Eine falsche Lohnpolitik hat Konsequenzen. Nicht nur für die ausufernden Soziallasten der Kommunen. Auch für die Betroffenen selbst, die - da das Geld ja zum Leben nicht reicht - schon mit der kleinsten Gebührenerhöhung in etwas hinein geraten, was man so leichthin Schuldenspirale nennt. Kleine Rechnungen summieren sich zu einem Berg unbezahlter Rechnungen und Raten. Armut und niedrige Löhne bestimmen auch in Leipzig die Verschuldungsquoten.

Zum “Schuldneratlas 2013” hat Creditreform auch eine regionale Auswertung für Leipzig und die Region Leipzig vorgelegt. Und sie zeichnet ein anderes Bild als das, was scheinbar auf Bundesebene eine Stagnation in der Schuldenproblematik zeichnet. Denn während der so gern beschworene Mittelstand an den Tarifsteigerungen der letzten Jahre partizipierte und so seine Schuldenberge verkleinern konnte, haben die meisten Betroffenen in Niedriglohngebieten nichts davon außer den üblichen Hohn, für den sich am Mittwoch, 13. November, ganz exemplarisch die fünf Professoren präsentierten, die etliche Medien gern die “Wirtschaftsweisen” nennen. Am Mittwoch legten Prof. Christoph M. Schmidt, Prof. Dr. Peter Bofinger, Prof. Dr. Claudia M. Buch, Prof. Dr. Lars P. Feld und Prof. Volker Wieland ihr jüngsten Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik vor, in dem sie sich mit einer bisher nicht gekannten Unverfrorenheit in die aktuellen Koalitionsverhandlungen einmischten.

Was sie gern weglassen in ihren Gutachten, ist ihre Zugehörigkeit zu diversen Schulen der Wirtschaftslehre. Erst dann werden Sätze entschlüsselbar wie diese: “Der deutsche Arbeitsmarkt muss weiter gestärkt werden. Mindestlöhne und die Einschränkung von Zeitarbeit und Befristungsmöglichkeiten schwächen ihn und ziehen neue Sperrklinken ein. Fiskalisch sollten die aktuell günstigen Sonderfaktoren und das ?demographische Zwischenhoch? dazu genutzt werden, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Vorhandene Spielräume sollten dafür verwendet werden, um die kalte Progression zurückzuführen.”Mindestlöhne als Gift für den Arbeitsmarkt? Da spricht sich keine Wissenschaft mehr aus, sondern reine Klientelpolitik. Die sich auch mit der Empfehlung, die öffentlichen Haushalte sollten konsolidiert werden, beisst. Denn ins Rutschen kommen diese Haushalte auch, weil Millionen Arbeitnehmer, statt Steuern zu zahlen, in die Bedürftigkeit gedrückt werden. Über 18.000 Leipziger müssen als “Aufstocker” beim Jobcenter um zusätzliches Geld Schlange stehen. Und sie sind nicht die einzigen Leipziger, die sofort auf eine abschüssige Bahn geraten, wenn auch nur eine uneingeplante Mehrausgabe in ihrem Haushalt aufschlägt – ein Pflegefall, ein Unfall, eine notwendige Neuanschaffung, eine deftige Nebenkostennachzahlung usw. All das ist ja auch in den Verpflegungssätzen des Jobcenters, die man so hochtrabend gern “ALG II” nennt, nicht einberechnet. Dort halten Waschmaschine, Kühlschränke, Autos und Computer ja ein Leben lang, niemand wird krank und Gebühren und Nebenkosten steigen auch nur in Cent-Beträgen.

Das Ergebnis ist auf der Leipzig-Karte von Creditreform bestens sichtbar. Nicht nur liegt Leipzig mit 12,91 Prozent Schuldnerquote (Rang 4 unter den deutschen Großstädten) deutlich über der bundesweiten Schuldnerquote von 9,81 Prozent.

Und so stellt denn auch Creditreform fest: “Die Stadt Leipzig gehört mit einer Schuldnerquote von 12,91 Prozent sowohl in der Region Leipzig als auch in Sachsen erneut zu den Schuldnerquoten-Spitzenreitern. Auch bei der Betrachtung aller Großstädte (über 400.000 Einwohner) nimmt Leipzig, wie in den vergangenen Jahren, einen Platz unter den 10 Städten mit dem höchsten Verschuldungsgrad ein.”Und im Detail sieht es dann so aus: “Innerhalb des Stadtgebietes hat es im Vergleich zum Vorjahr kaum Veränderungen gegeben. Negativer Spitzenreiter bleiben der Leipziger Osten und Westen. Hier finden sich Verschuldungsraten beispielsweise in Volkmarsdorf und Neuschönefeld von 27,57 Prozent und in Lindenau von 25,26 Prozent. In den Stadtteilen Volkmarsdorf und Neuschönefeld stieg die Quote wieder um 1,93 Prozentpunkte – der größte Anstieg in der Stadt Leipzig und der gesamten Region Leipzig.” Wer diese Werte mit den Arbeitslosen- und Hartz-IV-Quoten im Leipziger Stadtgebiet übereinander legt, bekommt quasi eine Deckungsgleichheit. “Hartz IV” ist nicht nur “Armut nach Gesetz”, wie die Linke einst titelte, sondern in vielen Fällen auch ein sehr schneller und direkter Weg in die Überschuldung.

“Am geringsten ist die Überschuldung von privaten Verbrauchern in Mölkau und Baalsdorf”, so Creditreform. “Hier konnte sogar ein Rückgang der Schuldnerquote von 5,72 Prozent auf 5,48 Prozent verzeichnet werden.”

Und wo sieht Creditreform selbst die Hauptursachen für Überschuldung? – “Überschuldung liegt vor, wenn ein Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm weder Vermögen noch andere Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Hauptauslöser für das wirtschaftliche Aus von Verbrauchern sind immer noch Arbeitslosigkeit, Veränderung der familiären Situation, Krankheit, Konsum und gescheiterte Selbstständigkeit.”

Da kann man dann fragen: Welche Puffer hat dann eine Stadt wie Leipzig selbst noch, bei der gerade der Haushalt aus dem Ruder zu laufen droht? – Da haben ein paar Bundes- und Landesregierungen über Jahre die falschen Weichen gestellt. Befeuert von “Wirtschaftsweisen”, die nicht mal ansatzweise die Komplexität ihres eigenen “Forschungsgebietes” verstehen.

Auch wenn sich die Schuldenproblematik in der Region Leipzig scheinbar in der Großstadt zu ballen scheint, geht es der gesamten Region nicht wirklich besser. Auch hier gibt es Gebiete, wo die Verschuldung der Bürger überproportional hoch ist – wie in Torgau, Wurzen, Böhlen.

“Den geringsten Anteil an Schuldnern in unserer Region weist, wie im Jahr zuvor, der Landkreis Leipzig mit 9,32 Prozent auf (2012: 9,15 Prozent)”, so Creditreform. “Die niedrigste Schuldnerquote im Landkreis und der gesamten Region Leipzig wurde in der Gemeinde Kohren-Sahlis mit 5,17 Prozent (Vorjahr: 4,94 Prozent) ermittelt. Der überwiegende Teil der Städte und Gemeinden im Kreis liegt auch in diesem Jahr wieder deutlich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die höchsten Schuldnerquoten wurden in Böhlen (14,11 Prozent), Rötha (11,49 Prozent) und Wurzen (11,45 Prozent) ermittelt.”

Der Landkreis Leipzig profitiert nach wie vor davon, dass viele Gutverdiener, die zur Arbeit nach Leipzig pendeln, hier ihren Wohnsitz haben. Aber schon der Blick nach Nordsachsen zeigt, dass in einer Region alle am selben Tropf hängen und im selben Boot sitzen. Creditreform: “Im Landkreis Nordsachsen stieg die Schuldnerquote im Vergleich zum Vorjahr (9,88 Prozent) ebenfalls an und liegt in diesem Jahr bei 10,14 Prozent. Schildau weist mit 6,2 Prozent die niedrigste Schuldnerquote und den höchsten Rückgang der Quote im Landkreis auf. Eine deutlich höhere Schuldnerdichte herrscht in Beilrode (12,13 Prozent), Torgau (11,72 Prozent), Rackwitz (11,46 Prozent) und Delitzsch (11,15 Prozent).”

Heribert Prantl in der “Süddeutschen” zur Überheblichkeit der “Wirtschaftsweisen”: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/einmischung-in-koalitionsverhandlungen-unverschaemte-wirtschaftsweise-1.1818205

Der Sachverständigenrat alias “Die Wirtschaftsweisen” mit seinem politischen Statement vom 13. November: www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/273.html

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