Wenn Stadträume über Jahrzehnte brach liegen, dann entwickeln sich neue Biotope und Rückzugsräume für Flora und Fauna, richtige kleine Wäldchen zum Teil wie in der Windscheidstraße in Connewitz. Während im Ostteil des Geländes an der Gustav-Freytag-Straße jetzt zwei neue Kindertagesstätten gebaut werden, will der schwedische Immobilienkonzern NCC auf dem Westteil - gleich neben dem Parkplatz des Lidl-Supermarktes - 14 Einfamilienhäuser bauen.

Sechs sind nach Angaben von NCC schon verkauft, zwei reserviert. Stückpreis für den solventen Käufer: 368.900 bis 414.900 Euro. Mit Erschließungsstraße und Parkplätzen im Gelände. Das beansprucht natürlich alles Platz. Von dem in den letzten Jahren gewachsenen Wäldchen wird nicht viel über bleiben. Seit Mittwoch, 8. Oktober, sind die Holzfäller am Werk. Am Mittwochmorgen um 7.30 Uhr wurden die Bewohner der angrenzenden Häuser an der Gustav-Freytag-Straße vom Sägenkreischen aus dem Schlaf gescheucht – wenn sie denn noch im Schlaf lagen und nicht das schöne Grün hinterm Haus genossen, das einige von ihnen in den letzten Jahren auch intensiv beobachtet haben.Denn wenn so ein Wäldchen ungestört ist – und es war immer von einem Zaun abgesperrt, so dass es auch nie zum Tummelplatz von Hunden und ihrer Besitzer wurde -, entsteht eine vielfältige Lebensgemeinschaft. Der Milan ließ sich hier genauso gern mal nieder wie der Waldkauz, der hier augenscheinlich auch seinen Nachwuchs heranzog, ob die schlanken braunen Baumkletterer Marder oder Wiesel waren, konnte hingegen nicht so eindeutig ausgemacht werden. Die rote Waldameise wurde gesichtet, Fledermäuse wurden beobachtet, sogar ein Fuchs scheint hier seinen Bau gehabt zu haben. Es wurden Wiedehopf, Specht und Eichelhäher entdeckt. Und was den emsigen Igel betrifft, wurden mindestens zwölf von seiner Sorte gesehen.

Zur Zeit befinden sich noch 70 Bäume auf dem Grundstück bzw. wurden noch nicht gefällt. Doch was da am Mittwoch ohne Vorwarnung begann, war ja nur der Anfang. Augenscheinlich sind die Fällarbeiten bisher nicht abgeschlossen. Anhand der farbigen Markierungen stehe wohl zu befürchten, dass nur um die 20 Bäume vorerst erhalten bleiben, befürchtet ein Anwohner. Viel mehr sind in der Aufrisszeichnung von NCC auch nicht zu sehen. Wahrscheinlich werden die handtuchgroßen Grundstücke um die neuen Reihenhäuser eher das übliche kurzgemähte Rasengeviert mit Zierzwerg als ein von großen Bäumen überdachter Wohnplatz.Auf dem Grundstück steht auch noch ein bislang ungefällter Kirschbaum mit zwei Baumlöchern, die wahrscheinlich auch Nistplätze sind, sowie mindestens zwei große Höhlen, die als Rückzugsort für größere Tiere dienen. Für den Fuchs zum Beispiel, der hier gesichtet wurde. Verständlich, dass man nun in nächster Nachbarschaft besorgt ist, denn die Fällarbeiten machen jetzt sichtbar, was die große Werbetafel von NCC, die schon seit Monaten am Parkplatz zum Lidl-Markt zu sehen war, wo auch der Verkaufscontainer steht, verhieß: Hier wird Platz geschaffen für die Wohnvorstellungen moderner Großstädter, die sich so ein Leben im Eigenheim in nächster Nähe zum Connewitzer Kreuz, aber auch zum Auenwald gut vorstellen und auch leisten können.

“Als Bewohner des Leipziger Südens bin ich sehr besorgt um den Zustand der dort lebenden Tierarten und habe Zweifel, dass ein Artenschutzgutachten vorliegt”, benennt ein Anwohner aus der Gustav-Freytag-Straße seine Sorgen. Und: “Wir fühlen uns machtlos …”

Und wahrscheinlich wird es genau dabei bleiben. Denn auf Privatgelände gilt ja bekanntlich das von der CDU/FDP-Fraktion 2010 beschlossene “Baum-ab-Gesetz”, das für die meisten der auf Privatgrund stehenden Bäume keinen Schutz mehr vorsieht. Welches Ausmaß das nunmehr unkontrollierte Fällen von Bäumen auf Privatgrundstücken seit 2011 in Leipzig angenommen hat, hat der BUND Leipzig im Mai einmal beziffert: 13.500 Bäume waren davon betroffen. Das ist deutlich mehr, als die Stadt selbst sich als Anpflanzung von neuen Straßenbäumen vorgenommen hat. (Umgesetzt hat sie es auch nicht, denn dazu fehlte schlicht das Geld im Haushalt.) Für die Regierungskoalition in Dresden war das offiziell ein Akt der “Entbürokratisierung”, auch wenn es schlichtweg die Kontrollmöglichkeiten der Kommune außer Kraft setzte. Gerade schnellwachsende Bäume, wie sie auf dem Gelände an der Windscheidstraße besonders dicht standen, sind nun nicht mehr geschützt.

So dass die Bewohner der Häuser an Windscheid- und Gustav-Freytag-Straße künftig wohl ein sauberes Reihenhausgebiet mit Zufahrt und Parkplätzen vor der Nase haben werden – mit etwa zwanzig verschonten Bäumen, die dann natürlich nichts mehr mit dem gewachsenen Biotop mitten in der Stadt zu tun haben, das jetzt gelichtet wird.

Zu NCC in der Windscheidstraße: www.nccd.de/win

BUND-Seite “Baumloses Sachsen”: www.baumloses-sachsen.de

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