Sachsen ist seit gut drei Jahrzehnten Experimentierfeld für alle möglichen prekären Beschäftigungsmodelle. Dazu gehören nicht nur befristete Verträge, Zeitarbeit und Minijobs. Dazu gehören auch alle auf Effizienz getrimmten Jobs, bei denen die Beschäftigten mit Kameras und Zeituhr kontrolliert werden oder von vornherein ein Arbeitspensum bekommen, das in der Regelarbeitszeit nicht geleistet werden kann. Das lässt sich auch in der Krankenstatistik ablesen.

Denn es ist zwangsläufig, dass Menschen – selbst wenn sie körperlich fit sind – unter dieser Überanspruchung irgendwann leiden und dauerhaft erkranken. Und zwar nicht nur am Rücken, der oft als erster meldet, ob jemand die Last nicht mehr tragen kann. Immer öfter ist die Seele betroffen. Und das hat sich in einigen Branchen im Corona-Jahr noch verschärft.

Die Ausfalltage wegen psychischer Erkrankungen sind im Corona-Jahr 2020 in Sachsen auf Rekordhöhe gestiegen, meldet die DAK. Hier wurden 278 Fehltage je 100 erwerbstätige DAK-Versicherte registriert, im Bundesdurchschnitt waren es mit rund 265 Fehltagen deutlich weniger. Ein psychischer Krankheitsfall dauerte durchschnittlich 34 Tage – so lange wie noch nie.

Überlastung in Logistik und Gesundheitswesen

Die Analyse nach Wirtschaftsgruppen zeigt: Die Logistikbranche (plus 76 Prozent) und das Gesundheitswesen (plus 29 Prozent) gehörten zu den Bereichen mit den deutlichsten Steigerungen der Fehltage bei Depression und Co. Das geht aus dem aktuellen Psychreport der DAK-Gesundheit für Sachsen hervor.

Danach hatten Frauen 2020 mehr als doppelt so viele Fehltage durch psychische Leiden als Männer. Im Langzeitvergleich zu 2010 nahmen im Freistaat die Ausfallzeiten wegen Seelenleiden um 72 Prozent zu, während die Fehlzeiten insgesamt im gleichen Zeitraum nur um zehn Prozent zunahmen.

„Die Belastungen durch die Pandemie werden durch die aktuelle Analyse offensichtlich. Der Blick auf die einzelnen Branchen zeigt, wie unterschiedlich der Druck verteilt ist“, sagt Christine Enenkel, Leiterin der DAK-Landesvertretung in Sachsen. „Das Gesundheitswesen ist bis an die Grenzen belastet – die Beschäftigten leiden darunter.“

Ähnlich sehe es in der Wirtschaftsgruppe „Verkehr, Lagerei und Kurierdienste“ aus. Dagegen sind die psychisch bedingten Fehlzeiten in der IT-Branche, bei Banken und Versicherungen sowie in der Verwaltung zurückgegangen. „Möglicherweise hat sich hier unter anderem die Arbeit im Homeoffice positiv ausgewirkt“, so Enenkel. Ziel müsse es sein, den Betroffenen mit passenden Angeboten und Versorgungskonzepten zu helfen.

Seit Jahren steigen die Zahlen der langwierigen Erkrankungen

Der Psychreport zeigt, wie sich in Sachsen bei den psychischen Erkrankungen 2020 das Verhältnis von kurzen zu langwierigen Fällen verändert hat: Bei kurzen Krankschreibungen bis zu drei Tagen gab es einen Rückgang um 28 Prozent, bei Arbeitsunfähigkeiten mit einer Dauer von vier bis sieben Tagen um elf Prozent. Krankheitsfälle mit Ausfallzeiten von mehr als zwei Wochen nahmen hingegen insgesamt um ein Viertel zu.

Für den Psychreport hat das Berliner IGES Institut Daten von knapp 54.000 sächsischen DAK-versicherten Beschäftigten ausgewertet. In die Analyse sind alle Fehlzeiten eingeflossen, für die eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung mit einer psychischen Diagnose an die Kasse geschickt wurde. Ein zentrales Ergebnis: Die Anzahl der Fehltage ist so hoch wie noch nie und die durchschnittliche Dauer eines psychischen Krankheitsfalls erreicht mit 34 Tagen je Krankheitsfall ein Rekordniveau.

Unter Pandemie-Bedingungen stieg in Sachsen die Zahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen bei Frauen um elf Prozent, bei Männern um 14 Prozent. Dennoch gab es 2020 bei den Frauen mit rund 390 Fehltagen je 100 Versicherte mehr als doppelt so viele Fehltage durch Seelenleiden als bei Männern (183 Tage je 100 Versicherte). Auch in der Langzeitbetrachtung verzeichnen Frauen im Freistaat seit dem Jahr 2010 durchgehend deutlich mehr psychisch bedingte Fehltage als Männer.

Depressionen nahmen 2020 um 13 Prozent zu und verursachten mit 98 Fehltagen je 100 Versicherte weiterhin mit Abstand die meisten Fehltage innerhalb der Krankheitsgruppe der psychischen Erkrankungen. Die am zweithäufigsten gestellte Einzeldiagnose waren Anpassungsstörungen. Damit ist eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis gemeint. Auf diese entfielen 78 Ausfalltage je 100 Versicherte, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Alkoholbedingte psychische Störungen spielen im Arbeitsunfähigkeitsgeschehen zwar eine untergeordnete Rolle, sie stiegen jedoch um 40 Prozent von 7,2 auf 10,1 Krankheitstage je 100 Versicherte.

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