1.600 Euro für vier Buchstaben. Eine saftige Rechnung. Die soll die Stadträtin der Leipziger Linken bezahlen. Die Leipziger Staatsanwaltschaft hatte Strafbefehl gegen die Stadträtin erhoben, weil sie einen NDP-Stadtrat am Rande der Stadtratssitzung vom 20. Juni 2012 als "Nazi" bezeichnet hätte. Heute hätte der Strafprozess beginnen sollen. Der Prozess wurde verschoben. Dafür gab es eine Solidaritäts-Demo der Linken vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft.

Rund 50 Anhänger, Stadträte und Mitglieder der Linkspartei waren gekommen, um ihre Solidarität mit Margitta Hollick zu bekunden. Diese war in Begleitung ihres Rechtsanwaltes Steffen Soult gekommen: “Die Richterin hat alle Termine vom betreffenden Verhandlungstag aufgehoben und den Prozess, der heute hätte stattfinden sollen ohne Angabe von Gründen verschoben.” Margitta Hollick selbst zeigte sich von dem Strafbefehl nach wie vor schockiert: “Ich bin persönlich sehr betroffen über die Vorwürfe und den Strafbefehl über eine Geldstraße von 1.600 Euro, der die Grundlage der Anklage gegen mich bildet.”

Besonders belaste sie der Umstand, dass sie sich diesem Vorwurf schon seit Monaten ausgesetzt sehe: “Ich wurde sogar vom Staatsschutz vernommen, obwohl ich doch gerade durch mein antifaschistisches Auftreten das Grundgesetz schütze.” Dies auch mit Bezug auf ihre persönliche Vergangenheit: “Es ist wohl für jeden nachvollziehbar, wie bedrückend es für mich ist, als Tochter eines Leipziger Antifaschisten mit einem derartigen Vorwurf angeklagt zu werden. Bereits 1934 wurde meinem Vater durch ein Gericht die Ehrenrechtswürde abgesprochen, weil er aktiv im Untergrund in einer Widerstandsgruppe gegen die Nazis kämpfte, die bekanntlich in den 12 Jahren ihrer Terrorherrschaft singuläre Menschheitsverbrechen zu verantworten hatten.” so die Linken-Stadträtin heute gegenüber L-IZ.
Hollick weiter: “Am 6. Januar 1945 endete die letzte faschistische Haft meines Vaters, er überlebte nur knapp. Im gleichen Monat wurden mit Georg Schumann und Genossen sechs seiner Kampfgefährten und Freunde hingerichtet; deren Andenken ehrt Leipzig zu Recht bis heute unter anderem mit Straßennamen.”

Jetzt werde sie wegen angeblicher Beleidigung der “Ehre” eines NPD-Mitgliedes angeklagt, meinte Hollick und erklärte zugleich, wie es zu der Anklage kam: “Zu den Umständen des seinerzeitigen Geschehens zählt, dass am 20. Juni 2012 – dem Tag des angeblichen Geschehens – in der Stadtratssitzung erstmals einem NPD-Stadtrat wegen seiner menschenverachtenden Rede durch den Oberbürgermeister das Wort entzogen wurde. Das angebliche Beleidigungsopfer, das NPD-Mitglied Rudi Gerhardt, soll inzwischen aus der NPD ausgetreten sein, aber bis heute hat er sich von den rassistischen und menschenverachtenden Auffassungen der NPD nicht distanziert.”
Hautnah musste sie in den letzten 20 Jahren das aggressive Auftreten von Mitgliedern und Sympathisanten der NPD bei vielen Demonstrationen in Leipzig erfahren, so die Stadträtin. Die Reden auf NPD-Demonstrationen seien von der Verherrlichung der Zeit von 1933 bis 1945 gekennzeichnet und fielen insbesondere durch ihre menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Inhalte auf: “Erst im November 2013 erlebte ich in der Schönefelder Kirche in Leipzig eine Diskussion mit Anhängern der rechtsradikalen Szene zu einem dort geplanten Asylbewerberheim, die durch Hass, intolerantes Niederbrüllen und Beleidigungen gegenüber Andersdenkenden geprägt war. Mir ist nicht zu Ohren gelangt, dass diesbezüglich Strafverfahren eröffnet worden sind.”

Die Gefährlichkeit und die tödlichen Konsequenzen dieses menschenfeindlichen Denkens sehe man gerade im NSU-Prozess in München, so Hollick. Sie mahnte denn auch Zivilcourage an, die im Alltag immer noch nicht selbstverständlich sei: “Über Zivilcourage darf eben nicht nur geredet werden, sie muss nach meiner tiefsten Überzeugung auch täglich gelebt werden. Die NPD ist für mich unstrittig geistig mit der NSDAP verwandt. Die in ihr organisierten Mitglieder sind Nationalsozialisten.

Im allgemeinen Sprachgebrauch ist daher folgerichtig “Nazis” die häufigste und gängigste Abkürzung für Mitglieder und Sympathisanten dieser verfassungsfeindlichen Partei. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass ich mich mit meinem Verhalten nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland nicht strafbar gemacht habe, insbesondere habe ich niemanden im Sinne von § 185 StGB beleidigt.”

Auch der Vorsitzende der Leipziger Linken und Landtagsabgeordnete Volker Külow rief zur Solidarität mit Margitta Hollick auf: “Das ist ein bizarrer Prozess, ein ungeheuerlicher Justizskandal, der sich meiner Meinung nach in Leipzig abspielt. Was mich betrifft, ich habe schon hundertmal im sächsischen Landtag zu NPD-Abgeordneten “Nazi” gesagt, das hat aber keinen gestört, nicht mal die Nazis selber. Aber vielleicht liegt es auch an der Unabhängigkeit meines Mandates. Ich freue mich, dass heute so viele gekommen sind und es ist natürlich wichtig, dass wir weiter solidarisch mit Margitta sind, egal, wie das mit dem Prozess jetzt weiter geht oder wie er ausgeht. Notfalls besuche ich sie jeden Tag im Gefängnis, wenn es dazu wirklich kommen sollte.”

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