Am Anfang war Wüste und Leere, ein verbrannter Ponywagen, Kadaver auf der Brachfläche. Die Josephstraße in Lindenau war ein "Schwarzes Loch" in der Stadtentwicklung, wie es Karsten Gerkens, Leiter des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW), ausdrückt. So war das 2003. Noch. Zehn Jahre später ist die Josephstraße fast nicht wiederzuerkennen.

Am Montag, 24. Juni, wurde der dritte Bauabschnitt der Straßenerneuerung feierlich übergeben. 500 Meter gepflasterte verkehrsberuhigte Zone. Keine Spielstraße, wie es sich Christina Weiß, Vorsitzende des Stadtteilvereins Lindenau, mal gewünscht hat. Sie kam 2003 in diese seinerzeit völlig trostlose Ecke Lindenaus – auf der Suche nach neuen Flächen für Nachbarschaftsgärten. Ein solches Projekt gab es damals schon in der Rossmarktstraße – und die Passanten waren beeindruckt. Das wollten sie auch.

Wenn es in der Josephstaße etwas gab, dann waren das Brachflächen. Platz genug für wilde Nachbarschaftsgärten. Aber das hätte die alte Straße nicht wirklich zum Leben erweckt, wenn hier nicht das passiert wäre, was eine Stadt tatsächlich zum Leben erweckt: ein Klumpungsprozess. Immobilieneigentümer, die einer Zwischennutzung wie den Nachbarschaftsgärten zustimmen, erste Pioniere, die den Raum mit Leben erfüllen – darunter mittlerweile ein echtes Urgestein, das Radhaus mit seiner Integrationsarbeit für benachteiligte Jugendliche. Dazu eine Stadt, die durchaus sieht, dass ihr all ihre Fördergebiete nichts nützen, wenn sie nicht Akteure vor Ort findet, die sich einbringen.Denn sowohl im Osten wie im Westen Leipzigs hat das ASW sehr schnell gemerkt, dass öffentliche Fördergelder und teure Aufwertungen von Straßen und Plätzen zwar das äußere Bild eines Stadtteils verändern. Aber erst wenn unterschiedliche Akteure auch selbst investieren – und sei es auch nur Schweiß und Zeit, mausert sich ein Transit-Zustand zu etwas Neuem, Tragfähigen.

Zehn Jahre sind für so einen Prozess nur auf den ersten Blick eine lange Zeit. Aus den ersten Nachbarschaftsgärtnern wurden Nachbarschaftsmieter, bald erwarben einige auch eines der alten, leer stehenden Häuser. Auch das Projekt Haushälter wurde hier geboren und hat sich im Haushalten e.V. inzwischen institutionalisiert. Mit jedem Jahr bekam das Projekt mehr Farbe und mehr Inhalt. In der Josephstraße 7 entstand eine Gedenkstätte an die einst von den Nazis ermordeten Mitbürger. Und dann beschloss der Buchkinder e.V., der bis dahin im Leipziger Osten heimisch war, auch einen Buchkindergarten zu gründen. Und zwar in der Josephstraße. Gerkens nennt es eine Initialzündung.2011 ging die Stadt Leipzig daran, die ramponierte Straße stückweise zu erneuern. Die Planungen dazu begannen 2008. Und auf den Brachen entstanden neue Häuser – Stadthäuser. Immer mehr Akteure entdeckten die Josephstraße als ihren Lebensort. “Aus einem großen Erwachsenenspielplatz wurde ein neuer Lebensraum”, beschreibt Christina Weiß vom Stadtteilverein Lindenau das Erreichte. Bei der Gestaltung des Straßenraumes durften die Anwohner mitreden, wünschten sich mehr Grün und Sitzmöglichkeiten. Aber das Verkehrs- und Tiefbauamt wollte die von der EU bereitgestellten Fördergelder nicht überziehen – 855.000 Euro kostete der 3. Bauabschnitt, 75 Prozent davon von der EU. Teuer wäre ein Eingriff ins Erdreich gewesen, wo viele Versorgungsleitungen liegen, die hätten umverlegt werden müssen, sagt Edeltraut Höfer, die Leiterin des Amtes.Also gab’s Bäume in Töpfen – gewaltige Terrakotta-Töpfe mit Bäumen drin. Oder Büschen. Die Anwohner haben sich verpflichtet, sie fleißig zu pflegen und zu gießen.

8.000 Quadratmeter sind jetzt wiederbelebt worden. Die Buchkindergartenkinder singen zur Einweihung “Wer will fleißige Handwerker seh’n”. Die Handwerker sind fort. Die Straße ist fertig. Und gefällt trotzdem nicht allen. Schon sind Kübel und Wände mit Protest bemalt. Und ein große Transparent flattert über der Straße: Wird Lindenau nun zum Disneyland? – Aber wer das hier verteufelte Prestigeprojekt sucht, sieht eigentlich nur den Buchkindergarten, dessen Außengelände noch immer nicht fertig ist. Auch hier hat ein langer Winter die Bauarbeiten aufgehalten.

Im Grunde ist hier das Mögliche getan. Auf jeden Euro, den die öffentliche Hand investiert hat, kamen zehn weitere von privaten Investoren. Demnächst eröffnen die Buchkinder ihre Werkstatt gleich um die Ecke in der Alten Post. Lindenau belebt sich zusehends. Auch der Stadtteilverein hat seine Aktivitäten schon verlagert, versucht jetzt die einstige Geschäftsstraße Georg-Schwarz-Straße wieder zum Blühen zu bringen.

Eine ins Pflaster eingelassene Plakette erinnert jetzt an den Hauptgeldgeber – die EU, deren EFRE-Gelder in Leipzigs Fördergebieten schon einiges Gute in Gang gesetzt haben. Auch wenn die Straße verkehrsberuhigt ist, gibt es einen Gehweg, gepflastert aus Grauwacke, wie Edeltraut Höfer extra betont. Damit die Lindenauer wissen, auf welchem Fels ihr Stadtteil liegt.

www.lindenauerstadtteilverein.de

www.nachbarschaftsgaerten.de

www.saegewerkatelier.de

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