Ein Generalverdacht bringt meistens nichts, auch wenn die meisten Medien im Mai genau so titelten, als wenn Betrug bei etlichen Pflegediensten die Norm wäre. Damals wurden die Ergebnisse einer Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen bekannt. Und die Grünen im Sächsischen Landtag wollten natürlich wissen, ob das auch in Sachsen Auswirkungen hat.

Sie haben jetzt von Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) Antwort bekommen. Es ist zwar keine Entwarnung. Aber Sachsen scheint zumindest nicht im Auge des Wirbelsturms zu sein. Es ist kaum von dem im Mai bekannt gewordenem System für Abrechnungsbetrug, Steuerhinterziehung und Geldwäsche bei Pflegediensten betroffen.

„Die allermeisten Pflegedienste leisten – trotz schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen – jeden Tag zuverlässig ihre anspruchsvolle Arbeit. Sie dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden“, bilanziert Volkmar Zschocke, Fraktionsvorsitzender der Grünen und gesundheitspolitischer Sprecher, die Erkenntnisse aus der Antwort der Ministerin. „Im Bericht ‚Curafair‘ wurden bundesweit 230 Fälle von Abrechnungsbetrug identifiziert. Lediglich ein Ermittlungsverfahren aus Sachsen wird diesem Komplex zugeordnet. Unabhängig davon sind aktuell 11 weitere Ermittlungsverfahren im Freistaat anhängig. Die Antwort der Ministerin zeichnet insgesamt ein Bild, in dem Abrechnungsbetrug bei Pflegediensten nicht als großes Thema in Sachsen erscheint. Mit der vorhandenen Statistik ist zwar eine spezifische Auswertung von Fällen in diesem Bereich schwer möglich. Von Abrechnungsbetrug in großem Stil oder gar organisierter Kriminalität scheint Sachsen aber nicht betroffen zu sein.“

Im Wesentlichen beschäftigte sich „Curafair“ mit Pflegediensten mit russischsprachigen Pfleglingen.

In ihrer Antwort bilanziert Barbara Klepsch das Ganze so: „Im Zuge der Auswertung konnten über 950 Pflegedienste im Bundesgebiet ermittelt werden, welche die Pflege und Betreuung russischsprachiger Pflegebedürftiger zum Unternehmensgegenstand haben. Mit diesen Unternehmen waren in der Unternehmensführung mehr als 1.200 Personen verbunden, die über einen eurasischen Migrationshintergrund verfügen. Unter den 950 Unternehmen konnten letztlich rund 230 phänomenrelevante Pflegedienstunternehmen in ganz Deutschland identifiziert werden, deren handelnde Personen bzw. Personen aus ihrem unmittelbaren Umfeld in früheren Ermittlungsverfahren wegen Abrechnungsbetruges im Gesundheitswesen bereits aufgefallen waren. Darüber hinaus wurden Geldwäschehandlungen, Betrugs- und Steuerdelikte für das Phänomen erkannt und aufgenommen. Regionale Schwerpunkte der phänomenrelevanten Pflegedienste sind Nordrhein-Westfalen und Berlin.“

Zumindest im Zusammenhang mit „Curafair“ betrifft es nur ein Unternehmen aus Sachsen, aber mit mehreren Ermittlungsverfahren. Einige Ermittlungsverfahren laufen ja noch, wie die Ministerin mitteilt: „Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig wird ein diesem Komplex zuzurechnendes Ermittlungsverfahren geführt. Ermittelt wird dabei gegen die Geschäftsführer eines Pflegedienstes wegen Abrechnungsbetrugs und Steuerhinterziehung betreffend den Zeitraum 2011 bis 2014. Der Verfahrenskomplex wurde zunächst von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf bearbeitet und im Januar 2017 von der Staatsanwaltschaft Leipzig übernommen. Daneben werden in diesem Zusammenhang für den Zeitraum von 2009 bis 2011 bei der Staatsanwaltschaft Leipzig zwei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung geführt.“

Auch einige wenige andere sächsische Pflegedienste befinden sich in staatsanwaltlicher Untersuchung – haben aber keinen Bezug zu Russland oder zur Ukraine, wie die Ministerin betont.

„Grundsätzlich gilt aber, dass allen Verdachtsfällen, die durch Pflegekoordinatoren, Pflegekassen oder Versicherten bekannt werden, auch nachgegangen werden muss, um diese entweder auszuräumen oder konsequent zu ahnden“, betont deshalb Zschocke. „Der Ruf einer für unsere Gesellschaft so wichtigen Branche darf nicht durch das Fehlverhalten Einzelner geschädigt werden. Die neuen verschärften Kontrollmöglichkeiten in der häuslichen Pflege im Pflegestärkungsgesetz III sind wichtig. Alle Beteiligten müssen gut zusammenarbeiten, um Betrug aufzudecken.“

Sein Vorschlag zur besseren Kontrolle: „Sinnvoll wäre, auch den Pflegebedürftigen mehr Möglichkeiten zu geben, die Leistungen zu verwalten und zu kontrollieren – z. B. durch die Einführung eines Pflegebudgets oder einer monatlichen Pflege-Patientenquittungen mit Leistungen und Preisen. So können Pflegebedürftige sehen, ob wirklich nur erbrachte Leistungen abgerechnet wurden.“

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