Man kann zwar viel in der Leipziger Stadtpolitik personalisieren, denn vieles hat tatsächlich mit Personen zu tun. Etwa mit dem Oberbürgermeister, der eine unübersehbar steuernde Rolle in mehreren Bereichen der Stadtpolitik hat. Aber in der Regel sind auch Stadtratsvorlagen der Verwaltung Teamarbeit. Erst recht, wenn es um die Beantragung von Wohnungsbaufördermitteln geht. Nur hat „Bild“ selbst aus diesem Antrag etwas völlig anderes herausgelesen.

So verdreht muss man erst einmal denken: Seit Monaten diskutiert die Stadt darüber, dass es endlich ein sächsisches Programm für den sozialen Wohnungsbau gibt und Leipzig diese (kärglichen) Gelder auch unbedingt beantragen muss, damit nicht nur die stadteigene LWB, sondern zum Beispiel auch Wohnungsgenossenschaften wieder sozialen Wohnungsbau angehen können. Dazu braucht es nicht nur dicke Antragspapiere, sondern auch eine zugrunde gelegte „Wohnungsbauförderkonzeption“, die für die sächsischen Amtswalter nachvollziehbar macht, warum Leipzig die Gelder haben will und wie man sie sinnbringend einzusetzen gedenkt.

Diese Konzeption hat das beauftrage Dezernat Stadtentwicklung und Bau (federführend dabei ist das Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung) am 26. September vorgelegt und auch ins Ratsinformationssystem eingestellt. Sie betrifft das Förderjahr 2018. Die Wohnungsbauförderkonzeption für 2017 hat der Stadtrat schon vor einem Jahr verabschiedet.

Darüber hätte man berichten können. Ganz nüchtern. Aber wenn es um die Arbeit von Baudezernentin Dorothee Dubrau geht, kann Leipzigs „Bild“-Zeitung irgendwie nicht mehr nüchtern berichten. Es muss immer noch einen ganz speziellen und persönlichen Dreh bekommen. Der aus einer für alle nachvollziehbaren Geschichte etwas macht, was nicht einmal die Stadträte wiedererkennen, die mit dem Thema zu tun haben.

Die sind regelmäßig verblüfft, was die „Bild“-Zeitung alles weiß, was sie angeblich nicht erfahren. Als würde ihnen die Stadtverwaltung wichtige Informationen einfach vorenthalten. Eine Zeit lang nahm auch die CDU-Fraktion diese seltsam großspurigen Nachrichten hin und übernahm sie teilweise auch, was dann den Beobachter durchaus verblüffen durfte: Alle anderen kannten die Vorlagen – aber die CDU-Fraktion benahm sich, als würde nur das, was „in der Zeitung“ stand, stimmen.

Zumindest eine ist in letzter Zeit etwas misstrauisch geworden. Das ist CDU-Stadträtin Sabine Heymann.

Denn irgendwie fühlte sie sich im falschen Film, als sie am 27. September in der „Bild“-Zeitung las: „Neuer Dubrau-Plan. Wohnungen statt Wäscheplätze“. Weder hatte sie von diesem „neuen Dubrau-Plan“ gehört, noch von einem neuen Konzept für den Stadtteil Grünau.

Aber in der Zeitung mit den großen Buchstaben hatte es doch gestanden. Genau so. Sabine Heymann in ihrer Anfrage, die sie dann an die Verwaltung stellte: „In der „Bild“-Zeitung konnte man kürzlich lesen, dass eine Nachverdichtung für Grünau vorgesehen ist, was bei den Bewohnerinnen und Bewohnern nicht auf Gegenliebe trifft. Nun ist es grundsätzlich richtig, dass der Einwohnerzuwachs sich nicht nur auf die Innenstadt konzentrieren darf und Angebote in anderen Stadtteilen zu schaffen sind. Doch gerade mit Blick auf die aktuelle Arbeit am INSEK kommt es uns doch etwas umstrukturiert vor, ohne Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger die Nachverdichtung via Bebauung vorhandenen Grüns zu propagieren.“

Lauter ärgerliche Punkte: Bürger und Bürgerinnen nicht beteiligt, INSEK nicht berücksichtigt, EinwohnerInnen vor den Kopf gestoßen. Letzteres kann durchaus sein: Es wird in Grünau etliche Bürger geben, die morgens zum Kiosk eilen, um sich ihre Portion „Bild“-Welt zu holen. Und die dann drauflosschimpfen wie die Rohrspatzen.

Und „umstrukturiert“ sollte wohl „unstrukturiert“ heißen. Das könnte auf die emotionalisierende Zeitung auch zutreffen.

Auch zu dieser seltsamen „Bild“-Geschichte hat das Dezernat Stadtentwicklung und Bau jetzt ausführlich Stellung genommen. Akribisch hat man dort auseinandergenommen, was die „Bild“ aus der Stadtratsvorlage gemacht hat. Das ist durchaus etwas für Genießer, die zuschauen wollen, wie „Bild“ aus einer sachlichen Nachricht etwas völlig anderes macht. Was nicht mal eine gestandene Stadträtin wie Sabine Heymann wiedererkennt.

In der Antwort an sie heißt es: „Der Artikel zitiert zuerst korrekt aus der Vorlage, `dass die aktuelle Bautätigkeit dringend gesteigert werden muss.‘ Aber dann hieß es: ‚Ihre [Frau Dubraus] Lösung: Die in den 1950er, bis 1970er Jahren angelegten Neubauquartiere sollen ‚nachverdichtet‘ werden … Wo heute Grünflächen mit Wäschespinnen stehen, sollen dann die neuen Nachbarn vom Balkon winken … Der WK 5.1 [in Grünau] soll dichter bebaut werden. Häuser statt Grünflächen … Dabei hat die Stadt selbst eigene Flächen, die mit zwei Wohngebieten bebaut werden könnten. Auch das ist bereits diskutiert, dann aber nicht weiterverfolgt worden. Die Dezernentin sehe das ‚opfern‘ wertvoller städtischer Grundstücke für neue Wohnungen lediglich als allerletztes Mittel, heißt es im Rathaus.“

Der Punkt „Nachverdichtungskonzepte in Bestandsquartieren“ ist einer von insgesamt sechs ausgeführten Handlungsschwerpunkten für mehr Wohnungsbau in Leipzig, stellt das Dezernat fest. Der genaue Wortlaut heißt: „In Kooperation mit den Wohnungseigentümern in Bestandsquartieren mit Zeilenbebauung der 1950er/60er/70er Jahren werden Konzepte zur Nachverdichtung und Qualifizierung der Bestandquartiere erarbeitet. 2017 wird mit einem Nachverdichtungskonzept für den Wohnkomplex 5.1 in der Großwohnsiedlung Grünau begonnen.“

Kommentar des Dezernats: „Da ist also nirgendwo die Rede von den grünen Grünauer Innenhöfen, die nach dem Willen der Stadt zukünftig bebaut werden sollen. Im benannten konkreten Fall des WK 5.1 handelt es sich vielmehr um eine vollständig unbebaute, durch früheren Abriss eines ganzen Geviertes entstandene Brachfläche zwischen Frankenheimer Weg, Schönauer Ring und Lindennaundorfer Weg – eine Fläche, die auch rechtlich eine weiterhin bestehende Baufläche darstellt und mit deren möglicher Wiedernutzung sich die Stadt auf Initiative der Eigentümer und mit diesen zusammen beschäftigen will.“

Was dann in der Antwort an Sabine Heymann noch genauer ausgeführt wird: „Ausgehend von der Initiative der dortigen Eigentümer geht es dabei darum, eine sinnvolle und für den Stadtteil gewinnbringende Nutzung über ein zusammenhängendes, durch Abrisse entstandenes und mit Baurecht versehenes Areal zu erarbeiten. Die Kommunikation im Stadtteil soll Bestandteil des dafür noch zu vergebenden Auftrags sein.“

Und etwas später gibt es noch einen Hinweis auf die dringend nötige Wohnungsbaufrage in Leipzig: „Insbesondere durch frühere Abrisse verfügt Grünau über Flächen, die unter Wachstumsbedingungen ein positives Potential für die Entwicklung des Stadtteils haben und gleichzeitig einen Beitrag zur Wohnungsversorgung der Gesamtstadt leisten können. Bis auf einzelne Pilotflächen ist allerdings noch keine konkrete Wiedernutzung diskutiert worden. Die Entwicklung von neuen Wohnungsangeboten in Grünau steht nach mehreren Jahrzehnten der Schrumpfung sicher erst am Anfang. Es ist nicht zu erwarten, dass es innerhalb der nächsten fünf Jahre zu großflächigen Neubauentwicklungen kommen wird, die annähernd an das Volumen des Rückbaus heranreichen werden, u. a. stehen auch weiterhin Bestände wie z. B. in der Breisgaustraße leer.“

Die gute Nachricht lautet also schlicht: Die Diskussion über Neubau- und Nachverdichtungspläne in Grünau beginnt jetzt und die Bürger werden auch eingebunden. Und was entstehen wird, werden am Ende sowieso die Eigentümer der Flächen entscheiden – wenn sie klug sind: stadtteilverträglich und gut strukturiert.

Mit den Grünauer Wäschespinnen hat das gar nichts zu tun. Sabine Heymann hat es jetzt schwarz auf weiß. Ob es die verbliebenen Grünauer „Bild“-Zeitungs-Leser erfahren, ist wohl zu bezweifeln.

Die Anfrage von Sabine Heymann (CDU).

Die Antwort der Stadtverwaltung auf die Anfrage von Sabine Heymann.

Die „Wohnungsbauförderkonzeption 2018“.

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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