Von Victor Klemperer, dem Dresdner Sprachwissenschaftler und Autor von „LTI“, der „Sprache des dritten Reiches“ (1947), stammt die Sentenz „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung noch da.“ Nun wissen wir schon länger, dass die ferne Zeit des Nationalsozialismus mit zunehmendem Abstand manchem gar nicht mehr so fern, manchem aber wieder erschreckend und bedrohlich nah erscheint. Anlass für eine Veranstaltung am 23. März 2017 namens „Texte gegen Hass“.

Jürgen Kasek, sächsischer Landesvorsitzender von „Bündnis 90/ Die Grünen“, Leipziger Mitinitiator von „No Legida“ – engagiert in der Haltung gegen fremdenfeindliche „Volksmeinungen“ von Clausnitz über Bautzen und Dresden – steht als Beispiel stellvertretend für das Hassobjekt „Gutmensch“ und „Bahnhofsklatscher“. „Linksgrünversifft“ halt … Und schon sind wir mittendrin. In der „Sprache des Hasses“ der Gegenwart. „Hatespeech“ – modern genannt, was es nicht besser macht.

Denn da sind sie wieder, die Arsendosen, bisweilen auch in konzentrierter Form, so dass sie ihre mit-menschenfeindliche Intention auch Jahrzehnte nach einer gleichzeitig infrage gestellten „Gedenkkultur“ – die meisten sagen immerhin noch „dunklen Zeit des Nationalsozialismus“ – entfalten können.

Es scheint also wieder an der Zeit zu sein?

Zeit in jedem Fall Farbe zu bekennen. Keine Angst zu zeigen. Zeit für offenen Umgang mit Hassrhetorik und Internetdrohungen. Der Regisseur vom Leipziger Schauspiel, Maximilian Grafe, und sein Darsteller Markus Lerch, ebenfalls vom Schauspielensemble Leipzig, präsentierten am Donnerstag, den 23. März 2017, „Texte gegen Hass“. Aus Vergangenheit und Gegenwart. Unaufgeregt und dennoch nah am Zuschauer zeigten Grafe und Schauspieler Lerch in ihrer Performance Parallelen der Wirkung, Kausalitäten von Ideologie-Gedanken-Worten-Taten auf.

Film- und Videoausschnitte wechselten dabei mit aktuellen Kommentaren aus sozialen Netzwerken. Hashtag: „Kasek“. „Nach einer Weile reagiert man in gewisser Weise abgestumpft darauf. Bedrohlich wird´s wirklich, wenn man Angst um seine Familie bekommt.“, so der 37jährige Rechtsanwalt aus Leipzig. Und: „Was würden Sie sagen, wenn Ihnen die Kindergärtnerin rät, den Schützling aus der Kita zu nehmen, falls der Name des Kindes bekannt werden würde?“

Da ist man sich der Bedeutung des von Lerch eingangs formulierten Talleyrand-Zitats – „Die Sprache ist dem Menschen gegeben, um seine Gedanken zu verbergen.“ – nicht ganz bewusst. Denn was ist an einer verbalen, zwar virtuellen Morddrohung – „Wir wissen, wo du wohnst.“ – ein verborgener Gedanke? Das kommt immer direkter, oftmals seien sich die „Hater“ gar nicht bewusst, was sie da anrichten, meint Kasek. Erinnert an den bekannten Fall Renate Künast, welche die Hasskommentierer danach „face-to-face“ stellte.

„Ey, weißt du, wer gerade hier war? Wahnsinn.“, lautete der anschließende Netzeintrag. Irre. Erschreckend das Phänomen „Hatespeech“. Es kommt mit Wucht daher. Und verlangt Stärke und Größe, die man selbst auch nicht immer zu zeigen in der Lage ist, fügt Kasek noch hinzu.

Was bleibt?

Sind wir bereit zu angewandtem Geschichtsbewusstsein, haben wir wirklich begriffen? Aus Worten werden Taten. Militanter Sprache folgt Drohung und gewaltsame Aktion. Diskussionen dazu unter den Anwesenden folgen, lassen den Spot schnell auf das ganze Publikum, auf Darsteller und Zuschauer gerichtet sein. Das Ganze im „Grünen Raum“, Zschochersche Str. 59, dem Wahlkreisbüro von Kaseks Parteifreundin und grüner Landtagsabgeordneten Claudia Maicher. „Wir wollten Jürgens Erfahrungen mit den Verbalradikalismen im Internet künstlerisch aufarbeiten, sie einbetten und wiederfinden in einem historischen und gegenwärtigen Kontext“, so Regisseur Grafe im Anschluss.

Das gelang. Die nachdenklichen Zuschauerkommentare, Beiträge im besten Sinn, verstärkten die Intentionen der „Macher“ des Abends. Nicht-didaktisch, eher impulsgebend, dennoch mit einem Ziel: „Gegen den Hass.“ Weiter geht´s.

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