastung durch chronischen Stress weisen alleinerziehende Mütter auf (genauer: Mütter ohne Partnerschaft) (Punktwert:24,6)”, heißt es in der Auswertung. Was den Blick natürlich auch auf einen anderen Vorgang lenkt: Die Ausstrahlung des Drucks, der über den “Arbeitsmarkt” ausgeübt wird – bis in den privaten Bereich. Die Betroffenen empfinden sich nur noch als “Leistungserbringer”, die den Leistungserwartungen scheinbar nicht mehr genügen. Die “Gratifikationskrise” betrifft eben nicht nur Menschen im Beruf, sondern zunehmend die gesamte Gesellschaft – von den Rentnern mal abgesehen.

“Als chronisch gestresst gelten Personen, die sich viele Sorgen machen, überlastet und überfordert sind und keine Anerkennung für ihre Anstrengungen erhalten”, definiert die DAK einen Punkt dazu. Und da nur Männer und Frauen zwischen 25 und 40 befragt wurden, bleibt natürlich ein wichtiges Feld hier unbeleuchtet: das der Kinder und Jugendlichen, die in diese Art Gesellschaft hineinwachsen.

Die Pressemitteilung: www.dak.de/dak/bundesweite_themen/Stress-Studie_2014-1432934.html

Der Bericht: www.dak.de/dak/download/Belastung_durch_chronischen_Stress_Sonderauswertung-1432950.pdf

Die Folien dazu: www.dak.de/dak/download/Belastung_durch_chronischen_Stress-1432952.pdf

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar