Welche Straßenbahntrasse wird nun im neuen Flächennutzungsplan für Probstheida freigehalten? Das war die große Frage in den drei Arbeitsgruppen der Bürgerwerkstatt, die sich am Samstag, 16. November, in der Nikolaischule in Stötteritz zusammensetzten. Vier Trassen waren nach der Abstimmung zur Mittagsstunde noch übrig: A2, A3, B4 und B6. Doch jetzt ging es nicht mehr ums Abstimmen. Jetzt ging es um die Konsenssuche: Was macht für alle Beteiligten am meisten Sinn?

Eine Anbindung von der Prager Straße hier mit Linie 15 oder 2? Oder eine von Norden von der Endstelle der Linie 4 her? – Als am Abend nach der augenscheinlich sehr intensiven Werkstatt Stadtplaner Jochem Lunebach und Vertreter aus allen drei Arbeitsgruppen die Ergebnisse vorstellten, stand die kleine Überraschung schon fest. “Wir werden wohl künftig zwei Trassen im Flächennutzungsplan frei halten”, sagte Lunebach, “eine von Süden und eine von Norden.”

Der Grund für die Entscheidung war diesmal freilich kein Unentschieden in der Abstimmung über zwei Trassen, auch wenn zwei Trassenverläufe eindeutig den Vorzug der Werkstattteilnehmer erhielten. Der Grund war die von Bürgern und Fachleuten schnell herausgearbeitete Einsicht, dass man die Verkehrsprobleme in Probstheida nicht dadurch löst, dass man zur Lösung eines Problems eine Straßenbahn ins Viertel lotst. Denn ungelöst bleiben damit die Probleme des motorisierten Individualverkehrs, des Radverkehrs und – auch das wurde jetzt erstmals Thema – der zweiten Anfahrtstrecke für die Rettungsfahrzeuge. Denn aktuell kommen die alle über Strümpell- und Nieritzstraße zum Klinikum. Eine Straße für Rettungsfahrzeuge Richtung Stötteritz als Ausweichvariante fehlt.

Und wenn man schon Richtung Stötteritz denken muss, dann macht auch eine Straßenbahnverlängerung dort Sinn, erst recht, wenn man auch noch Holzhausen einbindet.

Dumm nur, dass kein Holzhausener sich zum Workshop angemeldet hatte.Aber selbst die Probstheidaer denken Holzhausen mit. Wenn es nach ihnen ginge, würde die Variante A3, die von der Endstelle der Linie 4 in Stötteritz erst nach Holzhausen fährt und dort zum Herzklinikum abschwenkt, gegenüber der A2 bevorzugt. Neben der Gleistrasse würde sowieso ein Arbeitsweg der LVB gebaut – der ließe sich dann auch als Weg für Rettungsfahrzeuge nutzen.

Und auch unter den B-Varianten gibt es einen klaren Trend, auch wenn die Variante B6 noch knapp im Rennen blieb. Die B6 würde die Straßenbahn gleich am Südfriedhof abbiegen lassen und durch den Freundschaftspark am Denkmal Etzoldtsche Sandgrube vorbei zum Klinikum und weiter zum Parkkrankenhaus führen. Dabei aber würde nicht nur der Freundschaftspark durchfahren, sondern auch eine funktionierende Kleingartensparte zerschnitten. Auch die Fahrzeit wäre etwas kürzer. Doch in der Diskussion blieb die Strecke wohl nur, weil es weniger direkt Betroffene gab.

Betroffenheit spielt nun einmal eine wesentliche Rolle bei dieser Diskussion. Trotzdem ist es überraschend, dass in allen drei Arbeitsgruppen der Trend dazu ging, die Variante B4 zu bevorzugen. Die biegt in die Franzosenallee ein, fährt geradeaus bis zur Feldstraße und dann im Verlauf der Feldstraße zum Herzklinikum. Hier sind vor allem die Bewohner der Franzosenallee betroffen, die zumeist schon vor Jahren hierher zogen in eine sonst sehr ruhige Straße. “Hier gibt es ein ganzes Bündel Herausforderungen, das geklärt werden muss, wenn wir hier eine Straßenbahn fahren lassen wollen”, sagt Lunebach. Da die Gleise direkt in der Straße liegen würden, käme kein lärmdämpfendes Rasengleis in Frage. Die LVB müssten sich also richtig Gedanken machen, wie sie hier eine lärmmindernde Fahrweise hinbekommen.

Aber deutlich wurde auch in allen drei Arbeitsgruppen, dass auch die Probstheidaer weit über die aktuelle Entwicklung hinausschauen. Denn wenn das Stadtgebiet Südost sich auch künftig so weiterentwickelt, muss auch die Verkehrsorganisation mitwachsen. Und da lag der Bürgervorschlag nahe, die Varianten A und B künftig zu verknüpfen und die Straßenbahn durchfahren zu lassen – von der Prager Straße nach Stötteritz, am Herzklinikum vorbei. Das Projekt wäre kein reiner Wurmfortsatz, sondern würde auf einmal Ortsteile übergreifend verbinden.Ein Vorschlag lautet jetzt also: Sowohl eine Trasse A als auch eine Trasse B freizuhalten. Die Werkstatt-Ergebnisse sollen jetzt auf einem zweiten Bürgerforum am 23. Januar vorgestellt und diskutiert werden. Mit den Ergebnissen dieses 2. Bürgerforums will das Stadtplanungsamt dann eine Beschlussvorlage erarbeiten, die möglichst noch vor der Kommunalwahl im Frühjahr 2014 in den Stadtrat kommt.

Und was wird da dann beschlossen?

Eben der nun mehrfach in seiner Beschlussfassung verschobene Flächennutzungsplan, in den dann die (beiden) frei zu haltenden Trassenverläufe für eine Straßenbahn eingetragen sind. Sowohl Herzklinikum als auch der Projektentwickler unterplan haben dann wieder Planungssicherheit.

“Aber eines wird nicht passieren”, sagt Lunebach, “dass wir dann gleich losbauen. Die Straßenbahn ist ein Projekt, dass man sich eher mittelfristig, noch eher langfristig denken muss. Die frühzeitige Bürgerbeteiligung war deshalb wichtig, damit auch die Betroffenen eingebunden sind und selbst mit Einfluss nehmen können auf die möglichen Planungen in der Zukunft.”

Und was ist mit der Gegenwart? Immerhin hatte auch das Herzklinikum am 17. Oktober schon deutlich gemacht, dass die Lage jetzt schon dramatisch ist. An Arbeitstagen fließen die Parkplätze am Klinikum über. Und wenn demnächst eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt wird, droht der “ruhende Verkehr” in die anliegenden Wohnstraße abgedrängt zu werden.

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Tatsächlich hat die Bürgerwerkstatt dazu einen Arbeitsauftrag erlassen, den Stadt und LVB auch angenommen haben. Noch vor Weihnachten, so Lunebach, soll es eine kleine Tagung mit allen beteiligten Fachämtern, Klinikum und LVB geben, die kurzfristige Lösungen finden soll. Überschrift: “Wie können wir den Bus attraktiver machen?” Denn bislang fährt der Bus 76 wochentags im 20-Minuten-Takt, am Wochenende aller 30 Minuten von der Straßenbahnhaltestelle in der Prager Straße zum Herzklinikum. Beim Schichtwechsel im Klinikum ist er rappelvoll, sonst gähnend leer.

Aber wenn der motorisierte Individualverkehr Probstheida nicht ersticken soll, muss der ÖPNV die Lösung sein. Ob kürzere Taktfrequenzen, andere Fahrrouten oder bessere Anschlüsse an die Straßenbahn die Lösung sind, soll die Tagung herausfinden. Auch das Thema “Jobticket” für die Klinikum-Mitarbeiter schwebt im Raum. Fest steht aber auch: Noch reichen die Besucherzahlen im Klinikum nicht aus, um die Investition in eine Straßenbahntrasse zu rechtfertigen. Da bleibt nur der Bus als Übergangsvariante oder – was ja auch noch offen ist – vielleicht sogar als echte Zukunftslösung, wenn man ihn denn attraktiver machen kann. Auch da steht das Thema “Einbindung in überörtliche Verkehrsnetze” im Raum, denn der Bus ist auch deshalb unattraktiv, weil auch er nur als Wurmfortsatz fährt. Kann man die Fahrroute der 76 erweitern? Oder kann man gar zwei Busse am Herzklinikum halten lassen? Die Teilnehmer der Werkstatt schlugen zum Beispiel auch eine Routenänderung der Linie 74 vor.

Das sind Aufgaben, die jetzt tatsächlich kurzfristig gelöst werden müssen, völlig unabhängig davon, ob in 20 Jahren eine Straßenbahntrasse gebaut wird oder nicht.

Alle diskutierten Straßenbahnvarianten als pdf zum Download.

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