Leipzigs Arbeitsagentur freut sich über eine Zahl, die von außen hübsch aussieht: „Mit 6,6 Prozent erreichte die Arbeitslosenquote in Leipzig einen neuen Tiefststand seit Anfang der 1990er Jahre“, jubelte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, Steffen Leonhardi, am Freitag, 26. Juni, bei der Vorstellung der monatlichen Arbeitsmarktentwicklung.

Eine Kategorie vollwertig entlohnter Arbeit gibt es ja in den Statistiken der Arbeitsagentur nicht. Was bedeutet dann aber Arbeit, wenn sie so schlecht entlohnt wird, dass die Betroffenen trotzdem in die Überschuldung geraten und auch noch auf ein Alter in Armut hinschuften?

Dann sind die Zahlen nur ein Alibi dafür, wie gut das System Jobcenter funktioniert, um Menschen auch noch in die miserabelsten Jobs zu drängen und sie in Beschäftigungsverhältnissen ausharren zu lassen, in denen sie nach Strich und Faden ausgebeutet und trotzdem schlecht bezahlt werden.

Dann haben die „Arbeitslosenzahlen“ eigentlich keinen Wert, weil sie von keiner echten Arbeitslosigkeit erzählen, sondern nur von den Folgen einer unkorrigierten falschen Politik.

Denn dass die Arbeitslosenzahlen so stark sinken hat eine Menge mit den Langzeitarbeitslosen zu tun. Die Arbeitsagentur verwendet den Begriff ein wenig anders, weil man dort auch etliche feine Mittel entwickelt hat, diese Menschen, die seit Jahren dauerhaft und immer wieder in den Büros des Jobcenters landen, aus der Statistik zu bekommen.

Also werden sie mit „Integrationen“ genervt, bis sie spuren und jeden Mini-Job annehmen, der ihnen aufgenötigt wird. Mit der „Integration“ hören sie auf, ein Langzeitarbeitsloser zu sein, auch wenn sie aus der „Maßnahme“ bald wieder zurückkehren in die amtliche Vorhölle.

An ihnen gehen die neuen Arbeitsangebote auf einem zunehmend von Fachkräftemangel bestimmten Markt völlig vorbei. Sie haben weder die Ausbildung dafür noch die Grundqualifikation, meist sind sie auch nicht mehr jung und flexibel genug.

Und dann kann jeder rechnen. Wen 2006 von den 48.000 Leipziger Arbeitslosen über 27.000 schon länger als ein Jahr arbeitslos waren, wo sind sie geblieben? In dauerhafte Beschäftigung gekommen?

Ein paar sind es bestimmt. Aber wenn die Alterszusammensetzung genauso war wie bei den Erwerbstätigen, sind aus dieser Gruppe jedes Jahr rund 700 in den Ruhestand geschickt worden. Was bis 2010 kaum spürbar wurde, seitdem aber deutlich sichtbar ist, weil aus dem Arbeitsmarkt selbst kaum noch Menschen in dieser Dauerarbeitslosigkeit landen. Die Arbeitgeber machen Kopfstände, um auch noch den unwilligsten jungen Menschen für einen der unbesetzten Jobs zu qualifizieren.

Das heißt: Seit 2006 haben allein die Altersabgänge dazu geführt, dass die Zahl der Arbeitslosen in Leipzig um über 7.000 gefallen ist. Wahrscheinlich sogar noch mehr. Denn mit 40 Jahren Erwerbstätigkeit haben wir den Wert natürlich sehr hoch gesetzt.

Und seit 2012 ist der Effekt besonders deutlich sichtbar. Denn da alle jungen Leute, die auf den Arbeitsmarkt kommen, eiligst gebunden werden, schmilzt vor allem der Bereich der Jobcenter-Betreuten wie Schnee an der Sonne. Allein in diesen sechs Jahren um über 9.000.

Rückgang der Arbeitslosigkeit in Leipzig in SGB II und SGB II. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Rückgang der Arbeitslosigkeit in Leipzig in SGB II und SGB II. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Wie aufnahmefähig (oder ausgehungert) der Leipziger Arbeitsmarkt mittlerweile ist, zeigt die simple Tatsache, dass die Aufnahme der Flüchtlinge nicht einmal ansatzweise zur Steigerung der Arbeitslosenzahlen beigetragen hat. Im Gegenteil: Wenn sie qualifiziert sind, werden auch sie in Arbeit genommen.

Die groben Zahlen

Insgesamt waren im Juni 20.292 (Vormonat 20.626) Männer und Frauen in Leipzig arbeitslos gemeldet. Der Rückgang im Vergleich zum Mai betrug 334 Personen und innerhalb der letzten 12 Monate ist die Zahl der arbeitslos gemeldeten Menschen in Leipzig um 2.477 zurückgegangen.

In den einzelnen Altersgruppen gab es bezogen auf den Vormonat unterschiedliche Entwicklungen. So stieg die Zahl der Arbeitslosen bei den unter 25-Jährigen um 4 auf 1.846 Arbeitslose, das waren 60 weniger als vor einem Jahr. Der Rückgang bei den über 50-Jährigen lag bei 87 gegenüber dem Mai. Damit waren im Juni 5.647 Personen dieser Altersgruppe arbeitslos, 919 weniger als vor einem Jahr.

Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist im zurückliegenden Monat in Leipzig zurückgegangen. Im Juni waren 5.627 Menschen langzeitarbeitslos, 186 weniger als im Mai. Im Vergleich zum Juni 2017 gab es 1.248 Langzeitarbeitslose weniger.

Zum statistischen Zähltag im Juni betrug die Arbeitslosenquote in der Stadt Leipzig 6,6 Prozent (Vormonat: 6,7 Prozent). Im Juni 2017 lag sie noch bei 7,7 Prozent.

Im Juni waren 5.818 Menschen in der Arbeitsagentur im Rechtskreis SGB III arbeitslos gemeldet. Das waren 133 weniger als im Vormonat. Im Jobcenter Leipzig im Rechtskreis SGB II waren 14.474 Menschen arbeitslos registriert. Das waren 201 weniger als im Mai 2018 und 1.716 weniger als vor einem Jahr.

In Leipzig gab es im Juni 36.638 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 210 weniger als im Vormonat und 2.321 weniger als im Juni des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 46.474 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug dort der Rückgang 202 Personen. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 2.651 Personen.

Die Zahl der nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten stieg freilich wieder leicht von 17.329 auf 17.351. Das sind vor allem die Kinder, die in diesen Bedarfsgemeinschaften leben (müssen). Heißt im Klartext: manifeste Armut in tausenden Leipziger Familien.

Fachkräftemangel wächst

Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete der gemeinsame Arbeitgeberservice von Arbeitsagentur und Jobcenter Leipzig im Juni einen weiteren Anstieg gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den zurückliegenden vier Wochen 2.195 freie Stellen gemeldet. Das waren 19 mehr als im Mai und entsprach dem Niveau des Vorjahres.

Gemeldete freie Stellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Gemeldete freie Stellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Heißt im Klartext: 7.493 Stellen sind unbesetzt, fast 900 mehr als vor einem Jahr (6.641). Seit 2014 kennt diese Statistik nur noch eine Richtung: Die Zahl der unbesetzt gebliebenen Stellen wächst Jahr für Jahr an. Und am größten ist der Bedarf längst da, wo das Fehlen von Fachkräften besonders wehtut: in der Industrie (1.800 Stellen), Verkehr, Logistik, Sicherheit (1.600) und Gesundheit, Soziales, Lehre, Erziehung (960).

Aber was will man von einer Politik erwarten, die seit drei Jahren nur noch das Ausländer-raus-Lied der radikalen Provinzbewohner trällert und nicht an einer einzigen Stelle gegensteuert? Da kann man nicht viel erwarten außer einer sich immer mehr zuspitzenden Beschäftigungslage und Probleme in allen wirtschaftlichen Bereichen.

Und Leipzig funktioniert nach wie vor genauso wie die großen Metropolen im Westen als der Hotspot, an dem Wirtschaftswachstum sich mit der Schaffung immer neuer Arbeitsplätze verbindet.

Bei der Beschäftigung wurde mit 267.823 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen im Dezember 2017 in Leipzig ein neuer Höchststand erreicht. Innerhalb eines Jahres stieg diese Zahl um 6.686 oder 2,6 Prozent. Das ist der Motor der Leipziger Bevölkerungsentwicklung. Aber es wird ja auf allen politischen Ebenen gebremst, weil die Landespolitik vor allem noch immer in den Agrarstrukturen des 19. Jahrhunderts denkt und die Metropolentwicklung in Westsachsen mit knapp gehaltenen Geldern versucht auszuschalten. Was natürlich das typische heutige „Wettbewerbsdenken“ ist, das mit Wettbewerb nichts zu tun hat – dafür jede Menge mit Missgunst, Kontrollwut und Bevormundung.

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