Seit die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen am 18. April ihren Antrag gegen das Senkrechtparken in der Pfaffendorfer Straße eingebracht hat, brodelt in Leipzig wieder einmal Volkes Seele. Es gibt kein anderes Thema, an dem auch gestandene Stadträte so mit Lust beweisen, dass sie von einer nachhaltigen Verkehrspolitik in Leipzig gar nichts halten. Für sie ist das Auto ein Prinzip. Etwa für Siegfried Schlegel, Sprecher für Stadtentwicklung der Linksfraktion.

“Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es einzelnen nicht um die Beförderung der ökologischer Verkehrsarten in der Stadt geht, sondern schlicht weg um Rechthaberei und Mobbing gegen Kfz-Besitzer, von denen nicht wenige arbeitsbedingt oder (aus. d. Red.) Behinderungsgründen auf den PKW angewiesen sind”, brummt er am 4. Mai. Und ist der felsenfesten Überzeugung: “Eine Gehwegbreite von 2,4 m ist ausreichend, da selbst bei zwei nebeneinander laufenden Passanten eine dritter vorbeilaufen kann.”

Irgendwie weiß er, dass da etwas nicht so ganz läuft, wie es die diversen Beschlüsse des Stadtrates zur Förderung des Umweltverbundes vorsehen. Aber es passiert etwas Seltsames, wenn die Sprecher für Rad- und Fußverkehr in Leipzig tatsächlich einfordern, dass die Beschlüsse auch angewandt werden. Wie der VCD am 2. Mai.

Siegfried Schlegel: “Da es in einer Stadt mit bestehenden Straßen und Freiräumen bei der Erneuerung der Straßen mit dem Ziel der Bevorrechtigung des ÖPNV und sicherer Bedingungen für den Radverkehr ohne Kompromisse nicht abgehen wird, ist mehr denn je eine aktive Beteiligung der unmittelbar betroffenen Anwohner gefragt, da sich ihre Vorstellungen oft nicht mit denen einzelner eingeengt orientierter Interessengruppen übereinstimmen. Vor den Stadträten steht die Aufgabe, in ihren Entscheidungen neben den Interessen der unmittelbar Betroffenen, ebenso die einer funktionierenden Gesamtstadt im Auge zu haben. Genau dies erfolgt auch in dem betreffenden Straßenabschnitt der Pfaffendorfer Straße, wo ein separierter Radweg angelegt wird und Kfz-Verkehr nur einspurig geführt wird.”Das freilich ist nicht der Diskussionspunkt. Denn zum Streitpunkt wurde der Plan der Stadtverwaltung, das in der Vergangenheit “wilde Parken” auf den 7,10 Meter breiten Fußwegen zwischen Gneisenaustraße und Nordplatz durch den Bau von Senkrechtparkmöglichkeiten zu legitimieren. Fünf Meter vom Fußweg gehen dadurch verloren. Es bleiben nicht 2,40 Meter übrig, wie Siegfried Schlegel meint, sondern nur noch 2,10 Meter. Für schlanke Spaziergänger wohl nicht das Problem.

Doch wieder einmal – und das wurde ja auch in der Karl-Liebknecht-Straße gerade säuberlich durchexerziert – ein bewusster Verstoß gegen das Baurecht. Denn auch Fußwege haben – genauso wie Fahrbahnen und Radwege – in Deutschland gesetzliche Mindestbreiten.

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Roland Quester, hat im Zusammenhang mit dem Antrag seiner Fraktion extra die Zahlen aus dem gültigen Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum der Stadt Leipzig herausgesucht: “Im Seitenraum sollte ein mindestens 2,50 m, in Geschäftsstraßen 3,50 m breites von Hindernissen und anderen Funktionsbelegungen ungestörtes Band für den Fußgängerverkehr zur Verfügung stehen; dieses Band benötigt auf beiden Seiten Sicherheitsabstände von mindestens 0,50 m zu Fassaden, Einfriedungen, Bäumen, Radwegen, Fahrbahnen, Stellplätzen und anderen Funktionsbereichen.”

Man sieht: Da hat man auch im Umbauprojekt “Karli” heftig gesündigt. Und zwar nicht, weil Straßenbahn und Rad zu viel Platz brauchen, sondern weil unbedingt neue Parkplätze in die Straße integriert werden müssen.

Es ist wie im Märchen vom Hasen und dem Igel: Bevor der Hase einen ordentlichen Fußweg bekommt, hat der Igel sein Auto hingestellt.Das verärgert nicht nur die Grünen, die gegen das Parken an sich hier wohl nichts hätten, nur gegen die Schaffung von möglichst viel Parkraum durch ein keineswegs zwingendes Senkrechtparken.

“Die Vorlage selbst beschäftigt sich gar nicht erst mit dieser Frage und liefert keine Begründung, warum an diesem einen Block der ansonsten durchgehende städtebauliche Entwurf verlassen und der Gehweg nun offiziell zu Stellplätzen umgebaut werden soll. Wie sieht es also vor Ort aus? Können die 15 bis 20 PKW-Stellplätze, die hier verbleiben sollen, auch an anderer Stelle genutzt werden?”, fragt Quester. Und stellt fest: “Es gibt vor Ort keinen Parkdruck, der den anderer Gründerzeitquartiere in Leipzig übersteigt – insbesondere Schleußig und das Waldstraßenviertel sind dichter bebaut und weisen einen deutlich höheren Parkdruck auf. Bei einer Begehung (Mittwoch 15.2.12, 20 Uhr) wurden vom Verfasser allein in den direkt angrenzenden Straßen (Nordplatz, Gneisenaustraße) 30 freie (ausgewiesene) Stellplätze gezählt.”

Mal ganz abgesehen von der Frage, wie lange der Parkdruck in Leipzig noch steigt und wann die steigenden Benzinpreise auch bei den politisch Verantwortlichen die Erkenntnis reifen lassen, dass sie ihre komplette Verkehrspolitik auf den Umweltverbund umdenken müssen, damit die Leipziger tatsächlich auf das Automobil verzichten können.

Das forderte auch die Leipziger Ortsgruppe des Verkehrsclub Deutschland mit ihrer Wortmeldung am 2. Mai ein. “Bereits der Kompromiss zur Karl-Liebknecht-Straße enthält aus unserer Sicht zu viele Stellplätze, welche die Fußwege schmaler machen und beim Ein- und Ausparken zudem zu Konflikten mit dem Radverkehr führen können”, erklärte Kerstin Dittrich von der VCD-Ortsgruppe Leipzig.

Die nun bereits angelaufene Umwandlung von Fußwegflächen in Parkplätze zwischen Gneisenaustraße und Nordplatz in der Pfaffendorfer Straße erscheint aus Sicht des VCD besonders unverständlich: “Für Zoobesucher wurde gerade ein großes zusätzliches Parkhaus geschaffen, auch ansonsten ist der Parkdruck in der Nordvorstadt nicht so hoch, dass er diese Maßnahme rechtfertigen würde.”

Und sie betont noch einmal, dass es hier – anders als von Siegfried Schlegel unterstellt – nicht “um Rechthaberei und Mobbing gegen Kfz-Besitzer” geht, sondern um die vom Stadtrat beschlossenen Umweltqualitätsziele der Stadt Leipzig, die zum Inhalt haben, im Stadtverkehr hohe Anteile des Fuß- und Radverkehrs zu erreichen und die Rolle des Pkw-Verkehrs für die innerstädtische Mobilität zu verringern. Diesen Zielen läuft aus Sicht des VCD jede Planung entgegen, die den Fußgängern Verkehrsflächen entzieht und sie den Pkw zur Verfügung stellt.

www.vcd.org/elbe-saale/

Der Grünen-Antrag: www.gruene-fraktion-leipzig.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar