Seit Jahren ist es ein Ärgernis. Immer wieder zum Weihnachtsmarkt werden gerade in der Grimmaischen Straße die Blindenleitstreifen zugebaut. Diesmal kam noch eine weitere Verengung des Straßenraums mit einem „Magischen Wald“ hinzu. Die Linksfraktion schrieb gleich mal einen Brief an den Oberbürgermeister. Denn die gar nicht so wenigen Leipzigerinnen und Leipziger, die mit diesem Verbau quasi ins Abseits gedrängt werden, wenden sich logischerweise mit ihren Sorgen an die Fraktionen.

„In den letzten Tagen sind in der Fraktion Die Linke mehrere Beschwerden von Leipzigerinnen und Leipzigern bezüglich der Barrierefreiheit auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt eingegangen. Deshalb haben sich am heutigen Morgen Sören Pellmann, Vorsitzender der Fraktion Die Linke, und Franziska Riekewald, Sprecherin für Mobilität, ein eigenes Bild gemacht“, schilderte die Fraktion das Ganze aus ihrer Sicht.

„Dabei mussten wir an mehreren Stellen Verstöße gegen die gesetzlichen Regelungen bezüglich der Barrierefreiheit feststellen. Seit über zehn Jahren rügen wir als Die Linke diese Verstöße, regelmäßig verspricht die Stadtverwaltung Besserung. Um diesem Versprechen Nachdruck zu verleihen, haben wir heute den in der Anlage befindlichen Brief an Oberbürgermeister Burkhard Jung gesandt.“

Der Brief der Linksfraktion an den OBM.

Darin forderte die Linksfraktion: Eine Umstellung der Weihnachtsmarkthütten in den kommenden Tagen anzuweisen und durchzuführen. Sich bei den Betroffenen und ihren Verbänden für diesen Fehler zu entschuldigen. Sorge dafür zu tragen, dass bei folgenden Veranstaltungen (Wochenmärkten, Weihnachtsmärkten) das Blindenleitsystem inklusive des entsprechenden Schutzbereiches freizuhalten.

Das Problem wurde schon mehrfach im Stadtrat diskutiert.

Und auch Ralf Detlef Kohl hat es immer wieder verfolgt und fragt sich mittlerweile, ob es wirklich so schwer ist, so etwas Einfaches in der Stadtverwaltung umzusetzen.

Er hat deshalb eine eigene Einwohneranfrage gestellt, in der er noch einmal auf das Grundproblem hinwies: „Im Rahmen einer barreriearmen bzw. -freien Innenstadt und der Teilhabe von behinderten Menschen entsprechend der UN-Behindertenkonvention mit dem Ziel der inklusiven Gesellschaft ist es mir als Bürger rätselhaft, warum zum Leipziger Weihnachtsmarkt das Blindenleitsystem der Stadt Leipzig zugestellt wird mit Weihnachtsmarktbuden. Blinde und sehbehinderte Menschen, Bürger und Besucher des Leipziger Weihnachtsmarktes gleichermaßen, können nun den vorhandenen einfachen Zugang zum Markt nicht nutzen. Dafür wurden für alle Besucher an anderen Stellen große Holzwegweiser aufgestellt, die jedoch für Blinde und Sehbehinderte ohne Begleitung auch nicht nutzbar sind. Deswegen möchte ich wissen.

  1. Warum wird das kostenintensive Blindenleitsystem bei Veranstaltungen zugestellt?
  2. Plan die Stadt Leipzig aufgrund der intensiven Beschwerden durch den Seniorenbeirat bzw. den Stadtrat Konrad Riedel über das Zustellen des Blindenleitsystems in absehbarer Zeit das Freimachen der Blindenstreifen noch während des laufenden Weihnachtsmarktes 2019?
  3. Falls nicht, wann wird das Konzept für Veranstaltungen so angepasst, dass zukünftig auch Blinde und Sehbehinderte über das Blindenleitsystem an Veranstaltungen jeder Art teilnehmen können?“

Darauf hat er jetzt vom Dezernat Kultur tatsächlich Antwort bekommen.

Man empfindet das Problem dort nicht so drängend.

„Das Blindenleitsystem wird keineswegs pauschal bei (allen) Veranstaltungen zugestellt. Bei Eigenveranstaltungen der Stadt sowie allen Sondernutzungen durch Dritte wird ganzjährig zwingend im Bescheid schriftlich beauflagt, dass das Blindenleitsystem freizuhalten ist“, erläutert das Kulturdezernat.

„Kontrollen erfolgen regelmäßig durch die Polizei, Mitarbeiter des Marktamtes, des VTA und des Stadtordnungsdienstes. Das Blindenleitsystem wird auch auf dem Weihnachtsmarkt vollständig freigehalten, mit einer Ausnahme: Das Marktamt kann mit Ausnahme-Genehmigung aller in das Sicherheitskonzept einbezogenen Gremien, darunter auch die Beauftragte der Stadt Leipzig für Senioren und Menschen mit Behinderungen, zum Weihnachtsmarkt das Blindenleitsystem in einem ca. 60 m langen Abschnitt der Grimmaischen Str. teilweise überbauen.“

Erstaunlich, dass man überhaupt so denkt. Denn wer gewichtet, dass das Aufbauen von Weihnachtsmarkt-Verkaufsbuden schwerer wiegt als die Nutzbarkeit eines Blindenleitstreifens?

Das Kulturdezernat betont trotzdem: „Dies wurde aus den folgenden Gründen genehmigt:

– seit 2013 liegt der von den beteiligten Ämtern gemeinsam mit der Branddirektion erstellte Veranstaltungsflächenplan der Stadt Leipzig vor. Aufgrund dieses Planes kann die Nutzung der Grimmaischen Straße nur mit der derzeitigen Anordnung der Häuser erfolgen

– bei einer anderen Aufstellung (Wechsel auf die nördliche Straßenseite) ist eine ungehinderte Durchfahrt der Feuerwehr nicht mehr möglich, da Stromversorgungsverteiler, Stadtmöblierung und Werbeaufsteller im Fahrbereich der Feuerwehr stehen, ein Anleitern der Feuerwehr zur Personenrettung ist ebenfalls nicht mehr möglich

– durch die Positionierung der Hütten mit den Rückseiten an die ,Brunnen-Wellen‘ konnte erreicht werden, dass die Zahl von Verletzungen durch Stürze in diesem nachts sehr dunklen Bereich minimiert wurde, es gab seitdem keine Schadensersatzklagen gegen die Stadt mehr.“

Schöner kann man kaum durchblicken lasen, dass die Beton-Zierelemente auf der Grimmaischen Straße vor allem ein Gefahrenpotenzial sind. Und dass man beim Umbau der Straße die Nutzung beim Weihnachtsmarkt einfach nicht mitbedacht hat. Die Fehler der Vergangenheit zeigen Wirkung bis in die Gegenwart.

„Intensive Beschwerden“ des Seniorenbeirates lägen dem Marktamt auch nicht vor, meint das Kulturdezernat. „Zum Thema Sicherheit/Verkehr/Ordnung zum Weihnachtsmarkt war das Marktamt 2018 gemeinsam mit dem Ordnungsamt und der Branddirektion im Fachausschuss Umwelt und Ordnung geladen. Es gab nach unserem Vortrag keine weitergehenden Fragen oder Anmerkungen, von keiner Fraktion, auch nicht zu der o. g. Thematik. Das Marktamt erhielt in diesem Jahr zum Thema Barrierefreiheit eine einzige Besucher-Anfrage, die das MA direkt beantwortet hat. Der Fragesteller hat sich für die ausführliche Antwort bedankt.“

Kann es sein, dass die hauptsächlich Betroffenen mittlerweile aufgegeben haben, sich über dieses Dauerdilemma noch zu beschweren und die Innenstadt in der Weihnachtszeit lieber meiden? Nur so als Frage.

Aber das Kulturdezernat wischt das Problem nicht ganz vom Tisch und denkt zumindest über ein paar mögliche Lösungen nach: „Das Marktamt wird die Kommunikation mit Hinweis auf die zeitweise eingeschränkte Nutzung des Blindenleitsystems in diesem Jahr verbessern“, ist so ein Vorschlag, der nicht wirklich nach einer Lösung klingt.

Etwas zielführender klingt ein zweiter Vorschlag: „Als Alternativvorschlag wird das Marktamt eine Prüfung veranlassen, ob und ggf. wie das teilweise überbaute Blindenleitsystem in der Grimmaischen Str. temporär während der Laufzeit des Weihnachtsmarktes auf der anderen Straßenseite ersetzt werden kann. Dazu kann ein entsprechend geeignetes Spezialprodukt (z. B. REC Bauelemente/Stepline OUTDOOR o. ä., s. Anlage) direkt auf den Boden aufgeklebt werden.“

Ein Gedanke, der einen eigentlich auf die Idee bringen könnte, den Blindenleitstreifen dauerhaft und komplett auf die freie Straßenseite zu verlegen. Dann hätten Feuerwehr und Sehbehinderte gleichermaßen freie Bahn und es brauchte auch keine Sonderinformation mehr an die Betroffenen, dass man ihren Blindenleistreifen leider aus weihnachtsmarktlichen Gründen zustellen musste.

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