In der Nacht vom 30. Oktober auf den 1. November zeigte sich am Leipziger Flughafen, was die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di so auf die Beine bekommt, wenn die Belegschaft mitzieht und die AG Deutsche Post heißt. Knapp 1.000 Mitarbeiter der DHL Hub Leipzig GmbH setzten einen so ausdrucksstarken Warnstreik vor die Türen des Arbeitgebers, dass die Einigung auf 4,7 Prozent mehr Lohn bereits ab dem 1. Dezember 2014 wenige Tage danach stand. Kein Vergleich zu den fast schon hilflosen Bemühungen der Gewerkschaft bei Amazon Leipzig. Tagelange Streiks, prominente Streikhilfe von der namhaften polnischen NSZZ Solidarno?? und nichts geschieht auf Seiten von Amazon. Denn die Firma hat keinen Grund zu reagieren.

Gegenüber der Presse zeigt ver.di nach wie vor großen Enthusiasmus. Am gestrigen Mittwoch, 17. Dezember hieß es “Streik bei Amazon in Leipzig wird bis Samstag fortgesetzt”, denn “Weihnachten steht vor der Tür – wir auch!”, so ver.di Streikleiter Thomas Schneider. Man sieht offenbar einen Hebel, mit welchem man die besseren Arbeitsbedingungen erreichen und unter Anderem den “Pausenklau” bekämpfen wolle. Und dabei halte die “Motivation der Streikenden (…) unvermindert an”. Dass muss sie wohl auch, denn in diesem Arbeitskampf sind die Karten von Amazon in Leipzig bestens und die der Gewerkschaft derzeit sehr schlecht.

Dies zumindest berichteten in den vergangenen Tagen verschiedene Mitarbeiter von Amazon gegenüber L-IZ.de schriftlich. Wörtlich heißt es dabei unter Anderem nach dem Streikauftakt: “Von den Aushilfskräften streikt keiner und von den Stammkräften kaum einer. Die Infoblätter wollte kaum einer haben. Im Pausenraum waren sie sogar ausgelegt. Verdi muss heute zeitig verschwunden sein.”

Denn wo laut Angaben der Gewerkschaft insgesamt an den Amazon-Standorten Bad Hersfeld, Werne, Rheinberg Graben, Koblenz bei Ausständen inklusive Leipzig 2.600 Beteiligte gezählt würden, ist es in der Messestadt ein Häuflein Streikender. Dass Amazon schlicht kein Problem mit dem Leipziger Streik selbst jetzt, kurz vor Weihnachten zu haben scheint, zeigen jedoch auch andere Berichte aus der Versandzentrale. “Die Leute werden nach Hause geschickt, nicht mal alle angeworbenen Saisonmitarbeiter haben jeden Tag zu tun, wie sie anfangs dachten.” Offenbar hat man ausreichend Ersatz gefunden und braucht nicht einmal diesen, trotz Streiks vor der eigenen Tür.
Denn der Besuch der Partnergewerkschaft Solidarno?? aus dem polnischen Poznan am 17. Dezember brachte neben der Unterstützung für Verdi auch noch eine bittere Wahrheit mit nach Leipzig. Im polnischen Versandzentrum brummt der Laden längst ganz anders als in Leipzig, Amazon dürfte einige Versandaktivitäten verlagert haben. Das wird Verdi natürlich wissen, wenn es zum Besuch heißt: “Der Besuch soll der Geschäftsführung von Amazon zeigen, dass die Verlagerung von Aufträgen in die Nachbarländer nicht ohne Gegenwehr realisierbar ist. Unsere Verbindungen zu den polnischen Kollegen sind in den letzten Wochen ausgeweitet worden”, so Thomas Schneider, Streikleiter in Leipzig.

Keine schwere Entscheidung für den globalen Riesen, sind die Löhne in Polen nach wie vor so gering, dass sich offenbar auch längere Lieferwege nach Deutschland hinein lohnen. Von 500 bis 600 Euro im Monat gehen derzeit die Gerüchte unter den Leipziger Mitarbeitern. In Leipzig erhalten die Aushilfen hingegen 9,75 ? brutto die Stunde, was bei 40 Stunden pro Woche und vier Wochen am Stück 1.604,40 ? pro Monat macht. Die “Stammkräfte” sollen mehr als 10 und bis zu 12 Euro pro Stunde und weitere Zusatzoptionen erhalten.

Was zu einer gewissen Verschiebung der Wahrnehmung des Leipziger Streikgeschehens bei den Saisonkräften führt: “Manche von denen sind sogar froh, dass einige Festangestellte streiken, dann haben sie wenigstens Arbeit in der Zeit.”

Es zeigt sich in Leipzig, dass das Teilen und Herrschen seitens Amazon derzeit gut aufgeht. Den “Pausenklau”, gegen welchen Ver.di gern vorgehen möchte, scheint es zu geben, wenn eine L-IZ – Quelle berichtet: “Durch die langen Wege bis zur Kantine ist die Zeit knapp und die Leute flitzen im olympischen Tempo zu den Pausenräumen und zur Raucherecke.” Interessiert natürlich kaum, wenn man Angst haben muss, mit einem Streik einfach nicht mehr gebraucht zu werden. Ebenso kann es sich Amazon leisten, in den alljährlichen Aufrufen so auch 2014 neben einem betont guten Verhältnis zur örtlichen Agentur für Arbeit wieder zu behaupten, es bestünde natürlich die Möglichkeit über eine saisonale Mitarbeit dauerhaft in Lohn und Brot zu kommen.

Die L-IZ-Informationen dazu von einer Saisonkraft: Die Behauptung, man würde in Leipzig “… auch Langzeitarbeitslosen eine Möglichkeit zum Wiedereinstieg in die Arbeitswelt verschaffen, ist gelogen, da uns bei Einstellung gleich gesagt wurde, dass eine Übernahme der Saisonkräfte (auch in Teilen) nicht geplant ist.”

Ein rascher Erfolg der Gewerkschaft, wie er noch bei der DHL zu beobachten war, ist offensichtlich in Leipzig derzeit außer Reichweite. So klingt es auf den hiesigen Standort bezogen reichlich optimistisch, wenn Streikleiter Thomas Schneider verkündet: “Wenn sich Amazon zum Thema Tarifverhandlungen und Tarifvertrag nicht bewegt, werden sich immer mehr Beschäftigte vor die Werkstore bewegen und mitstreiken”.

In Leipzig scheinen ausreichend Menschen vorhanden, welche bereit sind, zu den von Amazon angebotenen Konditionen zur Arbeit zu erscheinen. In den insgesamt bereits drei Versandzentren in Wroclaw (2 Stück) und Poznan hat Amazon rechtzeitig genügend Kapazitäten aufgebaut, um Schwankungen abfangen zu können. Dass der Konzern die in Deutschland erwirtschafteten Gewinne nur unzureichend vor Ort versteuert, ist für die Mitarbeiter fern und Ver.di rennt der Globalisierung hinterher. Auch wenn es die Saisonarbeiter durchaus interessieren müsste, dass ihre Transferzahlungen, welche sie nach dem Ende der Weihnachtssaison wieder erhalten werden, dann eben von anderen Unternehmen kommen müssen.

Eine Frage, die jedoch nicht am Eingangstor vom Leipziger Versandzentrum sondern allzulang in Brüssel (nicht) diskutiert wurde.

Zum Artikel im Handelsblatt vom 15. Dezember 2014
Amazon-Pakete kommen jetzt aus Polen

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