In der Windmühlenstraße ist das große Packen im Gang. Nicht nur, wer den Baumaßnahmen weichen muss, packt seine Sachen. Viele Mieter verlassen den einstigen Wohnblock der LWB an der Windmühlenstraße auch, weil sie sich die nun fälligen höheren Mieten nicht mehr leisten können. Der Wohnblock wird - wie Linke-Stadträtin Skadi Jennicke kritisiert - tatsächlich zu einem Modellfall der Gentrifizierung in Leipzig.

“Im Dezember letzten Jahres hat Baudezernent Martin zur Nedden den Stadtrat auf meine Nachfrage darüber informiert, dass die Baugenehmigung für die Sanierung und den Umbau der Windmühlen-/Brüderstraße bereits erteilt wurde. Und zwar bevor der Antrag der Linken zur Fortführung des B-Plan-Verfahrens beschlossen werden konnte. Die Entrüstung damals war groß”, stellt die Stadträtin fest.

Im Dezember ging es eigentlich noch um die Vorbereitung eines geregelten Bebauungsplan-Verfahrens, bei dem sich auch die Fraktionen ein fundiertes Bild der Sachlage hätten machen können. Doch mit der Baugenehmigung für Casa Concept griff das Baudezernat einem geregelten B-Planverfahren vor, kritisierte Jennicke damals.
“Damals versprach der Investor Stefan Assmann den Erhalt der Mieterstruktur, wollte sogenannte Kultmieter halten und in Gesprächen die Vorteile der Sanierung für die Mieter vermitteln”, bilanziert Dr. Skadi Jennicke nun acht Monate später. “Dieser Prozess ist gründlich fehlgeschlagen, was nicht an den Mietern liegt. Denn deren Zahl schwindet spürbar.”

Fast die Hälfte der Mieter sei inzwischen ausgezogen, berichten Anwohner, weil sie die Beeinträchtigungen durch das Baugeschehen nicht hinnehmen wollten, mehr noch aber, weil sie die erhöhten Mieten nicht tragen können. Jennicke: “Vor Sanierungsbeginn hat Casa Concept die Mieten um bis zu 100 % angehoben. Offiziell eine Anpassung an den Mietspiegel, praktisch wohl aber kaum im Interesse des Erhalts der Mieterstruktur. Meine Anfrage zum Stand der Umsetzung des Bauvorhabens und zur Veränderung der Mieterstruktur an Stefan Assmann blieb bislang unbeantwortet.”

Die Härte der Veränderung bekamen zwangsläufig Leute zu spüren, die oft nicht ohne Grund in dem bislang unsanierten Wohnkomplex lebten. Wer in Leipzig kreativ sein will, muss damit rechnen, dass er keine komfortablen Einnahmen hat. Der freut sich über die bislang noch vorhandenen Nischen, in denen er oder sie ihre Pläne und Vorhaben ohne den Kostendruck eines gehobenen Stadtquartiers umsetzen können. Doch damit ist es nun wohl im zentrumsnahen Bereich vorbei. Wohl auch mit dem Willen der Stadtverwaltung, die ein durchaus nicht immer klares Spiel spielt. Mal hält man sich Optionen offen – wie bei der Bebauung des Wilhelm-Leuschner-Platzes, mal unterlässt man die simpelsten Voruntersuchungen zu Bedarf und Verkehrsaufkommen – wie beim geplanten Parkhaus in der Thomasiusstraße.

Eine nachvollziehbare Entwicklungsstrategie für die Vorstädte gibt es zwar nicht – aber für Investoren gilt amtlicherseits fast jederzeit “Freie Fahrt”.

“Dabei agiert Assmann rege: mindestens fünf Mietparteien wurden jüngst mit einer Klage von Casa Concept überzogen, weil sie in Widerspruch gegen die angekündigten Sanierungsmaßnahmen und damit verbundene Mieterhöhungen gegangen sind”, resümiert Jennicke. “Eine Verhandlung fand am 28. Juni stand, sie endete mit einem Vergleich. Das bedeutet im Klartext: die beklagten Mieter ziehen aus. Für Assmann: ein Problem weniger. Ziel erreicht. Für Leipzig bedeutet es: ein sozial integrativer Mikrokosmos von jungen Familien und alteingesessenen Mietern mit großer Bereitschaft zum soziokulturellen Engagement, ansässiger Kultur- und Kreativwirtschaft ist Geschichte.”

Ihre Bilanz nach einem halben Jahr: “Unterm Strich zeigt der jetzige Verlauf des Bauvorhabens in der Windmühlenstraße/Brüderstraße, dass vollmundige Versprechen privater Investoren wenig wert sind und es fahrlässig ist, Grundstücke in lukrativer Lage ohne Auflagen und ohne Rücksicht auf die Mieterstruktur zu veräußern. Auch die Stadtverwaltung, namentlich Baubürgermeister zur Nedden, muss sich fragen lassen, ob er künftig weiter einseitig Investoreninteressen unterstützen und die Leipziger Bevölkerung vor den Kopf stoßen möchte. Für die Fraktion Die Linke sind die Vorgänge im Kiez ein Lehrstück, und wir werden über den Sommer politische Aktivitäten vorbereiten, um solche Verdrängungsprozesse künftig stärker zu verhindern.”

Die Pressemitteilung vom 14. Dezember 2011:
www.linksfraktion-leipzig.de/nc/presse/aktuell/detail/browse/13/zurueck/presse-20/artikel/baudezernent-martin-zur-nedden-brueskiert-buerger-und-stadtrat

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