VideoEigentlich eine harmlose und zudem friedliche Geste des Protestes, als sich der überwiegend weiblich besetzte und in den Grenzen Leipzigs nur ein Jahr nach Gründung bereits weltberühmte „Singeclub Leipzig“ am 23. März 2019 am Buchmessestand des „Compact“ Magazins aufbaut. Um ein Liedchen darzubieten. Um genau zu sein drei, darunter „No going back“, ein Lied der britischen Bergarbeiterfrauen während der Streiks Mitte der Achtziger, erklingen überraschend gegen 16 Uhr. Doch während sich zunehmend Publikum ansammelt, um zu lauschen, reagiert eine Gruppe „Identitäre“ am Stand des „Compact“-Magazins deutlich gereizt.

Offenbar gar nicht ertragen kann den Gesang Alexander Kleine, ein wiederum eher unbekannter klein gewachsener Leipziger Identitärer, welcher umgehend versucht mit einem „Compact“-Heft in der Hand irgendwie die Deutungshoheit über den Chor zu gewinnen. Offenbar darf er über das eigentlich 8,80 Euro teure Propaganda-Magazin von Jürgen Elsässer frei verfügen. Dass er es bezahlt hat, ist eher unwahrscheinlich, später kommen A4-Blätter mit Begriffen wie „Heimat“ und anderen Parolen dazu.

Einige seiner Kameraden versuchen sich vor Kameras der aufmerksam gewordenen Journalisten zu drängeln, richtig wohl ist ihnen offenbar allen dabei nicht: Singende Frauen sind ein schlechtes Feindbild, fern vom sonstigen IB-Gegröle, selbst inszenierten Youtube-Aktionen und die gern dargebotene „Mann gegen Mann“ – Mentalität der Identitätsverteidiger. So richtig wissen sie offensichtlich bis zum Ende nicht, wie sie auf Menschen reagieren sollen, die singen.

Mal versuchen sie es mit Gegen’gesang‘, kurzzeitig ertönt ein schiefes „die Gedanken sind frei“, später ein rasch eingestellter Versuch von „Einigkeit und Recht und Freiheit …“. Unterstützung erhalten sie vom Chefredakteur der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“, dann reißt des Mannes Gesang ab, der „Singeclub Leipzig“ singt weiter.

Noch mal Schilder zeigen, am Ende schimpft einer aus der Gruppe in den Rücken der singenden Frauen, der NPD-Chef Frank Franz steht noch immer etwas verdattert im Publikum. Die Hoffnung, dass noch eine Art Resterfolg für die Rechtsextremen zumindest auf Youtube bleibt, ist bei den Versuchen der eiligen Handyfilmerei der jungen Männer zu beobachten.

Video: L-IZ.de

Eine ältere Frau im Publikum beginnt mitzusingen, als das „Avanti Popolo!“ des Liedes „Bandiera rossa“ erklingt. Kurz darauf „Drei rote Pfiffe“, ein Lied, welches die Geschichte einer alten Frau berichtet, die ihren Nachgeborenen vom Partisanenkampf gegen die deutschen Faschisten in Osteuropa erzählt.

Am Ende Applaus für einen Laienchor der erträgt, was sonst nur Profischauspieler aus der Ausbildung nach Stanislawski kennen: Beschimpfungen, Dominanzversuche und körperliche Bedrängung von aggressiv attackierenden Männern stoisch zu ertragen. Und zu singen. Im Wissen: „… denn böse Menschen kennen keine Lieder.“

Vielleicht die klarste Reaktion neben dem Hausverbot für Nikolai Nerling am gleichen Tag durch die Messeleitung auf die erneute Anwesenheit von Rechtsextremisten auf der Leipziger Buchmesse 2019. Im Wissen darum, dass es immer die Frauen und Kinder sind, die in unfriedlichen Zeiten das größte Elend zu tragen haben. Denen man zuhören sollte, wenn sie uns unser Land zeigen.

„Drei rote Pfiffe“ bei Youtube (mit Textzeilen)

Was gerade geschieht: Buchmesse erteilt „Volkslehrer“ Hausverbot + Update

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