Vorbildhaft nannte die sächsische Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange für Wissenschaft und Kunst das breite Sprachangebot der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Mit den neuen arabischsprachigen Angeboten, die die Gedenkstätte gestern erstmals öffentlich vorstellte, leiste sie Pionierarbeit. Ab sofort stehen die Angebote zur Nutzung bereit. Ziel ist es nun, aktiv mit den Angeboten zu arbeiten.

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ vermittelt an authentischen Orten die Geschichte von Repression und Unterdrückung in der DDR am Beispiel der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit sowie von der Selbstbefreiung der SED-Diktatur durch die Friedliche Revolution. Um diese Inhalte auch den Flüchtlingen und Asylsuchenden zu vermitteln, entwickelte sie arabischsprachige Angebote. Dazu gehören der Audio-Guide in arabischer Sprache für die Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“, die arabischsprachige App „Leipzig ‘89“ als Multimedia-Guide zur Stelen-Ausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“ im Leipziger Innenstadtbereich und eine deutsch-arabischsprachige Präsentation der Open-Air-Ausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“ mit 20 Stelen im Leipziger Stadtraum.

Ermöglicht wurde die Erarbeitung der Angebote durch eine Projektförderung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Im Rahmen des vom Freistaat Sachsen initiierten Maßnahmenpaketes konnte damit auf die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik reagiert und im Bereich der Politischen Bildungsarbeit entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

Sprachbarriere senken, den Flüchtlingen eine Community bieten

Bei der Vorstellung der neuen Angebote sagte die Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Staatsministern Dr. Eva-Maria Stange: „Das Museum in der ‚Runden Ecke‘ ist mit seinem breiten Sprachangebot für Besucher vorbildhaft für die Gedenkstätten in Sachsen.“ Es sei ein erster notwendiger Schritt, die Sprachbarrieren zu senken. Dies ermöglicht den Flüchtlingen gesellschaftliche Teilhabe und Zugang zu kulturellen Angeboten. „Viele Flüchtlinge verlassen Sachsen wieder, weil sie hier keine Sprachcommunity finden. Es ist deshalb wichtig, dabei zu helfen, diese Communities mit aufbauen, damit die Flüchtlinge hier bleiben und leben wollen“, sagt Stange.

Die gesellschaftliche Teilhabe schließe auch die Erinnerungskultur ein, so die Ministerin weiter: „Wir müssen alle Instrumente nutzen, damit Integration gelingt. Dazu gehört, dass die zu uns Gekommenen an authentischen Orten hier in Leipzig Wissenswertes über die Friedliche Revolution, aber auch den einstigen Repressionsapparat der Staatssicherheit erfahren.“

Ziel: Geschichts- und Wertevermittlung sowie Dialog

Mit den neuen Angeboten will die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ aber nicht nur über die jüngste deutsche Geschichte aufklären, sondern auch über die aus der Überwindung der SED-Diktatur resultierenden und heute zentralen Werte unseres Zusammenlebens: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Zugleich soll mit den Angeboten der Blick für die Gefahren totalitärer Ideen und Systeme geschärft werden. Somit will die Gedenkstätte im Rahmen der politischen Bildungsarbeit mit Flüchtlingen zur Werte- und Geschichtsvermittlung und damit auch zur Integration beitragen.

Das wünscht sich auch Stange: „Ich würde mich freuen, wenn mit den arabischen Informationsangeboten aus dem sprachlichen Verstehen auch ein Dialog wird. Der ‚Herbst 1989‘ und der ‚Arabische Frühling‘ haben einige Parallelen, die es zu erkennen und zu diskutieren gilt. Das Bürgerkomitee Leipzig bietet mit seinem Angebot auch die Möglichkeit, politische Bildung auf der emotionalen Betroffenheit aufzubauen, die ein Besuch auslöst. Es ist wichtig, dass nicht nur die Geschichte des Herbstes 1989 gezeigt wird, sondern von dieser Grundlage aus auch zum Beispiel der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur oder das Wesen einer gewaltlosen gesellschaftlichen Veränderung vermittelt werden.“

Ein erster gezielter Erfahrungsaustausch mit Flüchtlingen selbst sollte hingegen vorerst nicht in der Öffentlichkeit, sondern in geschützten Räumen stattfinden. „Viele haben in ihren Herkunftsländern Krieg, diktatorische Willkür und Denunziation erfahren müssen und haben Angst, darüber zu sprechen“, sagte Sonja Brogiato, Leiterin des Flüchtlingsrates Leipzig e.V. Auch sei eine Angst, dass die im Heimatland verbliebenen Familienangehörigen durch eine öffentliche Stellungnahme Repressionen erleiden könnten. Es müssten deshalb erst vertrauensbildende Maßnahmen getroffen werden, bis ein Erfahrungsaustausch stattfinden könne.

„Viele Flüchtlinge wissen wenig über das Land“

Mit einigen syrischen Flüchtlingen besuchte Lilith Müller, Deutschlehrerin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, bereits die Gedenkstätte. „Leipzig ist ein sehr geschichtsträchtiger Ort, aber viele der Flüchtlinge wissen recht wenig über das Land bzw. die Stadt, in der sie leben“, sagte Müller. Während sie das Lehrbuch „Die Lerche aus Leipzig“ lasen, beschäftigten sie sich auch mit der örtlichen Geschichte. Die „Runde Ecke“ war dabei ein wichtiger Handlungsort, denn es ging um einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter.

Um mehr über Geschichte, Funktion und Arbeitsweise des DDR-Geheimdienstes zu erfahren, besuchten sie die Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“. „Es war eine ganz tolle Führung. Die Gruppenbegleiterin hat das sprachliche Niveau angepasst und zur DDR und Stasi sowohl Parallelen zu ihrer eigenen persönlichen Erfahrungen als auch zu den Geschehnissen in den Heimatländern der Flüchtlinge gezogen“, sagte Müller. Unter anderem hat die Stasi den syrischen Geheimdienst mit aufgebaut. Etwas, was auch viele Flüchtlinge nicht wissen. „Während des Rundgangs hat man in den Gesichtern der Kursteilnehmer gesehen, dass sie sehr mitnimmt, was sie dort gesehen und gehört haben“, so Müller weiter.

Friedliche Revolution als Vorbild

Interessant ist für die Flüchtlinge aber auch die Friedliche Revolution. „Es ist jedes Mal faszinierend, wie sich die Kraft der Bürgerschaft im Herbst 1989 entwickelt hat“, sagte Sonja Brogiato, Leiterin des Flüchtlingsrates und 1989 als Österreicherin eine Beobachterin des Geschehens. Weil viele Flüchtlinge ihre Heimat wiederaufbauen wollen, werde sie oft von Geflüchteten gefragt, was sie dafür von hier aus tun könnten. Ihre Antwort: „Beten und dokumentieren.“ Und sie fände es faszinierend, wenn die aus ihrer Sicht wichtigste Botschaft der Friedlichen Revolution „Keine Gewalt“ sich schlussendlich bspw. auf Damaskus übertragen ließe.

Ein Vorbild könnten aber auch die arabischsprachigen Angebote sein. Mit den neuen arabischsprachigen Angeboten leistete die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ Pionierarbeit – sowohl im Vergleich zu den übrigen Kultureinrichtungen in Leipzig als auch zu den Gedenkstätten. „Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es nirgendwo anders in diesem Bereich dezidiert arabischsprachige Angebote“, so Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer. Staatsministerin Stange könne sich vorstellen, dass die Angebote auch auf andere Gedenkstätten in Sachsen übertragen werden könnten. Wie die Befragung für den ersten Sachsenmonitor, der vor einigen Monaten veröffentlicht wurde, gezeigt hat, seien die Themen rund um Diktatur und Demokratieentwicklung nicht nur bei der nach 1989-geborenen Generation nicht mehr verankert, sondern auch bei jener, die die Friedliche Revolution erlebt hat. Stange schlussfolgert: „Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst möchte in Zukunft die politische Bildungsarbeit auch bei den Gedenkstätten weiter stärken.“

Die Informationsflyer und Faltblätter zu den neuen Angeboten in deutscher und arabischer Sprache finden sich unter www.runde-ecke-leipzig.de unter dem Menüpunkt „Arabische Angebote“.

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