Noch im Frühsommer sah es so aus, als hätte nur die Polizei in der Sächsischen Schweiz unberechtigt Datenlisten zu Corona-Infizierten bei den Gesundheitsämtern abgefragt. Doch wenn die Linke Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz erst einmal Verdacht geschöpft hat, bleibt sie dran. Und das Ergebnis ist so eindeutig wie diffus: In fast ganz Sachen kam es zu solchen unberechtigten Listenabrufen.

In der Sommerpause hatte die für Innenpolitik zuständige Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz mit einer Kleinen Anfrage aufgedeckt, dass sich die Polizei im Frühjahr Daten zu mit dem Corona-Virus infizierten Personen von mehreren Gesundheitsämtern beschafft hat. Damals waren es Vorkomnisse in der Sächsischen-Schweiz, die so publik wurden.

Aber nun stellt sich heraus: In Sachsen sind in noch größerem Umfang, als es bislang eingeräumt wurde, personenbezogene Informationen zu Corona-Infizierten und zu Menschen in Quarantäne an diverse Polizeidienststellen geflossen. Auf ihre neuerliche Kleine Anfrage (Drucksache 7/3550) hat Kerstin Köditz jetzt nämlich Antwort bekommen.

„Bisher war bekannt, dass das Landratsamt Sächsische-Schweiz Osterzgebirge im März und April entsprechende Listen an die Polizeidirektion Dresden und mehrere Reviere im Kreisgebiet sandte – ohne erkennbaren Sinn, ohne klare Rechtsgrundlage und selbst dann noch, als das Innenministerium die pauschale Übermittlung an die Polizei bereits ausdrücklich untersagt hatte. Das waren leider keine Einzelfälle, wie sich jetzt herausstellt“, zieht Kerstin Köditz eine erste Bilanz zu dem Chaos, das gerade im März und April auf einigen Kommunikationsebenen geherrscht haben muss.

„So übermittelte der Landkreis Görlitz vom 20. März bis zum 1. April sieben Mal Datensätze zu Quarantänefällen an die Polizeidirektion Görlitz. Dort hatte man die entsprechenden Listen im Rahmen der ,Aufgabenwahrnehmung‘ angefordert. Konkretere Angaben gibt es nicht, doch immerhin wurde diese zweifelhafte Praxis Anfang April gestoppt, die Daten gelöscht.“

Also auch die Lausitz. Aber auch im sächsischen Süden meinten einige Polizeidienststellen, dass ihnen die Corona-Listen zustehen: „Drastischer ging es im Kreis Zwickau zu. Dort übermittelte das Landratsamt ab dem 24. März täglich eine Auflistung von Quarantänefällen an die Polizei, und zwar ,auf ausdrückliche Anforderung‘ der Zwickauer Polizeidirektion. Erst Mitte April und damit viel zu spät war mit diesen pauschalen Datenlieferungen Schluss“, so Kerstin Köditz zur nun etwas umfassenderen Auskunft des Innenministeriums.

Als besonders gravierend im Fall Zwickau schätzt sie ein: „Die sensiblen Informationen wurden bei der Polizeidirektion noch wochenlang aufbewahrt und erst am 12. Mai ,vollumfänglich‘ gelöscht. Das hätte früher auffallen können und müssen. Doch der zuständige Datenschutzbeauftragte konnte ,aufgrund von länger andauernder Abwesenheit‘ nicht konsultiert werden, behauptet der Landkreis. Unprofessioneller geht es kaum!“

Und Leipzig? Auch hier gab es anfangs Irritationen, so Köditz: „Auch die Stadt Leipzig übermittelte am 1. April eine Liste mit Quarantänefällen an die Polizeidirektion Leipzig. Dort handelte man aber korrekt, rührte die Liste gar nicht erst an, sondern vernichtete sie sofort. Offenbar wollte das städtische Ordnungsamt polizeiliche Unterstützung bei Quarantänekontrollen bekommen, genau dafür schuf das zuständige Gesundheitsamt dann aber ein eigenes Team.“

So, wie es eigentlich im Pandemie-Fall sogar vorgesehen war.

Erst recht konfus sei die Lage in der Stadt Chemnitz gewesen, so Köditz: „Eine ,direkte Datenübertragung‘ an die Polizei habe es nicht gegeben, sagt die Stadt. Doch das Innenministerium behauptet das glatte Gegenteil und berichtet, dass die Stadt am 27. März ,eine Liste mit Infizierten elektronisch hinterlegt‘ habe. Die Polizei habe die Liste jedoch nicht genutzt, weil das untersagt wurde.“

Besser lief es wohl in den Landkreisen Bautzen und dem Vogtlandkreis. Dort wurden Daten zu Infizierten und zu Quarantänefällen nicht pauschal übermittelt, sondern nur in begründeten Einzelfällen auch der Polizei zugänglich gemacht. Und zumindest in den Kreisen Meißen, Mittelsachsen, Nordsachsen, im Landkreis Leipzig und im Erzgebirgskreis wurden nach Auskunft des Sozialministeriums gar keine Daten an die Polizei gereicht.

„So sollte es normalerweise auch sein“, sagt Köditz. „Eine vollständige Übersicht gibt es allerdings immer noch nicht. ,Seitens der Stadt Dresden erfolgte keine Zuarbeit‘, teilt die Sozialministerin mit. Ausgerechnet die Landeshauptstadt bleibt damit ein weißer Fleck auf der Datenschutz-Landkarte. Ich gehe – wohlwollend – davon aus, dass die Stadt Dresden ihre Zuarbeit unverzüglich nachholen wird. Mich macht das stutzig, denn schon bisher waren meine Anfragen zu dem Thema nur unvollständig und teilweise falsch beantwortet worden.“

Die Polizeidirektion Dresden spielte ja schon in der Anfrage zur Sächsischen Schweiz eine zentrale Rolle. Kerstin Köditz: „So war ursprünglich (Drucksache 7/2257) nur davon die Rede gewesen, dass der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Datensätze ,ohne Anforderung‘ an die Polizeidirektion Dresden übermittelt habe. Das klang wie eine Panne. Dann stellte sich heraus, dass die Polizei diese Daten in Wirklichkeit aktiv ,erbeten‘ hatte und es weitere Übermittlungen gab.“

Mittwoch, der 23. September 2020: Coronazahlen in Sachsen überschreiten rote Linien

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