Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul? - Die Kollegen von "Spiegel Online" jedenfalls haben es nicht getan. Und die Organisatoren der U18-Bundestagswahl, die am heutigen Freitag, 13. September, auch in Leipzig stattfindet, haben es leider auch nicht getan. Nur dankbar nahmen sie das Geschenk von Infratest/dimap entgegen. Das Meinungsforschungsinstitut hatte 516 junge Leute unter 18 Jahren nach ihren Wahlpräferenzen gefragt.

Mal abgesehen davon, dass 516 Teilnehmer für eine repräsentative Umfrage in Deutschland zu wenig sind (die Fehlertoleranz bewegt sich nach Angaben von Infratest zwischen 1,9 und 4,4 Prozent), hätte spätestens die Auswerter bei Infretast stutzig machen müssen, wie haushoch auch bei den jungen Leuten CDU und CSU die Wahl gewinnen würden. “Spiegel Online” hätte es merken müssen, denn der erwähnt in seinem Artikel ja die wirklichen Ergebnisse der U18-Wahl von 2009: “Damals gewann die SPD mit 20,4 Prozent knapp vor den Grünen mit 19,9 und der Union mit 19,3 Prozent. Die Linke erreichte 10,4 Prozent. Die Piraten wurden mit 8,7 Prozent viertstärkste Kraft vor der FDP mit 7,6 und der Tierschutz-Partei mit 5,2 Prozent.”

Die starke Abweichung hat natürlich einen Grund – und der liegt nur zum Teil in der Beliebtheit von Angela Merkel. Zum größeren Teil, und das weiß man bei Infratest/dimap eigentlich längst, liegt sie an der Umfragetechnik. CATI heißt sie – Computergestützte Telefoninterviews. Dabei wählt der Computer aus allen eingespeicherten Festnetznummern per Zufallsgenerator einen entsprechenden Ziffernpool aus, der wird dann noch einmal mit der Bevölkerungsstruktur abgeglichen, dann wird telefoniert.

Das ergibt schon bei Umfragen mit der Gesamtbevölkerung Probleme. Bei Jugendlichen kann es gar keine verlässlichen Ergebnisse geben. Das wissen auch die Meinungsforscher, denn in den letzten Jahren fand ja bekanntlich ein rasanter Medienwandel statt – vom Festnetz zum Mobilgerät. Kaum ein junger Mensch unter 25 Jahren ist noch auf einem auch noch amtlich gemeldeten Festnetzanschluss zu erreichen. Die junge Bevölkerung ist zu 95 Prozent mit dem Mobilgerät unterwegs, auf dem auch gesurft, gechattet, genetworkt, gespielt und noch viel mehr angestellt werden kann.
Aber Mobilfunknummern können von den Instituten nicht regional zugeordnet werden. Deswegen kommen sie auch nicht in die “Lostrommel”.

Was das für Unterschiede ergibt, auch das beleuchtet die am Mittwoch, 11. September, veröffentlichte Studie der Leipziger Soziologen Brähler und Decker. Indirekt zumindest. Sie haben nämlich aus ihrem Befragungsergebnis allerlei Präferenzen nach Alter, Geschlecht, Einkommen usw. herausgefiltert. Die jungen Leute unter 18 sind zwar nicht dabei, sie waren ja nicht im Befragungsraster. Dafür kommen die älteren Wähler ins Bild, die natürlich etliche der Parteien, die bei jungen Wählern beliebt sind, gerade nicht wählen.

“Wen wählen die Rentner?” war die Frage. Und heraus kam, dass sie die Piraten jedenfalls nicht wählen (0,3 Prozent), Grüne und FDP sind bei ihnen völlig unterrepräsentiert mit 3,7 und 2,5 Prozent. Ihre gewohnten Ergebnisse erreichen nur CDU/CSU mit 32,9, SPD mit 23,3 und Linke mit 7,4 Prozent. Wobei die Befragung der Soziologen sich von den üblichen Befragungen dadurch unterscheidet, dass sie Unentschlossene (12,9 Prozent) und Nichtwähler (13,8 Prozent) drin ließ im Topf. Da diese dann wahrscheinlich auch am 22. September keine Lust haben werden, zum Wahllokal zu tappeln, erhöhen sich dann rechnerisch die Einzelergebnisse jeweils um knapp 27 Prozent.
Wenn man diese Aussagen mit den ermittelten Durchschnittsaltern der Wähler in Bezug setzt, bekommt man einigermaßen ein Bild dafür, was Infratest/dimap da mit seiner Festnetztelefonie nicht erfasst hat.

Denn: “Die Anhänger der Piraten sind mit 32,4 Jahren deutlich jünger als Wähler anderer Parteien. Ebenfalls noch relativ jung sind die Anhänger der Grünen und der rechten Parteien mit 43,6 bzw. 43,3 Jahren.”

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Und: “Die Anhänger der CDU/CSU sind mit durchschnittlich 58,4 Jahren am ältesten. Auch die Anhänger der Linken sind mit 54,3 Jahren und die der SPD mit 53,5 Jahren relativ alt.” Infratest hat also die jungen Wählerinteressen mit seiner Telefonabfrage nicht annähernd erfasst. Die realen Ergebnisse der U18-Umfrage 2013 werden das genauer beleuchten.

Dass Infratest tatsächlich die Falschen am Hörer hatte, sieht man dann spätestens bei Angaben zur Mediennutzung (Internet nur 59 Prozent, social media nur 38 Prozent – (das kann nur ein Witz sein …) oder beim politischen Interesse (nur 23 stark bis sehr stark …).

Mit dem Bildungsstand der Wähler beschäftigen wir uns morgen an dieser Stelle.

“Spiegel Online” zur Infratest-Umfrage:
www.spiegel.de/schulspiegel/u18-wahl-so-wuerden-deutschlands-jugendliche-waehlen-a-921645.html

Die Infrast-Befragung auf der Seite zur U18-Wahl:
www.u18.org/aktuelles/view/sonntagsfrage-umfrage-von-infratest-dimap-fuer-u18/

Direkt zu den Infratest-Zahlen:
www.u18.org/fileadmin/U18_BERLIN_2011/Bundestagswahl_2013/Umfrage_Infratest_2013/20130911_Charts_U18_Jugendwahl.pdf

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